| # taz.de -- Feministin über Konflikte: „Wir müssen das Verbindende finden“ | |
| > Der deutsche Feminismus ist von Spaltungen geprägt, aktuell etwa beim | |
| > Nahost-Krieg. Stefanie Lohaus plädiert in ihrem Buch für mehr | |
| > Pragmatismus. | |
| Bild: Berlin, Kreuzberg in den 80er Jahren: Frauen singen am Fenster des Frauen… | |
| taz: Es gibt den Spruch: „In die Vergangenheit guckt nur, wer Angst vor der | |
| Zukunft hat.“ Ist [1][Ihr Rückblick auf fünf Jahrzehnte deutscher | |
| Feminismus] auch aus Angst vor einem Blick in die Zukunft entstanden, Frau | |
| Lohaus? | |
| Stefanie Lohaus: Nein. Und die Aussage ist totaler Quatsch. Um die | |
| Gegenwart zu verstehen, musst du die Vergangenheit kennen. Für die Zukunft | |
| lernen ist etwas schwieriger, weil Dinge sich nicht eins zu eins | |
| wiederholen, aber es lassen sich Gefahren und Möglichkeiten besser | |
| erkennen. Ich selbst hatte lange ein oberflächliches Bild von der | |
| feministischen Bewegung, später lernte ich durch das Missy Magazine viel | |
| über Popfeminismus, aber kaum etwas über institutionalisierten Feminismus. | |
| Ich glaube, so geht es vielen. Deswegen ist mein Buch der Versuch, die | |
| verschiedenen politischen Richtungen und Formen des Aktivismus aufzuzeigen. | |
| Und was kann man daraus dann lernen? | |
| Dass die Bandbreite an Optionen und Strategien ihre Berechtigung hat. Mir | |
| geht es bei allem Widerspruch darum, das Verbindende zu finden. Oft tun wir | |
| so, als ob die verschiedenen Gruppen und Strömungen kaum Berührungspunkte | |
| haben. Dabei kann sowohl ein Staatsfeminismus als auch ein linksradikaler | |
| Feminismus etwas bewirken. Die Konflikte sollten nicht alles bestimmen, | |
| sondern man sollte lieber immer mal wieder gucken, wo man zusammenarbeiten | |
| kann. | |
| Die Frage ist aber, mit wem man bereit ist, Bündnisse einzugehen. Ich kann | |
| von einer trans Person ja nicht erwarten, mit [2][transfeindlichen | |
| Feminist_innen] auf die Straße gehen. | |
| Das stimmt. Ich plädiere dafür, Ausschlüsse, die man erzeugt, mitzudenken | |
| und sich solidarisch zu zeigen. Und eine Zusammenarbeit soll nicht | |
| bedeuten, keine Kritik zu äußern. Es geht nicht darum, sofort ein Bündnis | |
| einzugehen, sondern punktuell zusammenzuarbeiten. Denn wenn man sich in | |
| einer Frage uneinig ist, kann man sich ja in vielen anderen einig sein. Wir | |
| können Schnittmengen erkennen und strategisch nutzen. | |
| Trotz aller Risse und Streitthemen behalten Sie einen positiven Grundton. | |
| Woher kommt der? | |
| Das liegt darin, dass ich Pragmatikerin bin. Mir geht es nicht darum, eine | |
| ideologische Einigkeit zu erzielen. Handlungsleitend für meinen Feminismus | |
| ist, sich daran zu orientieren, was Praktikerinnen sagen. Wenn ich mich mit | |
| komplexen Themen wie Sexarbeit beschäftige, dann haben für mich diejenigen | |
| die schlagendsten Argumente, die selbst Sexarbeit ausüben oder die | |
| professionell mit Sexarbeiter*innen arbeiten, wie etwa | |
| Sozialarbeiter*innen. Für mich steht dann nicht die Frage im Vordergrund: | |
| Ist Sexarbeit befreiend oder unterdrückend? Mir geht es darum, wie ist die | |
| soziale Situation von Leuten und was machen bestimmte Gesetzesvorhaben mit | |
| den betroffenen Personen. | |
| Ihr Buch deckt wichtige feministische Meilensteine ab: Vom legendären | |
| Tomatenwurf 1968 beim Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds | |
| über die Situation der Frau in der DDR bis zur [3][Abschaffung von Paragraf | |
| 219a]. Andere Errungenschaften wie der Streik der türkischen | |
| Gastarbeiterinnen, die für die Abschaffung der Leichtlohnklassen gekämpft | |
| haben, fehlen. Wie entscheidet man, was in die Geschichte gehört und was | |
| nicht? | |
| Man muss ein Buch der deutschen Feminismusgeschichte auf Lücke schreiben, | |
| das geht nicht anders, aber es hat mich auch sehr frustriert beim | |
| Schreiben. Ich habe dann ganz persönlich entschieden, weil ich versucht | |
| habe, meine Erfahrungen in einem größerem Kontext zu sehen. Dafür habe ich | |
| verschiedene Themenbereiche ausgemacht und jeden mit mindestens einem | |
| Beispiel abgedeckt. Die Relevanz von migrantischem Feminismus in | |
| Deutschland taucht dann an anderer Stelle auf. | |
| Die meisten Eckdaten, die mir einfallen, sind Jahrzehnte her oder relativ | |
| aktuell. Es scheint, der Feminismus hätte in den 90er und 00er Jahren eine | |
| Pause gemacht. Ist da was dran? | |
| Ich glaube, dieser Eindruck entsteht, weil Feminismus nicht nur als | |
| politischer Aktivismus, sondern auch als Jugendbewegung verstanden werden | |
| kann. In den 70ern ist im Feminismus eigene Mode entstanden, Räume wurden | |
| besetzt, Zeitschriften und Gruppen gegründet. Irgendwann war diese | |
| Zeitspanne vorbei, die Frauen sind älter geworden, haben aufgehört, sich | |
| aktivistisch zu engagieren, oder sind in die Institutionen gegangen. In den | |
| 90ern gab es in den USA mit den „riot girls“ wieder eine Jugendbewegung, | |
| aber die kam in Deutschland nur punktuell an. Erst Ende der 00er Jahre kam | |
| der Feminismus hier richtig zurück. Es entstanden Magazine und Blogs, | |
| Feminist_innen haben sich im Netz zusammengefunden. Eine super aufregende | |
| Zeit. | |
| War Feminismus früher wirkmächtiger als heute? | |
| Ja, der Widerspruch zwischen dem Zustand der Demokratie und wie sie sein | |
| sollte, war früher größer, deswegen konnte die Bewegung wirkmächtiger sein. | |
| Wenn man sich den Frauenanteil der 80er Jahre in Politik, Wissenschaft oder | |
| Journalismus anschaut, war die Hälfte der Bevölkerung kaum sichtbar. Heute | |
| wirkt der Sexismus subtiler, aber wir haben immer noch keine | |
| Chancengerechtigkeit, und geschlechtsspezifische Gewalt wird auch nicht | |
| weniger. | |
| Die ist ein Schwerpunktthema der Bewegung in den letzten Jahren. Mit | |
| #Aufschrei und [4][später #MeToo] haben Feminist_innen das Thema in die | |
| Mehrheitsgesellschaft gebracht. Welchen Erfolg hat das gehabt? | |
| Das Bewusstsein für diese Problematik ist auf jeden Fall gewachsen. Auch | |
| Menschen aus konservativen Bereichen sagen jetzt, dass Sexismus nicht | |
| akzeptiert werden darf. Und ich glaube auch, dass sich vor allem jüngere, | |
| von Sexismus betroffene Personen stärker zur Wehr setzen. | |
| Aber dieses Bewusstsein reicht nicht, um die Gewalt zu beenden. | |
| Es gibt eine Tätergruppe, die gar nicht davon überzeugt ist, dass alle | |
| Menschen gleich viel wert sind. Und von dieser geht dann eben | |
| geschlechtsspezifische, rassistische, antisemitische oder queerfeindliche | |
| Gewalt aus. In einem ersten Schritt müsste man diese Menschen zum Umdenken | |
| bringen. Wenn das nicht gelingt, müssen sie abgehalten werden, Gewalt | |
| auszuüben. Wenn das nicht gelingt, müssen Betroffene geschützt werden. Und | |
| wenn das nicht gelingt, müssen sie im Nachhinein besser unterstützt werden. | |
| Und was braucht es, damit diese Schritte konkret umgesetzt werden können? | |
| Es gibt Gesetze, die vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützen sollen. | |
| Aber ein Gesetz führt nicht dazu, dass etwa Richter_innen entsprechend | |
| geschult sind, Täter-Opfer-Umkehrungen oder Vergewaltigungsmythen erkennen. | |
| Neben einer optimalen Gesetzeslage braucht es also | |
| Sensibilisierungstraining und entsprechende Ausstattung in allen Bereichen. | |
| Von den Behörden bis zu Frauenhäusern. Und das Ganze rassismussensibel und | |
| transinklusiv. Es gibt einfach noch zu viele Probleme. Aber jede | |
| Verurteilung und jede Hashtag-Aktion bringt uns einen Schritt nach vorne. | |
| Aber es ist eben ein langwieriger Prozess, der durch gegenläufige Tendenzen | |
| auch aufgehalten werden kann. | |
| Aktuell ziehen sich Feminist_innen aus sozialen Medien und damit auch aus | |
| den öffentlichen Debatten zurück. | |
| Ja, gerade findet ein richtiger Backlash statt und das ist sehr bedrohlich. | |
| Die öffentliche Debatte findet in wenigen Netzwerken statt, deren | |
| Privatbesitzern man quasi willkürlich ausgesetzt ist. Der Schutz gegen | |
| rechts fehlt. Die Sichtbarkeit ist von deren Algorithmen abhängig und | |
| gerade Feminist_innen haben es da mit ihren Themen nicht leicht. | |
| Jüdische Stimmen wie Dana Vowinckel und Dana von Suffrin [5][haben sich von | |
| Plattformen wie Instagram abgemeldet], auch wegen fehlendem Rückhalt aus | |
| der Bubble der intersektionalen Feminist_innen. Ist das ein strukturelles | |
| Problem? | |
| Ja, das scheint mir ein strukturelles Problem, ich würde sogar sagen, es | |
| ist ein kollektives Versagen. Dabei finde ich Intersektionalität ein gutes | |
| Konzept – es muss aber antisemitismuskritisch erweitert werden. Verstehen, | |
| wie Antisemitismus funktioniert und dass er sich eben spezifisch | |
| unterscheidet von Rassismus. | |
| Man sollte das Konzept also noch nicht beerdigen? | |
| Es funktioniert gut als Anleitung, um Mehrfachdiskriminierungen zu erkennen | |
| und daraus Antidiskriminierungsmaßnahmen zu schaffen. Aber man sollte das | |
| Konzept nicht überhöhen. Es verhält sich ähnlich wie mit postkolonialen | |
| Theorien. Die haben uns enorm weitergebracht und einen Teil der Welt | |
| erklärt, aber wenn man überall nur noch Kolonien und Kolonisatoren sieht, | |
| macht das keinen Sinn. Besser ist doch, zu sagen: Das hier ist eine | |
| Philosophie, eine Theorie oder ein Konzept, was dieses oder jenes Problem | |
| erklärt oder auch beheben soll, aber es muss ja nicht gleich die ganze Welt | |
| erklären. So sehe ich das auch mit feministischen Theorien. Keine für sich | |
| allein genommen wird Sexismus abschaffen. | |
| Der Streit um [6][Intersektionalität] wird die Bewegung sicherlich noch | |
| länger beschäftigen. Blicken Sie trotz aller Streitthemen auch positiv in | |
| die Zukunft? | |
| Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Auf politischer Ebene sehe ich gerade erst | |
| einmal Stillstand und fehlende Ressourcen. Und es gibt natürlich die Gefahr | |
| des Backlash, gerade wenn die AfD mehr politische Macht bekommt. Umso | |
| wichtiger, dass feministische Bewegungen dagegen halten. | |
| 23 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Feminismus-Buch-von-Stefanie-Lohaus/!5965872 | |
| [2] /Transaktivistin-ueber-TERFs/!5920500 | |
| [3] /Schwerpunkt-Paragraf-219a/!t5480560 | |
| [4] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381 | |
| [5] /Autorin-ueber-Judenhass-in-der-Literatur/!5969820 | |
| [6] /30-Jahre-Intersektionalitaet/!5591480 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
| ## TAGS | |
| Feminismus | |
| Interessenskonflikte | |
| Transgender | |
| Social Media | |
| Backlash | |
| GNS | |
| Queerfeminismus | |
| Medien | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025 | |
| Feminismus | |
| Gender | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mit Plakaten gegen Frauenhass: Wände voller Wut | |
| Mit Plakatieraktionen trägt die Gruppe „Feministische Plakate Berlin“ | |
| politische Botschaften in den Stadtraum – und erhält dafür nicht nur | |
| Zuspruch. | |
| Ende von „Jezebel“: Der Kampf geht weiter | |
| Diesen Monat wurde die US-Webseite „Jezebel“ eingestellt. Damit endet eine | |
| Ära feministischer Selbstermächtigung. Die Inhalte bleiben aktuell. | |
| Linker Feminismus: Wem gehören die Küchen? | |
| Bei der MarxFem-Konferenz in Warschau diskutierten Teilnehmerinnen über | |
| Feminismus und dessen materielle Basis. Wie arbeiten wir und wie sorgen | |
| wir? | |
| Feminismus-Buch von Stefanie Lohaus: Was erkämpft worden ist | |
| „Missy Magazine“-Mitgründerin Stefanie Lohaus geleitet kurzweilig durch die | |
| Geschichte des Feminismus in Deutschland – und wagt einen Ausblick. | |
| Gendergerechtigkeit in Deutschland: Objektiv messbar | |
| Nie zuvor hatten Frauen so viele Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben. | |
| Trotzdem hat der Feminismus sein Ziel noch längst nicht erreicht. | |
| Chefredakteurin über „Missy“-Geburtstag: „Die ‚Missy‘ ist politische… | |
| Das feministische „Missy Magazine“ wird zehn Jahre alt. Die Chefredakteurin | |
| Anna Mayrhauser über das schwierige Anzeigengeschäft und die Zukunft des | |
| Heftes. |