# taz.de -- Solidarität mit Israel: „Euer Schmerz ist unser Schmerz“ | |
> Ein breites Bündnis demonstriert am Sonntag gegen Antisemitismus und | |
> gegen den Terror der Hamas. Angehörige der Geiseln fordern zum Handeln | |
> auf. | |
Bild: Trauer und Wut am Sonntag bei der Solidaritätskundgebung für Israel | |
BERLIN taz | Wo ist Eitan Yahalomi? Wo ist David Shalev? Wo ist Ariel | |
Bibas? Seit 15 Tagen sind sie nun verschwunden. Verschleppt von der | |
Terrormiliz Hamas. Es gibt kein Lebenszeichen, keinen Hinweis, wo sie sind, | |
von diesen drei Israelis, wie von rund 200 anderen. „Holt sie zurück nach | |
Hause, jetzt!“, rufen die Angehörigen der Geiseln an diesem Sonntag am | |
Brandenburger Tor. Die Zahlen haben Gesichter bekommen. | |
Hinter den Zahlen stehen Geschichten. Da ist die Schwester einer jungen | |
Frau, die ihren Geburtstag feiert. Da ist der Familienvater, dessen Frau | |
und Kinder zu Besuch in einem der Kibbuzim war, die am 7. Oktober von der | |
Hamas überfallen wurden. Am Brandenburger Tor wollen sie um Hilfe bitten. | |
85 Jahre nach der Reichspogromnacht. „Ich stehe hier allein“, sagt eine der | |
Angehörigen. „Du bist nicht allein“, ruft es ihr aus der Menge entgegen. | |
Ein breites Bündnis unter dem Motto „[1][Gegen Terror, Hass und | |
Antisemitismus] – Solidarität für Israel“ hatte zu der Kundgebung | |
aufgerufen. Teil des Bündnisses sind neben der Deutsch-Israelischen | |
Gesellschaft und der Nichtregierungsorganisation Campact Gewerkschaften, | |
der Paritätische, Arbeitgeberverbände, die beiden großen christlichen | |
Kirchen, alle demokratischen Parteien, der Zentralrat der Juden sowie die | |
Alhambra-Gesellschaft als einziger muslimischer Verband. Enorme | |
Sicherheitsvorkehrungen wurden aufgefahren, nach Angaben der Veranstalter | |
sollen rund 25.000 Menschen zum Brandenburger Tor gekommen sein. | |
Es werden Israel-Flaggen geschwenkt, aber auch kurdische und iranische | |
Flaggen sind zu sehen. „Schluss mit dem Terror gegen Juden“, heißt es auf | |
einem Plakat. „Weg mit Hamas.“ Am Freitagabend wurde überraschend bekannt, | |
dass bei der von zivilgesellschaftlichen Gruppen organisierten | |
Solidaritätskundgebung für Israel auch Bundespräsident Frank-Walter | |
Steinmeier sprechen wird. „Tief eingebrannt wird der 7. Oktober in uns | |
bleiben“, sagt der Bundespräsident am Sonntag. | |
## Staatsaufgabe und Bürgerpflicht | |
Und: Seit dem sei nichts mehr, wie es zuvor war. [2][Es erfülle ihn mit | |
Scham], dass in Deutschland Molotowcocktails auf Synagogen geworfen werden, | |
dass antisemitische Parolen auf den Straßen gerufen werden, dass jüdische | |
Einrichtungen verschärft gesichert werden müssen. „Der Schutz jüdischen | |
Lebens ist Staatsaufgabe, aber auch Bürgerpflicht“, sagt Steinmeier. Und zu | |
den Angehörigen der Verschleppten: „Ihr seid nicht allein. Euer Schmerz ist | |
unser Schmerz.“ Steinmeier vergisst auch nicht, auf das Leid der | |
unschuldigen Zivilbevölkerung im Gazastreifen hinzuweisen. Es brauche | |
humanitäre Korridore. „Das ist ein Gebot der Menschlichkeit.“ | |
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, fordert die | |
Bevölkerung in Deutschland auf, nicht länger zu schweigen, sondern zu | |
handeln gegen Antisemitismus und auch mit einer klaren Verurteilung der | |
Terrormiliz Hamas. „Wer jetzt nicht verurteilt, das sind nicht unsere | |
Freunde.“ Prosor prangert scharf an, dass von der Mehrheit der Moscheen und | |
muslimischen Verbände keine eindeutige Haltung zu hören war. „Wo stehe | |
ich?“, müsse sich jeder fragen. „Wir werden an Taten gemessen, nicht nur an | |
Worten. Wir stehen zusammen, wir sind stark.“ | |
Prosor macht auch unmissverständlich klar, dass die Infrastruktur der Hamas | |
im Gazastreifen vollständig zerstört werden wird. Er ist ein Mann im Krieg, | |
einer, der Kanzler Scholz nach Israel begleitete, beim Besuch der | |
Außenministerin Baerbock dabei war. „Hamas ist eine Gefahr für uns alle.“ | |
Die Sorge vor dem Flächenbrand in der Region sei auch eine Bedrohung für | |
Deutschland. „Sonst kommt der Terror aus Gaza nach Deutschland.“ | |
Die Nichtregierungsorganisation Campact zählt ebenso zu den | |
Mitorganisatoren. „Wenn Haustüren mit dem Davidstern beschmiert werden, | |
wenn Hamas-Anhänger das Massaker als Befreiungsschlag darstellen, dann | |
braucht es jetzt die uneingeschränkte Solidarität mit Israel“, hatte | |
Christoph Bautz von Campact bereits während der Organisation der | |
Veranstaltung betont. [3][„Nie wieder ist jetzt!“] | |
## Alhambra-Gesellschaft einziger muslimischer Verband | |
Am Sonntag äußerten sich Redner:innen aller demokratischen Parteien des | |
Bundestags. Darunter CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der | |
Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour oder die SPD-Parteivorsitzende | |
Saskia Esken. Für die Linke sprach Parteichef Martin Schirdewann, für die | |
FDP Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil | |
(SPD) ist unter den Zuhörenden, Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die | |
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). | |
Muslimische Verbände waren bis auf die Alhambra-Gesellschaft nicht Teil des | |
Bündnisses. Bei der Alhambra-Gesellschaft handelt es sich nach eigenen | |
Angaben um einen Zusammenschluss von Muslim:innen, „die sich als originärer | |
Teil der europäischen Geschichte und ihrer jeweiligen europäischen | |
Heimatgesellschaft verstehen“. Ziel sei es, vor allem jungen | |
Muslim:innen „eine positive Selbstwahrnehmung auf der Grundlage des | |
Völkerverständigungsgedankens“ zu vermitteln. | |
Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft findet am Sonntag klare Worte: | |
„Wenn Muslime gegen Juden hetzen und auch hier bedrohen, dann müssen | |
zuallererst wir Muslime aufstehen und einschreiten.“ [4][Die Sicherheit von | |
Juden in Deutschland sei auch ihre Aufgabe.] | |
Der Koordinationsrat der Muslime hatte sich in einer gemeinsamen Erklärung | |
bereits vor Tagen positioniert. „Die Entwicklungen zeigen, dass dringend | |
Schritte zur Deeskalation unternommen werden müssen“, heißt es dort. Man | |
verurteile den Terror gegen die Zivilbevölkerung in Israel durch die Hamas | |
und rufe dazu auf, die Gewalt zu beenden und die Geiseln unverzüglich | |
freizulassen. „Angesichts des Konflikts im Nahen Osten dürfen jüdische und | |
muslimische Gotteshäuser und Einrichtungen in Deutschland nicht zur | |
Projektionsfläche dieser gewalttätigen Auseinandersetzung werden.“ Gewalt | |
und Hass hätten keinen Platz auf deutschem Boden. | |
Wie groß der Schmerz ist, wie schwer es sein wird, zusammenzustehen, wird | |
an diesem Sonntag in Berlin klar. Auf der Bühne vor Tausenden Menschen | |
stimmt die Schwester einer der Verschleppten ein Lied an, das alle auf der | |
Welt kennen: „Happy Birthday“. Die Menge stimmt verhalten ein. Es ist | |
nicht die Zeit, laut zu sein, sondern zutiefst irritiert zu sein über die | |
Tatsache, dass unschuldige Menschen am 7. Oktober aus ihrer Normalität | |
gerissen wurden. | |
22 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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