# taz.de -- Lars von Triers „Geister – Exodus“: Da unten haust etwas | |
> Lars von Trier beschließt mit „Geister – Exodus“ auf irrwitzige Art se… | |
> Krankenhaus-Miniserie. Sie vereint Horror, Komödie und Soap Opera. | |
Bild: In „Geister – Exodus“ muss sich das Klinikpersonal schon mal vor b�… | |
Die Welt hat schon genug Sorgen. Braucht es da noch mehr Spuk im | |
Krankenhaus, wie ihn der dänische Regisseur Lars von Trier jetzt mit der | |
dritten und letzten Staffel seiner Miniserie „Geister“ zelebriert? Eine | |
pragmatische Antwort lautet: Ja, weil Halloween ansteht, an dem Tag, der | |
früher als Reformationstag begangen wurde. | |
Für diesen Anlass kommt das fünfstündige Finale „Geister – Exodus“ in … | |
Kinos genau richtig. Und wie schon in den ersten beiden Staffeln aus den | |
neunziger Jahren überwiegt der eigenwillige Humor von Triers den Schrecken | |
deutlich. Dass die Grenze dazwischen bei ihm mitunter verschwimmt, gehört | |
zur Sache dazu. | |
Selbst wer die frühen Staffeln nicht kennt, muss auf dieses Vergnügen der | |
unheimlichen Art keinesfalls verzichten. Die Handlung schließt zwar an die | |
vorangegangenen Teile an, setzt jedoch nicht allzu viel voraus. Vereinzelte | |
Rückblenden helfen zur Not. Auch bleibt die Geschichte dieses „Exodus“ in | |
sich geschlossen genug, um für ein neues Publikum zugänglich zu sein. | |
Interesse am Wahnsinn im Reichskrankenhaus, einer der größten Kliniken | |
Dänemarks, vorausgesetzt. | |
[1][Die Grundidee der gesamten Serie bekommt man im Vorspann in Erinnerung | |
gerufen]. Zu großen Teilen unverändert, zeigen dessen erste Bilder die | |
braunstichigen Aufnahmen von altmodisch gewandeten Menschen, die in einem | |
diesigen Tümpel mit riesigen Stofftüchern hantieren. | |
## Eine schlafwandelnde Heldin | |
Dazu erzählt eine Stimme aus dem Off von der Geschichte des | |
„Rigshospitalet“, kurz „Riget“ genannt, wie auch der Originaltitel der | |
Serie lautet. Dieses „moderne und solide Gebäude“ wurde errichtet auf altem | |
Sumpfland, wo früher die Färberteiche lagen und für ständigen Nebel | |
sorgten. Auf Aberglaube, so der Sprecher, folgte die Wissenschaft der | |
Medizin. | |
Irgendetwas von damals sei jedoch zurückgekehrt, im Fundament zeigten sich | |
Risse. Dazu folgt die Kamera zwei Händen, die weißes Textil ins Wasser | |
tauchen, fährt weiter hinab zum Grund, durchs Wurzelwerk, bis zu einem | |
matschigen Klumpen Boden, aus dem plötzlich ein Paar Hände mit gestreckten | |
Fingern emporwächst. Die Botschaft: Da unten haust etwas. Und es verspricht | |
nichts Gutes. Von Trier verneigt sich mit diesem Bild bei David Lynch, der | |
ähnliche Kamerafahrten ins Erdreich schätzt. Inspiriert ist diese | |
Horrorkomödien-Soap-Opera denn auch von [2][Lynchs ähnlich hybrider Serie | |
„Twin Peaks“]. | |
Einige Jahrzehnte sind seit den 1994 und 1997 gedrehten ersten beiden | |
Teilen von „Geister“ vergangen. Da viele der Hauptdarsteller von einst | |
inzwischen gestorben sind, war von Trier gezwungen, das Personal der | |
neurochirurgischen Abteilung, in der die Serie spielt, stark zu verändern. | |
Bei diesem Wechsel hilft ihm als Kunstgriff ein Selbstzitat. | |
So sieht man zu Beginn die neue Hauptfigur Karen (Bodil Jørgensen), wie sie | |
den Abspann der letzten Folge der zweiten Staffel am Fernseher auf DVD | |
sieht. Der Regisseur, der, klassischen Fernsehgepflogenheiten folgend, jede | |
einzelne Folge am Ende für die Zuschauer zusammenfasste, singt diesmal | |
ausnahmsweise sein Resümee. Nicht schön, aber klar. Das Fazit: Mehrere der | |
tragenden Figuren sind gestorben oder ihr Verbleib ist zumindest ungewiss, | |
darunter auch die Hauptfigur Frau Drusse. | |
Karen nimmt entnervt die DVD aus dem Spieler und schimpft: „Wie können die | |
so etwas Halbfertiges verkaufen? Das ist doch kein richtiges Ende.“ Bevor | |
sie zu Bett geht, notiert sie sich kurz die Namen der „verschwundenen“ | |
Figuren. | |
Die „richtige“ Geschichte von „Geister – Exodus“ beginnt dann in der … | |
als Karen zu schlafwandeln beginnt und ihr Haus verlässt, wo sie ein Taxi | |
erwartet. Sie protestiert, dass sie gar keinen Wagen bestellt habe. Der | |
Fahrer beruhigt sie aber, es sei alles in Ordnung. Sagt’s und fährt sie zum | |
Reichskrankenhaus. | |
Dort setzt von Trier seine selbstreferenziellen Spielereien fort: Beim | |
Pförtner erkundigt sich Karen nach Frau Drusse, worauf dieser zunächst | |
antwortet, dass ihn lange niemand mehr danach gefragt habe. Um dann zu | |
ergänzen: Das sei alles Fiktion, „das hat sich der Idiot von Trier | |
zusammengebraut“. | |
## Animosität zwischen Dänen und Schweden | |
Karen übernimmt fortan die Rolle von Frau Drusse, die einst Kontakt zu den | |
Geistern im Krankenhaus hergestellt hatte. Die nebenbei noch der Telekinese | |
fähige Karen – sie lässt hin und wieder Wassergläser von Nachttischen | |
gleiten – empfängt im Schlaf Botschaften wie die, dass sie nach dem | |
mutmaßlich gestorbenen „Lillebror“ suchen soll. Dieser war das gemeinsame | |
Kind einer Krankenschwester und eines Geistes und zeichnete sich durch | |
unnatürliches Wachstum aus. Der Schauspieler Udo Kier hatte als Lillebror | |
in den alten Staffeln unvergessliche Auftritte. Er ist auch diesmal von der | |
Partie. | |
Von Trier arbeitet bei seiner Fortsetzung mit leichten Verschiebungen. | |
Einige der früheren Figuren besetzt er kontinuitätsbewusst in ähnlicher | |
Weise. So erhält auch diesmal die Animosität zwischen Dänen und Schweden | |
den ihr angestammten Platz. Früher war es der schwedische Professor Stig | |
Helmer, der stets über die „dänischen Teufel“ („Danske djævle!“) flu… | |
wozu er sich auf den Hubschrauberlandeplatz des Krankenhausdachs zurückzog, | |
um seine Verachtung über die Dächer Kopenhagens hinauszuschreien. Nun | |
übernimmt diese Aufgabe sein Sohn, schlicht Helmer Jr. (Mikael Persbrandt). | |
Dem Chefarzt, der neu in der neurochirurgischen Abteilung ankommt, bereiten | |
die dänischen Kollegen einen Empfang nach ihrer Art. In einem Trinkspiel, | |
bei dem dänische und schwedische Größen wie Søren Kierkegaard oder Astrid | |
Lindgren einander ausstechen müssen, unterliegt Helmer Jr. gegen den | |
robusten Pfleger Balder, „Bulder“ genannt (Nicolas Bro). | |
Der alkoholisierte Arzt wird triumphierend auf einer ausgehängten Tür durch | |
die Klinik getragen und zum Abholen auf dem Hubschrauberlandeplatz | |
abgelegt. Er bleibt selbstverständlich. Und bekriegt sich bevorzugt mit dem | |
leitenden Arzt Pontopidan (Lars Mikkelsen), der sich aus sehr großer | |
Vorsicht gern in seinem Stationszimmer einschließt, wo er bei Gelegenheit | |
Mäuse füttert. | |
## Kampf in eigener Angelegenheit | |
Helmer Jr. ist nicht bloß ein Dänenfeind, der bald bei den „Anonymen | |
Schweden“ im Keller der Klinik seine Zuflucht sucht. Von Trier nutzt diese | |
Figur zusätzlich, um Fragen wie #MeToo zu verhandeln. Denn Helmer Jr. hat | |
eine Schwäche für die ebenfalls schwedische Ärztin Anna (Tuva Novotny). | |
Seine Versuche, sich ihr anzunähern, enden zuverlässig beim schwedischen | |
Anwalt (Alexander Skarsgård), der sein Büro in einer Toilette des | |
Krankenhauses hat. | |
Von Trier hat jede Menge solcher albernen Einfälle, die dem Finale kein | |
bisschen schaden. Darunter der unveränderte Titelsong „The Shiver“ von | |
Joachim Holbek, in dem tiefe Stimmen zu martialischen Klängen Zeilen singen | |
wie „One, two, three, four, five, six, seven“ oder „R-e-c-t-u-m rectum“. | |
Selbst der infantilste Blödsinn führt dabei zwangsläufig irgendwann wieder | |
zum Kern der Angelegenheit, der mit dem Kampf des Guten gegen das Böse zu | |
tun hat. Im Dienst von Letzterem steht auch der Dämon Grand Duc, gegeben | |
von [3][Willem Dafoe, der seit „Manderlay“ von 2005 in verschiedenen Filmen | |
von Triers mitwirkte]. | |
Für von Trier dokumentiert die Serie im Übrigen einen bitteren Kampf in | |
eigener Angelegenheit, wie sich an seinen Auftritten am Ende der einzelnen | |
Folgen zeigt. Die Zusammenfassung für das Publikum gibt er weiterhin, | |
allerdings zeigt er sich nicht, sondern spricht von hinter einem roten | |
Vorhang, unter dem lediglich ein Paar Schuhe hervorragt. Aus „Eitelkeit“, | |
wie er sagt. Womit er auf [4][seine Parkinson-Erkrankung] anspielen dürfte. | |
Eine weitere Ironie dieser Serie, in der Krankheit und Schmerz dauerhaft | |
zugegen sind. Wie beim Schmerzkongress, der in einer Folge an der Klinik | |
abgehalten wird. Sein Motto: „Schmerz ist dein Freund.“ | |
27 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=VijlYkLFdAk | |
[2] /Nachruf-auf-Saengerin-Julee-Cruise/!5860383 | |
[3] /Berlinale-Hommage-fuer-Willem-Dafoe/!5482426 | |
[4] /Riget-Exodus-auf-Filmfestival-Venedig/!5876086 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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