# taz.de -- Landwirtschaft in der Ukraine: Irgendwie weiterackern | |
> Absatzmärkte sind weggebrochen, das Personal ist an der Front: Die | |
> Landwirte Clara und Moritz Stamm kämpfen um das wirtschaftliche | |
> Überleben. | |
BAHWA IN DER ZENTRALUKRAINE taz | Clara Stamm ist auf dem Weg nach Hause. | |
Zu Hause, das ist für die 40-jährige Landwirtin aus Freiburg seit einigen | |
Jahren schon ein Hof in dem Dorf Bahwa in der Zentralukraine. Moritz und | |
Clara Stamm leben dort mit ihren vier Kindern auf dem Bauernhof der | |
Familie. Stamm ist gerade im Auto auf dem Rückweg aus der 60 Kilometer | |
entfernten Kleinstadt Uman, wo sie auf der Suche nach dem Ersatzteil für | |
einen Mähdrescher war. Die Landwirtin kennt sich aus, sie kann dem Händler | |
sofort beschreiben, was nicht funktioniert. Wenn etwas kaputt geht auf | |
ihrem Bauernhof, dann ist es ihre Aufgabe, schnell das richtige Ersatzteil | |
zu besorgen. | |
In der Erntezeit sind die Mähdrescher quasi im Dauereinsatz, den ganzen Tag | |
herrscht ein emsiges Treiben: Lkws fahren von Bahwa ins 30 Autominuten | |
entfernte Onopriiwka, wo die Stamms einen zweiten Hof bewirtschaften, holen | |
dort den gedroschenen Mais vom Feld ab, laden ihn in den riesigen | |
Lagerhallen in Bahwa ab – und fahren wieder los. Und noch spät in der Nacht | |
kann man Moritz Stamm an der Trocknungsanlage oder in einer Lagerhalle | |
beim Arbeiten beobachten. | |
Doch der emsige Eindruck täuscht: Die Stamms kämpfen um ihr | |
wirtschaftliches Überleben. Der Krieg raubt dem Hof, der fast vollständig | |
für den Export produziert, die Absatzmärkte. | |
Verträumt wirken die frisch in Blau und Weiß gestrichenen Einfamilienhäuser | |
entlang der Dorfstraße von Bahwa. Eine kleine Gruppe älterer Frauen sitzt | |
auf einer Holzbank vor einem dieser Häuser. Man schwatzt, hat es sich | |
gemütlich gemacht und sieht den wenigen Autos nach, die durch das Dorf | |
fahren. Schwanzwedelnd stromern kleine Hunde durch das Dort. Die Luft ist | |
so sauber und rein wie wohl nur in einem abgelegenen Dorf in der Schweiz. | |
In Bahwa gibt es keine Luftalarme, hier hat noch nie [1][eine russische | |
Rakete eingeschlagen]. Hier scheint die Welt noch heil zu sein. Clara Stamm | |
hält inne. „Doch, einmal, vor über einem Jahr, hat eine Rakete auf einem | |
Feld in acht Kilometer Entfernung von unserem Hof eingeschlagen. Es hat | |
sich angehört, als wäre ein Lastwagen an die Mauer gefahren.“ Moritz und | |
Clara Stamm haben sich sofort in diese Gegend verliebt, in der sie seit | |
2004 leben. | |
„Ich fand damals mehrere Dinge reizvoll“, erzählt der Landwirt. „Zum ein… | |
kann ich in der Ukraine günstig produzieren. Der Boden ist gut, die | |
Flächen sind groß und das Klima passt für viele Kulturen.“ Außerdem sei m… | |
als Landwirt in der Ukraine angesehener als in der Schweiz, der Staat | |
mische sich nicht so sehr in die Arbeitsabläufe ein, Investitionen seien | |
leichter zu tätigen. „Dafür ist aber auch das Risiko höher.“ | |
Inzwischen haben sie einen eigenen Hof, bauen auf knapp 3.000 Hektar – der | |
größte Teil der Flächen ist gepachtet – Mais, Weizen, Raps und Sonnenblumen | |
an. 25 Mitarbeiter hat der Hof, der an zwei Orten sät und erntet. Die | |
Mitarbeiter werden in einer eigenen Küche versorgt. Mit über 2.000 Euro | |
Monatslohn in der Hauptsaison bringen die Angestellten der Stamms viel Geld | |
in die ansonsten wirtschaftlich schwache Region. Drei große Mähdrescher, | |
ein halbes Dutzend Lkws und riesige Lagerhallen nennen sie ihr Eigen. Die | |
Stamms haben es geschafft. | |
Plötzlich bremst die Landwirtin ihr Auto ab. „Haben Sie die Blume auf der | |
Straße gesehen?“, fragt sie aufgeregt den Reporter auf dem Beifahrersitz. | |
„Das ist eine der Blumen für den Soldaten Olexandr Melnik. Olexandr ist der | |
Vater einer Klassenkameradin meiner Tochter Olivia. Vor Kurzem ist er im | |
Krieg ums Leben gekommen. Vorgestern hat das ganze Dorf ihn beerdigt.“ Alle | |
seien sie hinter dem Sarg hergegangen, hätten Blumen auf die Straße | |
geworfen, viele hätten geweint um Olexandr, berichtet sie. „Schön, dass | |
eine seiner Blumen immer noch auf der Straße liegt.“ | |
Kürzlich war Clara Stamm auf einem Elternabend in der Schule. 52 Kinder | |
lernen in den neun Klassen der Dorfschule, vier dieser SchülerInnen sind | |
ihre drei Töchter und ihr Sohn. Viele Frauen seien zum Elternabend | |
gekommen, und auffallend wenige Männer: „Viele Väter der | |
KlassenkameradInnen meiner Kinder sind derzeit an der Front im Osten des | |
Landes, habe ich dabei erfahren.“ Einer von diesen Vätern, Sascha Sayez, | |
sei Mähdrescherfahrer in ihrem Betrieb, sagt Clara Stamm. | |
Wenn nur nicht dieser Krieg wäre, der den Menschen in der Ukraine Leid und | |
Tod bringt und der Wirtschaft die Kraft raubt. | |
Das Leben in der Ukraine hatte für Clara und Moritz Stamm sehr | |
hoffnungsvoll angefangen. In der Schweiz auf einem Bauernhof groß geworden, | |
ist der heute 43-jährige Moritz Stamm 2004 in die Ukraine gegangen. Den | |
väterlichen Bauernhof hatte sein Bruder übernommen. In der Ukraine hatte | |
Moritz Stamm zunächst als Praktikant, dann als Angestellter auf einem | |
landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet. Und sich dann 2006 als Bauer | |
selbstständig gemacht. | |
Ein Kredit hatte dem Paar das nötige Anfangskapital gegeben. Schnell war | |
klar, dass als Standort ein Ort nördlich von Odessa infrage kommt. Zum | |
einen war die Nähe zum Schwarzmeerhafen Odessa wichtig. Je näher ein Hof an | |
Odessa liegt, umso geringer sind die Kosten für den Transport des Getreides | |
zum Hafen. Gleichzeitig kam die Gegend unmittelbar um die Stadt herum wegen | |
ihrer großen Trockenheit nicht infrage. Bahwa und Onopriiwka haben sich als | |
gute Wahl erwiesen. | |
Dann kam der russische Angriffskrieg. Kurz vor dem 24. Februar 2022 hatten | |
Clara und die vier Kinder die Ukraine mit dem letzten Swiss-Linienflug | |
verlassen, sie lebten mehrere Monate im südbadischen Emmendingen. „Am | |
Anfang war die Panik groß“, berichtet Clara, die in dieser Zeit im | |
ständigen Kontakt mit ihren Bekannten und Freunden in Bahwa stand. Ihre | |
ukrainische Freundin habe sich immer wieder im Kartoffelkeller versteckt. | |
Wenn die Kinder nicht gewesen wären, wäre sie geblieben, sagt sie. | |
Moritz Stamm und seine Mitarbeiter erlebten in der Zeit, was Flucht | |
bedeutet. Jeden Tag waren in diesen Februar- und Märztagen 2022 bis zu | |
1.000 Autos mit Binnenflüchtlingen aus dem Osten durch das ansonsten so | |
beschauliche und verschlafene 600-Einwohner-Dorf gefahren. | |
Gerne erinnert sich indes die heute neunjährige Olivia Stamm an die | |
Sommermonate des Jahres 2022 in Deutschland. Ihre Oma, eine pensionierte | |
Lehrerin, unterrichtete die Kinder in Deutsch. Die Geschwister hatten sich | |
in Deutschland mit einem gleichaltrigen Mädchen angefreundet, mit der | |
Olivia immer noch regelmäßig Mails austauscht. Inzwischen ist Olivia wieder | |
in der Dorfschule von Bahwa. Doch ihre Zukunft, erklärt das Mädchen, sehe | |
sie in Deutschland. | |
In der Schule spricht Olivia Ukrainisch, zu Hause wird Deutsch gesprochen. | |
Und abends sieht sie deutsches Fernsehen. Am meisten liebt sie “Logo“, eine | |
Nachrichtensendung für Kinder. | |
## Moritz Stamm arbeitet die Nacht durch | |
Der Krieg ist für die Familie Stamm existenzbedrohend, erzählt Moritz | |
Stamm, während er einen riesigen Ofen seiner Trocknungsanlage mit einer | |
weiteren Ladung Stroh füttert. Es ist halb vier Uhr morgens, und das ist | |
für Moritz Stamm keine ungewöhnliche Arbeitszeit. Oft steht er in der | |
Erntezeit nächtelang an der Trocknungsanlage. „Der Mais darf eine | |
Feuchtigkeit von maximal 15 Prozent haben“, klärt er den Besucher auf. | |
Sonst würde er schimmeln. Und auch diese Nacht macht er durch. Niemand | |
außer ihm in seinem Betrieb kann mit der komplizierten Trocknungsanlage | |
umgehen. Moritz Stamm will diese Anlage, das Herz seines Betriebs, auch | |
niemandem anvertrauen. Bei einer unsachgemäßen Bedienung könne die ganze | |
Anlage in Brand geraten, berichtet er. | |
„90 Prozent unserer Erzeugnisse sind vor dem Krieg exportiert worden“, so | |
Moritz Stamm. Doch seit der [2][Schwarzmeerhafen Odessa durch die | |
russischen Streitkräfte weitgehend blockiert ist], bleibt er auf dem | |
Großteil seiner Produktion sitzen. Er wird wohl auch in diesem Jahr nur | |
wenig von seinem Mais und anderen Erzeugnissen verkaufen können – und das | |
auch noch zu deutlich niedrigeren Preisen. | |
Vor dem Krieg seien in Spitzenzeiten bis zu 280 Dollar für eine Tonne Mais | |
bezahlt worden. Zwar könne man jetzt über den Flusshafen von Ismail an der | |
Grenze zu Rumänien landwirtschaftliche Erzeugnisse exportieren. Doch nach | |
Ismail ist es weit, 200 Kilometer weiter als nach Odessa. Und längere | |
Transportwege bedeuten auch höhere Kosten. 40 Euro pro Tonne Mais koste | |
allein die Überfahrt von Ismail zum Hafen Constanta in Rumänien. Aber zum | |
einen sei die Kapazität von Ismail nicht annähernd vergleichbar mit dem | |
Hafen von Odessa, zum anderen seien auch die Gebühren des Exportes über | |
Ismail teuer. Und auch der Preis, den man in Rumänien für das Getreide | |
erhalte, sei relativ niedrig. | |
## Mais im Überangebot – die Preise fallen | |
Wenn man den Mais nach Deutschland exportiere, bezahle man allerdings 130 | |
bis 160 Euro pro Tonne, allein für den Transport auf dem Landweg nach | |
Deutschland. Und bei dem aktuellen Überangebot in der Ukraine erhalte man | |
in Deutschland auch nur noch gerade mal 220 Euro pro Tonne. Für den | |
landwirtschaftlichen Produzenten bleibe da kaum etwas übrig, sagt Stamm. | |
Auch der Düngerpreis habe sich im letzten Jahr verdreifacht. Während er vor | |
dem Krieg jährlich 700.000 Euro für Dünger ausgegeben habe, bezahle er | |
jetzt zwei Millionen Euro. Sicherlich könne man beim Dünger etwas sparen, | |
auf Kali könne er auch zeitweise verzichten. Aber auf Dauer komme man ohne | |
Phosphor, Kali und Stickstoff nicht aus, sagt der Experte: „Man sieht einem | |
Feld sofort an, wenn es keinen Stickstoff erhält.“ | |
Vier Millionen Euro hat der Hof der Stamms in anderthalb Jahren, seit | |
Februar 2022, an Einnahmen verloren – konservativ gerechnet. Insgesamt | |
seien die Verluste sogar noch höher gewesen. „Wir nehmen aktuell die Hälfte | |
von dem ein, was wir brauchen, um die Kosten zu decken“, so Moritz Stamm | |
zur taz. | |
Und die nichtmateriellen Verluste seien noch schwerwiegender: „Zu wissen, | |
dass jetzt mein bester Mähdrescherfahrer in russischer Kriegsgefangenschaft | |
ist, raubt mir oft den Schlaf“. Aktuell lägen 20- bis 25.000 Tonnen | |
Getreide auf dem Hof. Niemand wisse, wie lange sie da noch liegen werden. | |
Aber eigentlich könne man Mais nicht länger als zwei Jahre liegen lassen, | |
sagt der Landwirt. | |
Nun mache es Sinn, denkt Stamm nach, im nächsten Jahr einfach einige Felder | |
brach liegen zu lassen. Wenn er 2022 die Felder nicht beackert hätte, wäre | |
er lediglich mit einem Minus von einer Million Euro davongekommen, rechnet | |
er vor – weil dann etwa Kosten für Dünger und Treibstoff für die Maschinen | |
nicht angefallen wären. „Ich hätte meine Leute und meine Steuern bezahlt, | |
mehr nicht. So habe ich aber vier Millionen Euro verloren.“ | |
Aber auch wenn morgen der Krieg zu Ende wäre, hieße das nicht, dass dann | |
die Preise sofort wieder auf das Vorkriegsniveau steigen würden. Ein oder | |
zwei Jahre können die Stamms noch durchhalten, sagen sie. Doch dann müsse | |
man das Projekt Bauernhof in der Ukraine beenden. Er könne ja nicht ewig | |
nur für die Lagerhallen produzieren, sagt Stamm. | |
Seit vergangenem Sommer ist die Ukraine offiziell EU-Beitrittskandidat. | |
[3][Am Mittwoch hat die Kommission in Brüssel die Aufnahme von | |
Beitrittsverhandlungen empfohlen] – obwohl, wie auch Kommissionschefin | |
Ursula von der Leyen sagte, die Ukraine noch nicht alle Bedingungen für | |
einen Beitritt erfüllt habe. Unter anderem verlangt die EU eine | |
glaubwürdige Zusicherung der Ukraine, verstärkt gegen die Korruption im | |
eigenen Land vorzugehen. | |
Auch Moritz Stamm kann von einigen Unregelmäßigkeiten im Kontakt mit vor | |
allem einer Behörde berichten: Die Erledigung von Zollformalitäten sind für | |
ihn und seine Buchhaltung eine große Herausforderung. In der Ukraine, so | |
Stamm, herrsche beim Zoll mehr Bürokratie, seien die Abläufe | |
undurchsichtiger als in der Schweiz oder in Deutschland. Er habe in der | |
Schweiz in Grenznähe gelebt und gesehen, dass Zollformalitäten oft nur 30 | |
Minuten in Anspruch nähmen. In der Ukraine dauerten Bearbeitungs- und | |
Wartezeit auch mal zwei Wochen. | |
Eine Herausforderung für die Fahrer seien auch die Wartezeiten von bis zu | |
zwei Wochen an der Grenze. Und in dieser Zeit lebten die Lkw-Fahrer wie | |
Hunde, so drückt es Stamm aus. Dabei brauche er gerade jetzt, in Zeiten | |
akuten Personalmangels, jeden Fahrer. Aber auch Transporte mit der Bahn | |
raubten ihm manchmal die Nerven: Das Güterbahnsystem in der Ukraine sei | |
kompliziert und qualitativ schlecht. Seit Kriegsbeginn seien die Preise für | |
den Güterverkehr auf den Schienen stark gestiegen. | |
„Mir ist es schon passiert, dass ich in der Schweiz einen Traktor gekauft | |
habe, dem ukrainischen Zoll die Rechnung vorgelegt habe, und dann erleben | |
musste, dass man meinen Papieren nicht glauben wollte.“ Der ukrainische | |
Zoll habe eigene Gutachter herangezogen. Und die seien zu dem Ergebnis | |
gekommen, dass der tatsächliche Preis dieses Traktors doppelt so hoch wäre. | |
Und im Endeffekt habe er doppelte Zollgebühren bezahlen müssen, sagt Stamm. | |
Natürlich hätte er vor Gericht gehen können. Aber die ganze Wartezeit über | |
hätte er dann Standgebühren an den Zoll bezahlen müssen. Verloren hätte er | |
die Auseinandersetzung mit dem Zoll also gewissermaßen auch dann, wenn er | |
vor Gericht gewonnen hätte. | |
Und noch eine Geschichte erzählt Stamm: Sollte der Zoll bei einer Sendung | |
mit Reifen auf selbigen Spuren von Erde entdecken, sei auch das ein Grund | |
für Tests auf Radioaktivität. Auch in diesem Fall müsse der Unternehmer die | |
Gebühren für die Lagerung der Ware beim Zoll bezahlen. Insgesamt, da ist | |
sich Moritz Stamm sicher, geschähen diese Schikanen mit Billigung „von | |
oben“. Irgendwer, so Stamm, scheine daran interessiert zu sein, dass sich | |
jemand am Zoll die Taschen stopft. | |
Auch Diebstahl macht den Stamms zu schaffen. Auf beiden Höfen, die mit | |
Stacheldraht geschützt sind, habe man Nachtwächter, die darauf achten | |
müssen, dass niemand nachts unbefugt das Gelände betrete. | |
Der Krieg hat zudem das Personalproblem verschärft, die Familie Stamm | |
findet kaum noch Fahrer für ihre Mähdrescher und Lkws – obwohl der Betrieb | |
mit 2.000 Euro pro Monat in der Hochsaison überdurchschnittliche Löhne | |
bezahlt. Doch vor allem junge Menschen versuchen, in Städten oder im | |
Ausland bessere Jobs und damit ein besseres Leben zu finden. Wer bei einer | |
großen Firma Aufträge für Fahrten ins Ausland hat, wird sich nicht auf | |
einem landwirtschaftlichen Hof verdingen. | |
Einer, der gerne in der Landwirtschaft arbeitet, ist der 44-jährige Olexi. | |
Dass er überhaupt Mähdrescher fahren kann, liegt an dem inzwischen in | |
Kriegsgefangenschaft sitzenden Mitarbeiter Sascha Sajez, der Olexi noch | |
eingearbeitet hatte. Olexi wohnt in der Ortschaft Onoprijiwka, wo die | |
Stamms ihren zweiten Hof haben. | |
Olexi war nicht im Krieg. Wegen seiner Rückenprobleme, sagt er. Aber 50 | |
Männer aus seinem Dorf seien an der Front – bei einer Bevölkerung von 350 | |
Menschen. Was Olexi nicht verstehen kann, ist, dass hier in dieser Gegend | |
viele russischsprachige Familien aus dem Donbass leben, die von dort vor | |
der Front geflohen sind. Das führt zu Konflikten mit der einheimischen | |
Bevölkerung: Dass Männer aus dem Donbass in der Umgebung von Uman leben, | |
während einheimische Männer ebenjenen ukrainischen Donbass verteidigen, das | |
passt vielen in der Dorfbevölkerung nicht. | |
Lkw-Fahrer Witja, ein Mann mit Schnurrbart, der bei den Kaffee- und | |
Zigarettenpausen immer ein gern gesehener Unterhalter ist, war selbst | |
mehrere Monate an der Front im ukrainisch kontrollierten Donbass: „Dort | |
habe ich alles gesehen.“ Besonders gewundert habe er sich über die fehlende | |
Dankbarkeit der Bevölkerung. So sei es vorgekommen, dass sein Militärwagen | |
an einer Tankstelle nicht betankt worden sei, weil man etwas gegen die | |
Streitkräfte habe. Ja, sagt er, im Donbass gäbe es einige Menschen, die auf | |
der Seite von Russland seien. Und außerdem brächten es die Rückeroberungen | |
mit sich, dass noch weitere Gebäude in Mitleidenschaft gezogen würden. Und | |
das gefalle vielen Einheimischen nicht. | |
Wer mit dem Lastwagen nach Onopriiwka, der zweiten Niederlassung der | |
Stamms, fährt, kann die Depression der Landbevölkerung förmlich spüren. | |
Jedes zweite Haus steht leer. Wer sich hier ein Haus kaufen will, hat eine | |
große Auswahl: Im Internet werden sie auf der Plattform olx.ua für 2.000 | |
bis 5000 Euro zum Kauf angeboten. Und dieses Aussterben ganzer Dörfer | |
wird weitergehen. Hier kann die Gesamtbevölkerung eines Dorfs es | |
schlechter kompensieren, wenn die Männer in den Krieg einberufen werden, | |
als in den Metropolen. Und nicht alle Bauern haben das nötige Kleingeld, um | |
ein oder zwei Jahre nur für die Lagerhallen zu arbeiten: Dann müssen sie | |
verkaufen. | |
„Die Zukunft gehört den großen Agroholdings“, resümiert Mähdrescherfahr… | |
Olexi die Stimmung im Dorf Onopriiwka. Sollte Familie Stamm eines Tages den | |
Betrieb aufgeben und die Gegend verlassen, wäre diese um eine lebendige | |
Initiative ärmer – und um eine weitere Depression reicher. | |
13 Nov 2023 | |
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