# taz.de -- Angriff auf Israel: Erinnerungen an die Nakba | |
> Die Bilder der im Gazastreifen fliehenden Menschen erinnern an den Beginn | |
> der Flüchtingskatastrophe 1948. Die Spirale der Gewalt muss aufhören. | |
Bild: Palästinenser:innen auf der Flucht vor israelischen Angriffen in den Sü… | |
Das sinnlose Blutbad, das durch den Beschuss des Krankenhauses in Gaza | |
verursacht wurde, zeigt auf grausame Weise die schreckliche Gefahr, die | |
jetzt über dieser Region schwebt: der Verlust der Kontrolle über die | |
Hauptakteure des Konflikts. | |
Angesichts einer unerfahrenen israelischen Regierung, die um jeden Preis | |
die Oberhand zurückgewinnen will, und einem Hamas-Islamischen | |
Dschihad-Gespann, das alles gibt, um zu überleben, kann sich ein Grauen wie | |
das im Krankenhaus jederzeit wiederholen. Das zieht den Nahen Osten in | |
einen unaufhaltsamen Kreislauf der Gewalt hinein. Wie weit entfernt scheint | |
dieser erste Tag des Konflikts zu sein, als die Männer der Hamas zu | |
jedermanns Überraschung die Grenze überquerten, die als unpassierbar galt. | |
Für einen Moment hätte man glauben können, dass die Kämpfer der Hamas ein | |
bestimmtes politisches Ziel verfolgten, nämlich, das sich abzeichnende | |
Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien zu sprengen – ein Abkommen, das | |
vermutlich zu einem Separatfrieden unter Ausschluss der Palästinenser | |
führen würde. Aber die sinnlosen Massaker, derer sie sich schuldig gemacht | |
haben, zeigten, dass ihnen etwas ganz anderes vorschwebte. | |
Für sie ging es nicht nur um Politik, sondern darum, einen jeglichen | |
Frieden unmöglich zu machen, indem sie einen Amoklauf an Rachegelüsten in | |
dieser unglücklichen Region zusammenbrauten. Indem sie das Feuer auf eher | |
pazifistische [1][junge Leute eröffneten, die ahnungslos ausgelassen | |
feierten], auf eher linke Kibbuzbewohner und auf die Menschen in | |
wirtschaftlich ärmeren Ortschaften in der Region, sie ermordeten und | |
wahllos ein Blutbad unter Männern, Frauen, Kindern und Babys anrichteten, | |
hat die Hamas ihr wahres Gesicht gezeigt. | |
Sie hat einen der [2][schlimmsten Albträume im jüdischen Gedächtnis] zum | |
Leben erweckt, die Pogrome in Russland und Mitteleuropa. Damit Juden und | |
Jüdinnen in Sicherheit würden leben können, wurde die Gründung des Staates | |
Israel nach dem Holocaust international gerechtfertigt. Die Hamas hat mit | |
dem Angriff ihre stete Botschaft unterstrichen: „Wir wollen euer aller | |
Tod.“ Und die so geschickt aufgestellte Falle ist zugeschnappt und hat die | |
ganze Welt in einen Schockzustand versetzt. | |
## Nur die Bilder waren damals schwarz-weiß | |
Gedemütigt und zornig lässt die inkompetente rechtsnationale Regierung von | |
Benjamin Netanjahu das Feuer der Hölle auf die unglücklichen Bewohner Gazas | |
niedergehen. Eine Katastrophe für die vielen Menschen. Dabei sollte das | |
Ziel die Hamas sein. Tatsächlich aber trifft es die Dörfer und Städte. Man | |
ist erinnert an Passagen in der Bibel, in denen Gott die Feinde Israels | |
seinen Zorn spüren lässt. Diejenigen, die unter den Bomben sterben, sind | |
keine menschlichen Wesen mehr, sondern „Tiere“. | |
Da scheint es legitim zu sein, Wasser, Nahrung, Strom und Treibstoff zu | |
kappen. Gebäude, Schulen und Moscheen gelten nicht mehr als Wohn-, Lern- | |
oder Gebetsorte, sondern Höhlen, in denen sich Terroristen feige hinter dem | |
Rücken der Zivilbevölkerung verstecken. Israel hat angeordnet, die | |
Bevölkerung im Norden des Gazastreifens in den Süden des Territoriums zu | |
evakuieren. | |
Die Bilder von hunderttausenden Palästinensern, die mit Matratzen, | |
Küchenutensilien und zerlumpten Koffern ihre verängstigten Kinder hinter | |
sich herziehen, haben das Schreckgespenst der großen Vertreibung von 1948, | |
der Nakba, wie sie sagen, wachgerufen. Der einzige Unterschied besteht | |
darin, dass die Bilder damals schwarz-weiß waren … | |
Das desolate Spektakel hat allen, insbesondere in der arabischen Welt, | |
gezeigt, dass diejenigen, die den Preis für den von der Hamas provozierten | |
mörderischen Wahnsinn zahlen, nicht die Anführer dieser islamistischen | |
Bewegung sind, sondern die unglücklichen Menschen, die fliehen, erneut | |
fliehen, immer weiter fliehen, bis sie auf [3][die verschlossenen Grenzen | |
des Gazastreifens], ihres Gefängnisses, stoßen. | |
Auch Israel hat jetzt eine unterschwellige Botschaft gesandt: „Wir wollen | |
euch nicht in diesem Land sehen, wir wollen euch alle vertreiben!“ Fantasie | |
gegen Fantasie, Albtraum gegen Albtraum, wir sind zum Nullpunkt des | |
israelisch-palästinensischen Konflikts zurückgekehrt. Doch vielleicht | |
müssen wir uns daran erinnern, dass wir das Eisen erst in Momenten eines | |
großen Schocks, wenn es weiß glühend ist, schmieden können. | |
## Kein friedlicher Naher Osten ohne Palästinenser | |
Die flächendeckenden Umwälzungen, die der Krieg verursacht hat, zwingen | |
alle zum Nachdenken. [4][Arabische Länder haben sich bereit gezeigt, mit | |
Israel Frieden zu schließen] – selbst um den Preis, die palästinensische | |
Sache zu opfern. Der 7. Oktober hat erneut klar gezeigt, dass die | |
Palästinenser mit einbezogen werden müssen. Netanjahu und seine | |
rechtsextremen Verbündeten werden, obwohl sie seit Monaten mit massiver | |
Kritik aus dem Volk konfrontiert werden, kaum zu einer strategischen | |
Änderung bereit sein, die so sehr im Widerspruch zu ihrer Politik steht. | |
Aktuell droht noch immer der Einmarsch in den Gazastreifen. Das würde | |
sicher erneut, wie es schon in früheren militanten Konfrontationen der Fall | |
war, zu Tausenden Toten und endlosem Leid auf beiden Seiten führen. Hass | |
erzeugt Hass, und je größer der Hass ist, desto größer der Sieg für die | |
Hamas, ihre Verbündeten und ihre Beschützer. Ob es uns gefällt oder nicht, | |
das bisher Gültige ist Vergangenheit. Beide Seiten sind aufgefordert, sich | |
zu entscheiden. | |
Wenn endlich ein gerechter und dauerhafter Frieden hergestellt werden soll, | |
müssen die einen auf die Zerstörung des „zionistischen Gebildes“ | |
verzichten, die anderen auf die endlose Besatzung. Aber wer wird diese | |
Weisheit, diese Intelligenz, diesen Mut haben? Die Regierenden in der | |
Region scheinen dazu kaum in der Lage zu sein. Selbst wenn sie in die Enge | |
getrieben werden, werden Israelis immer argumentieren, dass es im | |
gegnerischen Lager keinen glaubwürdigen Gesprächspartner gibt, aber das | |
stimmt nicht. | |
Da ist zum Beispiel [5][Marwan Barghouthi] – ein Mann, den weite Teile | |
seines Volkes als den palästinensischen Nelson Mandela betrachten, und der | |
seit mehr als zwanzig Jahren in einem israelischen Gefängnis sitzt. Vor | |
seiner Inhaftierung sagte er der Washington Post im Jahr 2002, dass mit dem | |
Ende der Besatzung „der Weg klar sein wird: | |
Die unabhängigen und gleichberechtigten Nachbarn Israel und Palästina | |
werden in der Lage sein, über eine friedliche Zukunft zu verhandeln, indem | |
sie enge Beziehungen knüpfen, sowohl wirtschaftlich als auch kulturell.“ | |
Ein Traum? Diejenigen, die glauben, dass Israel von der Landkarte getilgt | |
werden kann, diejenigen, die glauben, dass Palästina für immer besetzt | |
bleiben kann, träumen nicht minder. Nur ist ihr Traum ein Albtraum, unser | |
aller Albtraum. | |
Aus dem Französischen von Barbara Oertel | |
19 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Selim Nassib | |
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