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# taz.de -- Pro-Palästina-Demonstrationen: Hamburger Härte
> Seit einem Monat sind „pro-palästinensische“ Versammlungen in Hamburg per
> Allgemeinverfügung verboten. Kritik daran gibt es kaum.
Bild: Von der Hamburger Polizei nicht erwünscht: Demonstrierende mit Palästin…
Hamburg taz | Auf keinem der 755 Quadratkilometer Landesfläche dürfen
derzeit in Hamburg sogenannte Pro-Palästina-Demonstrationen stattfinden,
die nicht zuvor angemeldet und behördlich bestätigt wurden. Nicht im
Stadtteil St. Georg mit seinen vielen Moscheen, natürlich nicht vor der
Synagoge an der Hohen Weide, aber auch nicht am ländlichen Borghorster
Elbdeich kurz vor der Grenze zu Schleswig-Holstein. Die bei der Polizei
angesiedelte Versammlungsbehörde verbietet das seit mehr als einem Monat
schon per Allgemeinverfügung und [1][schränkt damit flächendeckend die
Versammlungsfreiheit ein.] Ein Skandal? So richtig laut ist die Kritik an
dieser harten hanseatischen Linie vor Ort nicht.
Am 16. Oktober gab die Hamburger Polizei spätabends bekannt, dass ab
Mitternacht im gesamten Stadtgebiet alle Versammlungen verboten sind, die
„inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf
das Staatsgebiet Israels aufweisen“. In Klammern setzte sie dahinter, was
darunter zu verstehen sei: „sog. pro-palästinensische Versammlungen“. Drei
Tage sollte das Verbot gelten – bereits [2][neun Mal gab die Polizei
seither eine Verlängerung der Allgemeinverfügung für jeweils drei bis vier
Tage bekannt.]
Wie in der ganzen Bundesrepublik war auch in Hamburg die Furcht nach der
Terrorattacke der Hamas auf Israel groß, dass es im Zuge der militärischen
israelischen Reaktion zu antisemitischen Ausschreitungen und
volksverhetzenden Demonstrationen kommen würde. In Berlin waren, kurz bevor
die Hamburger Polizei ihr Generalverbot aussprach, die Hamas-Attacken
gefeiert und dutzende Straftaten im Zuge von Kundgebungen erfasst worden.
Am Rande einer Solidaritätskundgebung für Israel in der Hamburger
Innenstadt gab es vereinzelte antisemitisch motivierte Übergriffe auf
Demo-Teilnehmer:innen – Szenen, von denen es in ähnlicher Form bundesweit
Berichte gab.
Doch nirgendwo sonst wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit so sehr
eingeschränkt. Eine solche Allgemeinverfügung gibt es sonst in keinem
anderen Bundesland, auch in Berlin waren bislang immer nur einzelne
Demonstrationen untersagt worden. Seit dem 7. Oktober habe es dort 116
pro-palästinensische Demonstrationen gegeben, 22 seien verboten worden,
berichtete Anfang der Woche die SPD-Innensenatorin Iris Spranger (SPD). In
Frankfurt am Main waren mehrere Demos in einem Zeitraum von wenigen Tage
untersagt worden.
## Selbstbild Hamburgs als liberale Großstadt
Für Deniz Celik entspricht das anhaltende Verbot „nicht dem Selbstbild
Hamburgs als liberale Großstadt“. Celik sitzt für die Linkspartei im
Hamburger Parlament, der Bürgerschaft, und ist innenpolitischer Sprecher
der Fraktion.
„Ein Demonstrationsverbot muss immer die Ultima Ratio sein“, sagt Celik.
„Viele, die sich auf einer Demonstration solidarisch mit der
palästinensischen Bevölkerung zeigen und zur Einhaltung von Menschenrechten
mahnen wollen, fühlen sich nun ausgegrenzt“, sagt er. „Das Verbot
untergräbt ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“
Bei Fatih Yildiz klang das etwas anders. „Wir begrüßen es sehr, dass es
endlich möglich war, eine Kundgebung durchzuführen“, sagte der Vorsitzende
der Schura, des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, dem
Hamburger Abendblatt. Zuvor hatte die Polizei, als Ausnahme und mit vielen
Vorgaben, eine Demo der Schura genehmigt – weil die Schura ausdrücklich ihr
Mitgefühl für die israelischen Opfer geäußert und ihre Mitglieder davor
gewarnt hatte, an Kundgebungen von extremistischen Gruppen teilzunehmen.
Yildiz selbst beendete die Kundgebung mit rund 800 Teilnehmer:innen
vorzeitig: [3][Eine kleine Gruppe habe unbeirrt nicht zugelassene Parolen
skandiert.]
## Wenig Unterstützung aus dem linken Lager
Anders als in Berlin gab es aus dem linken Lager wenig Unterstützung für
Kundgebungen, die den Eindruck erweckten, Palästina näher als Israel zu
stehen. Am meisten Aufmerksamkeit erregte noch [4][der innerlinke
Plakat-Streit an der Fassade des autonomen Zentrums Rote Flora im
Schanzenviertel:] „Killing Jews is not fighting for freedom“ stand da
zunächst, ehe Unbekannte den Schriftzug in „Killing humans is not fighting
for freedom“ änderten.
Dass am vergangenen Samstag auf einer Demonstration gegen die
Allgemeinverfügung rund 750 Menschen friedlich – und ausnahmsweise
genehmigt – durch die Stadt zogen, änderte an der polizeilichen
Gefahrenprognose bislang nichts. Schließlich kam es in den vergangenen
Wochen auch immer mal wieder zu unangemeldeten Versammlungen, bei deren
Auflösung es zu Auseinandersetzungen kam.
[5][Zweimal befasste sich das Hamburger Verwaltungsgericht in den
vergangenen Wochen mit den Demo-Verboten, beide Male stellte es sich hinter
die Versammlungsbehörde.] Erst versuchte es der Anmelder einer
Demonstration unter dem Titel „Stoppt den Krieg auf Gaza und Menschenrechte
unterstützen!“. Doch der Titel deute aus Sicht des Gerichts auf eine
„einseitig pro-palästinensische Ausrichtung“ hin, weshalb das Verbot zu
billigen sei. Und weil der Anmelder im Aufruf zur Demo auch noch den Slogan
„Freiheit für Palästina“ benutzte, sei die Gefahrenlage belegt: „Diese
Parole wird typischerweise in Kreisen verwandt, die das Existenzrecht
Israels im Ganzen in Frage stellen“, stellte das Gericht recht forsch fest
– somit sei mit Gewalt zu rechnen.
Auch eine zweite Klage, diesmal direkt gegen die behördliche
Allgemeinverfügung, wies das Gericht ab – „angesichts der auch weiterhin in
Hamburg in besonderer Weise aufgeladenen Stimmung“.
Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Hildesheim,
[6][hält das Verbot für verfassungsrechtlich bedenklich.] „Da bräuchte es
schon eine besondere Gefährdungslage, dass also die öffentliche Sicherheit
nicht anders gewährleistet werden kann“, sagte Wrase zur taz. Bei
„Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ denke man an tagelange
Straßenkämpfe – Bilder, wie man sie aus der Weimarer Republik kennt. Er
sieht „gute Chancen“, das Verbot zu kippen, sollten Betroffene gegen die
Allgemeinverfügung den Rechtsweg durch die Instanzen zu Ende gehen.
Schließlich seien derzeit jegliche Versammlungen verboten, die als
„pro-palästinensisch“ betrachtet würden: Den juristischen
Bestimmtheitsgrundsatz sieht er damit nicht erfüllt. Darunter können
schließlich auch Demonstrationen fallen, die eine einfache Solidarität mit
den Menschen in Gaza fordern oder sich für eine Zwei-Staaten-Lösung
einsetzen, genauso wie Demonstrationen, die die Terrorakte der Hamas
feiern. „Nur Letztere rechtfertigen ein Verbot.“
Allein: Bei der nächsthöheren Instanz, dem Hamburger
Oberverwaltungsgericht, hätte bis Mittwoch Beschwerde gegen die
Entscheidung zur Allgemeinverfügung eingelegt werden müssen. Eingegangen
ist nichts, sagt ein Gerichtssprecher. Und gegen die Verfügung kann nur
klagen, wer auch dem Gericht plausibel darlegt, von dem Versammlungsverbot
betroffen zu sein. Die Motivation dazu ist in Hamburg augenscheinlich
gering.
Außer der Linken zeigen [7][weder SPD und Grüne als Regierungsfraktionen
noch die CDU in der Opposition sichtbares Unbehagen an der wochenlangen
Einschränkung eines Grundrechts.] Und so bleibt wohl nur darauf zu warten,
bis die Hamburger Polizei ihre Einschätzung zur Gefährdungslage
eigenständig ändert.
19 Nov 2023
## LINKS
[1] /Umgang-mit-propalaestinensischen-Demos/!5965168
[2] https://www.polizei.hamburg/verlaengerung-versammlungsrechtliche-verfuegung…
[3] https://www.abendblatt.de/hamburg/politik/article239885563/Kundgebung-der-S…
[4] /Linker-Antisemitismus/!5966630
[5] https://justiz.hamburg.de/gerichte/verwaltungsgericht-hamburg/rechtsprechun…
[6] /Jurist-ueber-Hamburger-Allgemeinverfuegung/!5964171
[7] /Verbieten-oder-laufen-lassen/!5962657
## AUTOREN
André Zuschlag
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