# taz.de -- Juristin über Migrationspolitik: „Verschärfungen ändern nichts… | |
> Gisela Seidler kritisiert die Migrationspolitik der Bundesregierung. Sie | |
> erklärt unter anderem, warum die neuen Regelungen Kommunen kaum | |
> entlasten. | |
Bild: Die Ampel schwenkt immer weiter nach rechts: Abschiebung aus Rheinmünste… | |
taz: Frau Seidler, am Mittwoch will das Bundeskabinett einen | |
[1][Gesetzentwurf zur Vereinfachung von Abschiebungen beschließen]. Sind | |
Sie damit zufrieden? | |
Gisela Seidler: Diese Vorhaben greifen tief in die Grundrechte | |
Asylsuchender ein. Wir sind entsetzt, dass das im Schnellverfahren | |
durchgepeitscht werden soll. Es ist unmöglich, in gerade mal zwei Tagen | |
eine [2][qualifizierte juristische Stellungnahme abzugeben]. Die wäre aber | |
nötig, denn der Entwurf ist nicht durchdacht. Er wird Abschiebungen nicht | |
beschleunigen, sondern möglicherweise verlangsamen, und das auf Kosten | |
zahlreicher grundlegender Rechte. Aber offensichtlich möchte der | |
Gesetzgeber gar nicht hören, was wir zu sagen haben, sondern auf die | |
Schnelle Handlungsfähigkeit demonstrieren. | |
In der aktuellen Debatte geht es um die stark belasteten Kommunen. Werden | |
diese Regelungen Entlastungen bringen? | |
Wohl kaum. Man könnte sagen: Wenn mehr Menschen in Abschiebehaft kommen, | |
werden sie nicht auf die Kommunen verteilt. Aber das wäre als Begründung | |
für Freiheitsentziehung nicht nur absurd, sondern europarechtswidrig. | |
Ansonsten werden die Kommunen überhaupt nicht entlastet, ebenso wenig wie | |
die zuständigen Behörden. Die werden durch unzählige neue und komplizierte | |
Regelungen und durch neue Aufgaben eher noch eine Mehrbelastung erfahren. | |
Die Sicherungshaft zum Beispiel bei Fluchtgefahr soll von drei auf sechs | |
Monate erweitert werden, der Ausreisegewahrsam von zehn auf achtundzwanzig | |
Tage. Werden dadurch weniger Abschiebungen scheitern? | |
Freiheit ist eins unserer höchsten Rechtsgüter, gleich nach der | |
Menschenwürde. Damit darf man nicht spielen. Es darf für drei Monate in | |
Sicherungshaft genommen werden, bei wem die Abschiebung absehbar in diesem | |
Zeitraum vollzogen werden kann. Wenn das jetzt etwa bei ungeklärter | |
Staatsbürgerschaft ausgeweitet wird, hat das eher den Charakter einer | |
Sanktionierung, als dass wahrscheinlicher abgeschoben werden kann. Noch | |
dramatischer ist es beim Ausreisegewahrsam: Da muss nicht mal Fluchtgefahr | |
oder ein anderer Haftgrund vorliegen, man will bloß sichergehen, dass die | |
Person am Tag der Abschiebung greifbar ist. Dabei gibt es gar keine | |
Evaluierungen dazu, wie viele Abschiebungen daran scheitern, dass jemand | |
nicht auffindbar ist. | |
Sie haben von Mehrbelastung für die Behörden gesprochen. Wo sehen Sie die? | |
Zum Beispiel bei der Ausweitung der Strafbarkeit. Falsche oder | |
unvollständige Angaben im Asylverfahren zu machen oder das Nichtaushändigen | |
von Urkunden führte bisher dazu, dass ein Asylantrag abgelehnt wurde. Jetzt | |
soll daraus eine Straftat werden, mit Haft bis zu drei Jahren. Das bedeutet | |
einen enormen Aufwand für die Ermittlungsbehörden und Gerichte. Vor allem | |
aber ist es ein weiterer enormer Grundrechteeingriff. | |
Wieso? | |
Niemand darf gezwungen werden, sich selbst zu belasten – schon gar nicht | |
mit Mitteln des Strafrechts. Dieser Grundsatz ist direkt aus der | |
Menschenwürde abgeleitet. Nehmen wir eine Person, die erst vier Wochen nach | |
ihrer Einreise einen Asylantrag stellt: Die muss dann entscheiden, ob sie | |
zugibt, den Asylantrag nicht unverzüglich innerhalb von zwei Wochen | |
gestellt zu haben, was zu einer Anzeige wegen illegalen Aufenthalts führt – | |
oder ob sie unwahre Angaben macht, was wiederum strafbar ist. | |
Aber ist es nicht sinnvoll, Straftaten aufzudecken? | |
Aber niemand muss sich selbst belasten. Das gilt auch für jeden | |
Strafprozess. Es geht hier immerhin um eins unserer grundlegenden Rechte. | |
Und nicht alles, was man verbieten will, muss strafbar sein. Unwahre | |
Aussagen im Asylverfahren führen wie gesagt schon jetzt dazu, dass ein | |
Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, mit schwerwiegenden | |
Folgen: Eine Klage hat keine aufschiebende Wirkung, die Person wird sofort | |
ausreisepflichtig und bekommt keine Arbeitserlaubnis. Insofern ist der | |
Vorschlag auch ein Verstoß gegen das Strafrecht als Ultima Ratio. Es | |
wundert mich sehr, dass dieser Vorschlag ausgerechnet von einer | |
SPD-Innenministerin kommt. Ähnliches hatte 2019 schon ihr Vorgänger Horst | |
Seehofer von der CSU vor –die damalige SPD-Justizministerin Katarina Barley | |
war strikt dagegen. | |
Es gibt rund 280.000 Ausreisepflichtige. In den vergangenen beiden Jahren | |
wurden im Mittel jeweils 12.000 Personen abgeschoben. Da scheint es doch | |
Handlungsbedarf zu geben. | |
Mit solchen Verschärfungen ändert man daran nichts. Es wirkt eher, als habe | |
man händeringend gesucht, was nach all den Verschärfungen der vergangenen | |
Jahre jetzt noch zum Verschärfen übrig ist. Stattdessen könnte man die | |
Mittel für die Behörden aufstocken, die unter massivem Personalmangel | |
leiden – aber das würde mehr kosten. Oder man könnte pragmatisch der sehr | |
großen Gruppe Ausreisepflichtiger eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, die | |
sowieso nicht abgeschoben werden können – etwa, weil ihre minderjährigen | |
Kinder hier einen Schutzstatus haben. Das würde die Zahl der | |
Ausreisepflichtigen senken und wäre auch endlich im Einklang mit | |
Europarecht. | |
Im Entwurf werden Grundrechtseingriffe in die Freiheit der Person, die | |
Unverletzlichkeit der Wohnung und das Fernmeldegeheimnis benannt. All das | |
sei gerechtfertigt. Sehen Sie das auch so? | |
Keineswegs. Künftig sollen beispielsweise die Handys von Asylsuchenden | |
komplett ausgelesen werden, inklusive etwa intimer Fotos oder Nachrichten. | |
Und das alles noch vor der ersten Anhörung. Man muss den Menschen doch erst | |
mal die Chance geben, Angaben zu machen. Im Entwurf steht, man gehe davon | |
aus, die Zahl der Abschiebungen so um 600 jährlich zu erhöhen. Für ein so | |
kleines Ziel so schwerwiegende Eingriffe hinzunehmen, ist wirklich bitter. | |
25 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/rueckfuehrungs… | |
[2] https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-75-23-rueckfuehrungsverbesserungsges… | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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