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# taz.de -- Politökonom über Luxus: „Wir wollen kollektiven Wohlstand“
> Auch ohne Verzicht können alle im Luxus leben, sagt Politökonom Lukas
> Warning. Ein Gespräch über Vergesellschaftung, Segelyachten und das gute
> Leben.
Bild: Was wäre schillernder als unbeschränkter Zugang zu ÖPNV und Wohnraum f…
wochentaz: Herr Warning, Sie sind einer der Herausgeber:innen [1][des
Buchs „Öffentlicher Luxus“]. Essen wir in Zukunft also alle Kaviar an
öffentlichen Ausgabestellen?
Lukas Warning: (lacht) Nein, natürlich nicht. Kaviar steht für eine Art von
privatem Luxus einzelner Superreicher, den wir uns inmitten der Klimakrise
als Gesellschaft nicht mehr leisten können. Andere Beispiele für diese Form
von Luxus wären Privatjets [2][oder Superyachten]. Das sind
Bespaßungsmittel für [3][das reichste Prozent, welches für mehr Emissionen
verantwortlich ist] als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen.
Das ist nicht der Luxus, für den wir politisch streiten wollen.
Was ist dann Ihr Verständnis von Luxus?
„Öffentlicher Luxus“ bedeutet, dass alle Menschen unbeschränkten Zugang zu
den Dingen haben, die sie für ein gutes und schönes Leben brauchen. Das
umfasst alle lebensnotwendigen Bereiche, von der Energieversorgung über
Mobilität, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Pflege, digitale Infrastruktur
und noch viel mehr. Diese Dinge müssen für alle Menschen – unabhängig vom
Aufenthaltsstatus – zugänglich sein, sie müssen klimagerecht umgebaut und
sie müssen demokratisiert werden, damit wir nicht in alte Bürokratiemuster
zurückfallen.
Viele Menschen verstehen „Luxus“ anders. Als gerade nicht lebensnotwendig,
etwas Exklusives. Ist es angebracht, die Erfüllung von Grundbedürfnissen
als „Luxus“ zu bezeichnen?
Fakt ist ja, dass diese Dinge derzeit nicht allen Leuten zur Verfügung
stehen. Uns geht es um grundlegende Rechte, dass sich niemand Sorgen machen
muss, ob er oder sie über die Runden kommt. Diese Freiheit, diese
Sicherheit, für die Mehrheit der Gesellschaft wäre das echter Luxus. Das
geht über die Erfüllung von Grundbedürfnissen hinaus. Wir wollen einen
kollektiven Wohlstand, in dem etwa die Bahn oder öffentliche Schwimmbäder
nicht nur funktional sind – sondern auch in der Nutzung schön und angenehm.
Eine umfassende Grundversorgung für die gesamte Bevölkerung ist teuer.
Welche Maßnahmen der Umverteilung sind für Ihre Vision nötig?
Zunächst muss man fragen, woher der Wohlstand in unserer Gesellschaft
kommt. Der entsteht nicht aus dem Nichts, sondern wird von uns, den Vielen,
erarbeitet. Das schließt neben der klassischen Lohnarbeit vor allem [4][die
Reproduktions- und Sorgearbeit] ein, die immer noch meistens von Frauen im
Hintergrund erledigt wird. Darunter fällt etwa die Kindererziehung, ohne
die die gesamte Produktion nicht möglich wäre, die aber trotzdem unbezahlt
bleibt. Hinzu kommt, dass staatliche Systeme wie das Eigentumsrecht oder
die Bereitstellung grundlegender Infrastruktur das Wirtschaften erst
möglich machen. Weitere Quellen von Reichtum sind die Ausbeutung der Natur
und von rassifizierten Menschen, die weltweit besonders extrem ausgebeutet
werden. Diese Dinge erschaffen Wohlstand, der privat angeeignet und dadurch
extrem ungleich verteilt wird. Das war nicht immer so – und muss auch nicht
so bleiben.
Was fordern Sie konkret?
Dieser gesellschaftliche Überschuss muss abgeschöpft werden, um das
Öffentliche zu priorisieren. Das geht über Steuergerechtigkeit, über
[5][Vermögens- und Erbschaftssteuern] und eine vernünftige Besteuerung von
Konzernen – erfordert aber auch Vergesellschaftungen. Wir müssen also die
Daseinsvorsorge den Händen ihrer derzeit privaten Eigner:innen
entreißen, damit wir sie für unser aller Wohl gestalten können.
Das klingt nach der Abschaffung des Kapitalismus.
Das Projekt des öffentlichen Luxus kann ein Fenster in eine
postkapitalistische Welt bereiten – und ist trotzdem ein Projekt, mit dem
sich im Hier und Jetzt ansetzen lässt. Wie der Weg in den öffentlichen
Luxus aussieht, wird in verschiedenen Sektoren unterschiedliche Formen
annehmen.
Das bekannteste und bisher einzige Projekt für eine großflächige
Vergesellschaftung war [6][der erfolgreiche Volksentscheid „Deutsche Wohnen
& Co enteignen“ in Berlin]. Wie könnte Wohnraum demokratisch
selbstverwaltet werden?
Die Initiative schlägt eine Anstalt öffentlichen Rechts vor, die die etwa
250.000 zu vergesellschaftenden Wohnungen verwalten soll. Diese Anstalt
wäre ein öffentliches Organ, würde aber nicht von einer Regierung
dominiert. Es gäbe eine Reihe von Ebenen, wobei alle Entscheidungen auf
möglichst niedriger Ebene getroffen werden sollten. Die Gestaltung eines
Hinterhofes wäre Angelegenheit eines Wohnblocks, ein neuer Kiezladen des
ganzen Viertels. Für größere Verteilungsfragen müssten Vertreter:innen
von Mieter:innen, den Beschäftigten der Anstalt und der Stadtgesellschaft
gewählt werden.
Das klingt nach einer Menge Plena. Muten Sie den Menschen nicht zu viel zu,
wenn sie sich nach Lohn- und Carearbeit noch mit der Verwaltung ihres
Wohnblocks rumschlagen müssen?
Ich glaube, man traut den Menschen endlich etwas zu, als ihnen etwas
zuzumuten. Zugleich ist es extrem wichtig, das Ganze im Blick zu halten. Je
mehr wir uns dem öffentlichen Luxus annähern, desto weniger zentral wird
die Rolle der Lohnarbeit. Wenn ich günstig an Wohnraum komme und meine
Altersvorsorge gesichert ist, habe ich mehr Zeit für andere Dinge. Aber
natürlich ist es wichtig, Beteiligung zu ermöglichen – die Leute sollten
deshalb Fortbildungen erhalten, je nach Aufwand bezahlt und von der Arbeit
freigestellt werden.
In Berlin [7][sperrt sich die Politik weiter gegen eine Umsetzung der
Vergesellschaftung]. Lässt sich der Kapitalismus über solche Projekte
wirklich sukzessive abschaffen?
Das Grundgesetz ist hinsichtlich der Wirtschaftsform neutral. Das heißt,
vieles ist möglich. Und selbst wenn wir nicht sagen können, ob wir den
Kapitalismus in Gänze überwinden können, lohnt es sich, sich zusammen zu
tun. So lernen wir Nachbar:innen kennen, können im Kleinen widerständige
Räume schaffen, um uns zum Beispiel gegen Abschiebungen oder
Zwangsräumungen zur Wehr zu setzen. Was ist die Alternative? Wir haben
nichts zu verlieren, aber eine Welt zu gewinnen.
Gegner:innen von Vergesellschaftung argumentieren, eine kollektive
Verwaltung von Gütern scheitere letztlich an zu viel Bürokratie, Korruption
und Verschwendung.
Tatsächlich ist es viel effizienter, wenn die Daseinsvorsorge frei
zugänglich gestaltet ist. Zum Beispiel fallen Strafsysteme weg, wenn es im
ÖPNV keine Kontrolleur:innen mehr gibt und in Gefängnissen keine Leute
mehr sitzen müssen, nur weil sie sich keinen Fahrschein leisten können. Im
Gesundheitsbereich bräuchte es keine hundert gesetzlichen und erst recht
keine privaten Krankenversicherungen mehr. Ärzt:innen und
Pfleger:innen müssten nicht wie derzeit die Hälfte ihrer Zeit mit
Bürokratie verbringen. Wenn wir uns von der Profitlogik befreien, werden
ganz neue Möglichkeiten entstehen.
Manche Aktivist:innen in der Klimabewegung betonen, dass die Menschen
im Globalen Norden längst über ihre Verhältnisse leben. Sie sprechen nicht
über Verzicht. Warum?
Vergangenes Jahr ist in Berlin [8][der Klimavolksentscheid gescheitert].
Formal lag das am Quorum, aber auch so sind über 400.000 Menschen zur Wahl
gegangen, um gegen den Klimaschutz zu stimmen. Warum? Ich glaube, die Leute
ahnen, dass der Verzicht innerhalb der aktuellen Klimapolitik bei den hart
arbeitenden Menschen liegen wird. Die Lehre: Wir brauchen ein begeisterndes
Projekt für eine gerechte Transformation, das kollektive Fülle verspricht
und dieses Versprechen auch halten kann. Dieses Projekt ist der öffentliche
Luxus.
12 Nov 2023
## LINKS
[1] https://dietzberlin.de/produkt/oeffentlicher-luxus/
[2] /Gregory-Salles-Superyachten/!5897261
[3] /Ungleiche-Emissionen-in-Deutschland/!5922585
[4] /Care-Arbeit-und-Gleichberechtigung/!5834059
[5] /Bericht-zu-Ungleichheit-von-Oxfam/!5906153
[6] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!t5764694
[7] /Neues-Enteignen-Volksbegehren-in-Berlin/!5960810
[8] /Klimavolksentscheid-in-Berlin/!5928731
## AUTOREN
Timm Kühn
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nur ein Anfang sein. Niemand schadet dem Klima so sehr wie die
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