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# taz.de -- Israel-Gaza-Krieg: Wie es weitergehen könnte
> Wie wird in Israel über den Krieg in Gaza diskutiert? Was sind die Ziele
> der Bodenoffensive? Und was will Iran? Fragen und Antworten zum
> Nahost-Krieg.
Bild: „Ihr werdet Gaza bald von innen sehen“: Israels Verteidigungsminister…
Welche Folgen haben die Bilder des getroffenen Krankenhauses in Gaza?
[1][Die Explosion auf einem Krankenhausgelände in Gaza-Stadt] war der
mutmaßlich blutigste Vorfall im Gazastreifen seit Beginn des israelischen
Bombardements am 7. Oktober. Wer die Verantwortung dafür trägt, ist
weiterhin nicht geklärt. Palästinensische Zivilist*innen hatten auf
dem Gelände des Al-Ahli-Krankenhauses Schutz vor Bomben gesucht.
Doch das Narrativ ist gesetzt. Für viele Menschen in Gaza steht außer
Zweifel, dass es die israelische Armee war, die das Krankenhaus
bombardierte. Dass diese dies abstreitet, aber auch dass unabhängige
Analysten Hinweise auf eine fehlgeleitete Rakete der Terrororganisation
Islamischer Dschihad sehen, scheint keine Rolle zu spielen. In Gaza gaben
sich Kontakte der taz überzeugt, dass Israel die Palästinenser*innen
aus dem Küstenstreifen vertreiben wolle. Viele zogen Vergleiche zur Flucht
und Vertreibung im Zuge der Staatsgründung Israels 1948. In der aktuellen
Situation ist das vermeintlich israelische Blutbad im Al-Ahli-Krankenaus
für viele ein weiterer Beleg für diese Deutung.
Wie wird in Israel über den Gazakrieg diskutiert?
Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober hat sich die israelische Gesellschaft
auf Krieg eingestellt. [2][Die Öffentlichkeit unterstützt den Krieg
weitgehend] und steht auch hinter dem Ziel der „Zerstörung der Hamas“, das
die mit der Opposition geschlossene Kriegsregierung unter Benjamin
Netanjahu ausgegeben hat. 360.000 Reservist*innen hat die Armee
mobilisiert. Viele, die nicht selbst zur Waffe greifen, beteiligen sich als
Rettungskräfte, Freiwillige oder mit Spendensammlungen.
Stimmen, die ein Ende der Angriffe auf den Gazastreifen fordern, sind rar.
Doch es gibt sie, selbst unter den Angehörigen der Opfer. Neta Heiman etwa,
deren Mutter von der Hamas verschleppt wurde, forderte öffentlich, Gaza
nicht zu zerstören. Auch Yaakov Argamani, dessen Tochter in Gaza
festgehalten wird, sagte der Zeitung Ha’aretz: „Auch in Gaza haben Väter
jetzt Angst um ihre Kinder.“
Je länger der Krieg dauert, je mehr Israelis im Falle einer möglichen
Bodenoffensive sterben, desto stärker könnte die Unterstützung schwinden.
Eine Debatte nimmt schon jetzt an Fahrt auf: Was soll mit Gaza und seinen
mehr als 2 Millionen Einwohner*innen nach dem Krieg passieren?
Was könnten die Ziele einer Bodenoffensive sein?
Israel hat zwei Ziele benannt: die Hamas zerstören und die rund 200 Geiseln
aus Gaza befreien. Dass beide möglicherweise in Widerspruch zueinander
stehen, also eine Bodenoffensive die Geiseln in Gefahr bringen würde,
könnte eine Erklärung dafür sein, dass bislang keine Bodentruppen
einmarschiert sind. Aber Israels Regierung bleibt dabei: „Ihr seht den
Gazastreifen noch aus der Ferne, aber bald werdet ihr ihn von innen sehen“,
sagte Verteidigungsminister Joaw Galant vor Soldat*innen.
Die USA scheinen Israel von einer Bodenoffensive abhalten zu wollen.
US-Präsident Joe Biden warnte Israel, nicht die Fehler zu wiederholen, die
sein Land im Antiterrorkampf gemacht habe – eine erstaunlich
selbstkritische Anspielung auf die Kriege in Afghanistan und Irak.
Beobachter*innen warnen, dass eine Bodenoffensive kostspielig werden
würde, auch für Israel. Der Gazastreifen ist dicht besiedelt und die Hamas
könnte auf Guerillataktiken setzen.
Netanjahu stand seit Monaten wegen des geplanten Justizumbaus in der
Kritik. Nützt ihm die jetzige Eskalation?
In diesem Krieg halten die Israelis zusammen. Die Reserveoffiziere, die
ihren Dienst angesichts des geplanten Staatsumbaus verweigert hatten, sind
zurück. Doch das Scheitern von Geheimdienst, Armee und Regierung war so
groß, dass das Vertrauen in Netanjahu und seine Regierung implodiert ist.
[3][Netanjahus Partei Likud würde einer Umfrage zufolge derzeit nur 19
Sitze gewinnen] statt der 32, die sie derzeit im Parlament hat. [4][59
Prozent der Befragten gaben an, der Kriegsführung der Regierung nicht zu
trauen.]
Netanjahus Beliebtheit hängt von der Entwicklung des Kriegs ab. Sollte es
ihm gelingen, die Hamas abzulösen und zudem möglichst viele der
israelischen Geiseln zu befreien, könnten seine Beliebtheitswerte steigen.
Wahrscheinlich ist das nicht. Dass Netanjahu wegen fehlender Unterstützung
zurücktritt, daran glaubt allerdings auch niemand.
[5][Droht auch eine Eskalation im Westjordanland?] Hat Mahmud Abbas, der
Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, dort noch die Kontrolle?
Seit der Explosion im Al-Ahli-Krankenhaus kommt es im Westjordanland zu
Protesten. Zehntausende Palästinenser*innen zogen etwa in Ramallah,
Bethlehem, Hebron und Dschenin auf die Straßen. Die Proteste richteten sich
gegen die Bombardements, aber auch gegen Abbas. Er wird seit Langem für
seine Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen kritisiert. Abbas hat
in der Bevölkerung kaum noch Unterstützung, doch seine Sicherheitskräfte
riegeln gemeinsam mit Israels Militär zahlreiche Straßen ab, sodass die
meisten Menschen ihren Wohnort nicht verlassen können. Die Demonstrationen
versuchen sie zu unterbinden.
[6][Welche Rolle spielt die Hisbollah?]
Die schiitische, mit Iran eng verbundene Miliz sitzt im Libanon und agiert
dort als „Staat im Staat“. Sie unterhält sowohl einen Parteiflügel, der
auch Teile der Regierung stellt, als auch eine Miliz. Laut dem
Militäranalysten Joseph Shelzi ist die Organisation für Israel die deutlich
größere Bedrohung. „Die Hisbollah ist besser finanziert, besser
ausgebildet, besser ausgestattet. Sie kann sich – im Gegensatz zur Hamas
in Gaza – relativ frei bewegen.“ Die Hisbollah muss aber im Kontext der
Innenpolitik des Libanons agieren. Diese ist stark konfessionell
beeinflusst. Vor allem schiitische oder mit der Hisbollah verbündete
Gruppen haben ihre Unterstützung für den „Widerstand der Palästinenser“
ausgedrückt. Doch die christlichen Parteien Lebanese Forces (LF) und
Kata’eb sowie sunnitische Vertreter sind zurückhaltender: „Was in Gaza
passiert, sollte in Gaza bleiben“, sagte etwa ein Sprecher der LF. Selbst
Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian gab sich bei seinem Besuch
vergangene Woche in Libanon gemäßigt: Es sei wichtig, die „Ruhe im Land“ …
bewahren. Er sagte aber auch: Die USA müssten Israel „unter Kontrolle
bekommen“, wenn ein Krieg in der Region vermieden werden wolle. Noch hält
sich die Gruppe zurück – relativ gesehen. Immer wieder feuern sie Raketen
auf Nordisrael, das dann wiederum einige Dörfer im Südlibanon bombardiert.
Wie könnte ein Flächenbrand entstehen? [7][Droht ein Krieg zwischen Iran
und den USA?]
Das Schlüsselelement einer über die Hamas und Israel hinausgehenden
Eskalation sind die iranischen Stellvertretermilizen, die Israel von
Norden, Süden und Osten umgeben. Im Westjordanland und in Gaza sind jeweils
sowohl die Hamas als auch der ebenfalls eng mit Iran verbundene
Palästinensische Islamische Dschihad aktiv. An der Nordgrenze im Libanon
sitzt die Hisbollah, auch in Syrien ist die Miliz vertreten. Im Irak sind
ebenfalls mit Iran eng verbundene Milizen aktiv. Selbst die proiranischen
Huthi-Rebellen im Jemen sollen über Raketen verfügen, die bis auf
israelisches Gebiet reichen sollen. Der Iran nennt seine in der Region
verteilten Milizen die „Achse des Widerstands“.
Ein gemeinsamer Angriff dieser Achse ist denkbar. Die Frage ist:
Entscheiden die Milizen alleine oder müsste ein Befehl aus Iran erfolgen?
Das Bündnis zwischen der Hisbollah und der Islamischen Republik Iran
basiert auf religiöser Autorität. Die Hisbollah und andere Milizen müssen
sich den Entscheidungen eines Klüngels schiitischer Juristen unterordnen,
denen Irans oberster Führer Ali Chamenei vorsitzt. Zumindest in der Theorie
ist es also so, dass Iran die oberste Entscheidungsmacht hat. Iran ist
geschwächt durch westliche Sanktionen, eine strauchelnde Wirtschaft und
innenpolitische Konflikte. Ob sich die Islamische Republik einen solchen
Flächenbrand rein finanziell leisten kann, ist fraglich.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Was sind Szenarien für die Zukunft?
Was nach dem Gazakrieg und einer möglichen israelischen Bodenoffensive
folgt, ist völlig offen. Würde Israel im Falle eines Einmarschs aus dem
Gazastreifen wieder abziehen? Oder würde es das Küstengebiet besetzt
halten, um Terror zu unterbinden? Würden sogar Blauhelmsoldaten Israel
dabei unterstützen? In jedem Fall dürfte die Hamas deutlich geschwächt aus
dem Krieg hervorgehen, das Leid in Gaza und der Hass der Menschen auf
Israel werden aber noch größer werden.
Der Friedensprozess müsste wiederbelebt werden, allerdings sind die
Ausgangsbedingungen so schlecht wie selten zuvor. In den letzten Jahren ist
auf regionaler Ebene Dynamik in den Konflikt gekommen. Im Rahmen des
Abraham-Prozesses haben arabische Staaten ihre Beziehungen zu Israel
normalisiert. Zuletzt stand sogar zur Debatte, ob Saudi-Arabien und Israel
einen Freundschaftsvertrag unterzeichnen.
Das ist ein Hoffnungsschimmer, auch wenn der von den USA unterstützte
Prozess einen Konstruktionsfehler hat: In der Annahme, dass der
Israel-Palästina-Konflikt weiter militärisch gemanagt werden könne,
betrieben Israel und die arabischen Staaten ihre Annäherung an den
Palästinenser*innen vorbei. Das Ziel einer sehr unwahrscheinlichen
Zweistaatenlösung wurde lediglich als Lippenbekenntnis hochgehalten.
Dennoch: Die Annäherung eröffnet Spielräume. Es führt kein Weg daran
vorbei, diese zu nutzen und die Palästinenser*innen irgendwie mit ins
Boot zu holen.
Hören Sie zur Lage in Nahost auch den Bundestalk, den Podcast der taz:
[8][taz.de/bundestalk]
20 Oct 2023
## LINKS
[1] /Krankenhaus-in-Gaza/!5963798
[2] /Demokratieaktivistin-ueber-Hamas-Terror/!5965890
[3] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/poll-shows-backing-for-netanya…
[4] https://www.middleeastmonitor.com/20231013-poll-94-of-israelis-say-govt-fai…
[5] /Krieg-in-Nahost/!5963485
[6] /Reaktionen-aus-dem-Libanon/!5965842
[7] /Geopolitische-Akteure-im-Nahostkonflikt/!5965889
[8] /Podcast-Bundestalk/!t5780050
## AUTOREN
Jannis Hagmann
Judith Poppe
Lisa Schneider
Felix Wellisch
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