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# taz.de -- Linker Feminismus: Wem gehören die Küchen?
> Bei der MarxFem-Konferenz in Warschau diskutierten Teilnehmerinnen über
> Feminismus und dessen materielle Basis. Wie arbeiten wir und wie sorgen
> wir?
Bild: Protest im Januar 2021 in Krakau gegen das faktische Abtreibungsverbot in…
Ausgerechnet in Warschau trafen sich vergangenes Wochenende hunderte
feministische Akademikerinnen und Aktivistinnen aus der ganzen Welt zur 5.
MarxFem-Konferenz. Polen wurde seit 2015 von der rechtsextremen PiS
regiert, die in dieser Zeit das Recht auf Abtreibung abgeschafft und gegen
queere Minderheiten gehetzt hat. Doch gerade das hat eine kämpferische und
vor allem effektive feministische Bewegung erweckt: Erst im [1][Oktober
verlor die PiS ihre Mehrheit].
Eine feministische Konferenz in Polen könnte als Zeichen der Solidarität
für polnische Aktivistinnen gelesen werden, aber vielmehr gehe es darum,
westlichen Feministinnen an die Positionen osteuropäischer Feministinnen
heranführen, sagt die in Warschau lehrende Philosophin Ewa Majewska,
Vorsitzende des wissenschaftlichen Komitees der Konferenz.
Oft seien diese unterrepräsentiert. Wenn Positionen aus der Region in
politischen oder akademischen Debatten vorkämen, dann meist nur, um Empirie
oder historische Erzählungen zu liefern. „Dabei haben wir auch brillante
Theoretikerinnen hier!“ Der marxistische Anteil an der Konferenz sei
zentral: Ohne fundamentale Begriffe wie Ausbeutung, Entfremdung oder
[2][Reproduktionsarbeit] könne man keine feministischen Analysen liefern.
Gegründet wurde MarxFem 2015 in Berlin von Frigga Haug vom Institut für
Kritische Theorie InkriT. Bei der Eröffnungszeremonie scheiterten die
Urgesteine der westdeutschen Linken Haug und ihr Ehemann Wolfgang Fritz
Haug im Cameo fast am Zoom-Call. Auch die mäandrierende Rede von Gayatri
Spivak, der Grande Dame der postkolonialen Theorie, die doch nie zum
versprochenen Punkt über ursprüngliche Akkumulation und Gender kam, lenkte
etwas von den sonst ausgezeichneten Beiträgen ab.
## Massenbewegung geworden
Das Eröffnungspanel zu Feminismus in Polen demonstrierte die Stärke und
Breite der feministischen Bewegung im Land. „Danke, Jarosław Kaczyński,
dass du für die Mobilisierung von Frauen gesorgt hast“, scherzte Majewska
bitter, bevor sie drei Punkte für den Erfolg der Bewegung skizzierte: Der
Feminismus in Polen habe aufgehört, nur eine Bewegung von Aktivistinnen und
Intellektuellen zu sein, sondern sei zu einer Massenbewegung geworden.
Dazu habe sie [3][das Thema Abtreibung] vom liberalen Paradigma der
Wahlfreiheit gelöst und die Vorstellung von reproduktiver Gerechtigkeit
gestärkt. Auch die Idee politischer Wirkungsmacht habe sich von einer
[4][heroischen zu einer alltäglicheren gewandelt], vielleicht einer Art der
politischen Betätigung, die auch marginalisierteren Menschen möglich ist,
statt sich im Gefühl des ständigen Ausnahmezustands auszuzehren.
## Erstarkende Gewerkschaften
Eine Rede von Anna Grodzka, die 2011 bis 2015 im polnischen Parlament saß
und damit die erste trans Parlamentarierin Europas wurde, gab ein klares
Signal: Der Feminismus dieser Konferenz umfasst auch trans Menschen. Kasia
Rakowska von der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza
(Arbeiter:innen-Initiative), die in Polen [5][zentral daran beteiligt war,
Angestellte in Amazon-Lagern gewerkschaftlich zu organisieren], berichtete
von der erstarkenden Gewerkschaftsbewegung, die von Frauen getragen wird.
So haben 2019 die Lehrer:innen in ganz Polen mehrere Wochen lang für
höhere Löhne gestreikt. Leider erfolglos. Trotzdem zeige 2019, dass sich in
einem Land, das von Schocktherapie und Neoliberalismus geprägt ist,
Gewerkschaften endlich wieder was trauen.
Obwohl viele Diskussionen um die Themen Lohn- oder Reproduktionsarbeit
kreisten, gab es bei der Konferenz seltsamerweise keine Kinderbetreuung.
Auch wirkten einige der über 50 Vortragenden nicht gerade verankert im
marxistischen Denken. Rosa Luxemburg als Theoretikerin imperialistischer
Kriege und gebürtige Polin sowie Sylvia Federici als Vordenkerin der
Care-Arbeit sind allgegenwärtig, aber andere Fixpunkte des marxistischen
Feminismus wie Clara Zetkin oder Alexandra Kollontai fanden kaum Erwähnung.
## „Arbeit, work, rabota“
Manchen Vorträgen schadete die wenig materialistische Basis nicht, etwa der
ausgezeichneten Recherche von Agnieszka Graff und Elżbieta Korolczuk über
christlich-fundamentalistische Netzwerke. Andere jedoch zeigten, was eine
materialistische Analyse leisten kann. Irina Herb von der Uni Jena
behandelte die Debatten um Reproduktionsmedizin – Eizellenspenden,
künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft – in einem materialistischen
Framework und warf so wichtige Fragen auf: Welcher Druck baut sich da auf
Frauen auf, ihren Körper wie zu monetarisieren? Wer profitiert davon? Wem
gehören die Mittel der Reproduktion, die Küchen?
Die Anthropologin Ursula Probst von der FU Berlin umschiffte bravourös die
Klippen [6][des Spaltungsthemas Sexarbeit]. Es sei ja gerade in
feministischen Kreisen umstritten, ob man von Sexarbeit oder Prostitution
spreche. Sie halte sich dran, wie ihre Interviewpartnerinnen über diese
Tätigkeit sprächen: „Arbeit, work, rabota“. Doch herrsche die neoliberale
Vorstellung eines individuellen Empowerments vor. Debatten zu Sexarbeit
müssten dringend in Debatten um Arbeit allgemein integriert werden. „Jede
Arbeit, die ich machen könnte, zehrt mich körperlich und geistig aus“,
zitiert Probst eine Interviewpartnerin.
## Parelleluniversum
Über allem aber schwebte das Thema Krieg. Aus deutschem Kontext kommend, in
dem [7][Solidarität mit der israelischen Regierung] als Staatsräson auch
unter vielen Linken gilt, wirkt der Besuch an einer Versammlung
internationaler Linker, als würde man in ein Paralleluniversum treten.
Viele trugen demonstrativ das palästinensische Tuch Kufiya, mehrere
Panelistinnen referierten ursprünglich angedachte Themen gar nicht, sondern
berichteten über ihren Pro-Palästina-Aktivismus. Dabei gäbe es einige
materialistische und feministische Analysen, die zu einem besseren
Verständnis beitragen könnten, etwa über die Funktion palästinensischer
Arbeitskräfte für die israelische Wirtschaft, die in der Selbstdarstellung
privilegierter westlicher Akademikerinnen untergehen.
Ein anderer Graben geht mitten durch die Linke weltweit, auch durch die
deutsche: Wie über den [8][Krieg in der Ukraine] nachdenken? Hier wurden
westliche Linke beim Abend-Panel zu Krieg von ihren osteuropäischen
Kolleginnen heftig kritisiert. Die ukrainische Soziologin Oksana Dutchak
versuchte feministische Positionen zu erörtern und einen Weg zu finden, die
Spaltung zu überwinden. Sie beklagte die Lust antiimperialistischer Linker
darauf, sich am Westen zu rächen, die auf Kosten der Ukraine ausgelebt
werde. An einem Punkt versagte ihre Stimme, und sie weinte. „Ein weiterer
Nebeneffekt davon, gerade an politischen Diskussionen teilzunehmen“,
sagte sie, als sie sich gefangen hatte.
Wie an vielen Orten zurzeit zeigte sich auch in Warschau die Schwierigkeit,
von Betroffenen zu erwarten, die emotionale Arbeit zu leisten, klar zu
denken und zu sprechen, so dass Unbeteiligte bessere Analysen geliefert
bekommen. Vielleicht lassen sich diese Gräben durch mehr Gespräche
überbrücken. Vielleicht bei der nächsten MarxFem 2025 in Portugal.
23 Nov 2023
## LINKS
[1] /Regierungsbildung-in-Polen/!5969702
[2] /Podcast-We-Care/!5714474
[3] /Protest-gegen-Abtreibungsgesetze-in-Polen/!5941104
[4] https://www.versobooks.com/en-gb/products/2660-feminist-antifascism
[5] https://www.woz.ch/2115/arbeitskaempfe-bei-amazon/wenn-wir-wollen-steht-das…
[6] /Debatte-um-Prostitutionsgesetz/!5930763
[7] /Solidaritaet-mit-Israel/!5965103
[8] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
## AUTOREN
Caspar Shaller
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