# taz.de -- Kampf gegen Rechts: Mehr Unteilbar wagen | |
> Rechte demonstrieren fast unwidersprochen in Berlin, der Bundespräsident | |
> haut rechte Talking-Points raus. Es ist an der Zeit für neue Bündnisse. | |
Bild: Ein Bild aus besseren Tagen: Die „Unteilbar“-Demonstration in Berlin … | |
Wer etwas über den gegenwärtigen Zustand zivilgesellschaftlicher Gegenwehr | |
gegen den Rechtsruck in Berlin wissen will, der musste am 3. Oktober durch | |
Mitte laufen. Nur vereinzelter Protest hatte sich gegen rund 5.000 | |
Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextreme formiert. Ein paar | |
stabile „Omas gegen Rechts“ und die Antischwurbel-Gruppe „Reclaim | |
Rosa-Luxemburg-Platz“ hielten die Stellung – allerdings recht einsam. | |
Die Rechten hingegen machten sich weitgehend ungehindert vor der Kulisse | |
des Berliner Doms, des Alten Museums und wiederaufgebauter preußischer | |
Großmacht-Architektur breit und feierten [1][zusammen mit der AfD und der | |
Parole „Ost-Ost-Ostdeutschland“] die gesellschaftliche Spaltung. Es kamen | |
Neonazis, Holocaustleugner, AfD-Politiker und eine abgedriftete | |
DDR-Bürgerrechtlerin, die im Kuratorium der AfD-nahen | |
Desiderius-Erasmus-Stiftung sitzt. Politische Gegner wurden als „Parasiten“ | |
bezeichnet, die BRD mit einer „Diktatur“ gleichgesetzt, von Chemtrails und | |
Gefährlicherem geschwurbelt. | |
Berlins linke Protestszene hingegen scheint gelähmt angesichts einer Art | |
von Post-Corona-Fatigue und [2][eines anhaltenden Rechtsrucks] unter | |
kräftiger Mithilfe konservativer Wegbereiter wie Friedrich Merz, Jens Spahn | |
und Joachim Gauck, die rechte Diskurse normalisieren und rechtsradikale | |
Forderungen hinter euphemistischen Worthülsen verstecken. Oder die wie | |
Bundespräsident [3][Frank-Walter Steinmeier] in der Tagesschau | |
unwidersprochen rechte Politik reproduzieren und dabei Geschichtsklitterung | |
mit Blick auf den in den 1990er Jahren geschlossenen „Asylkompromiss“ | |
betreiben. | |
Zur Erinnerung: Mit diesem „Kompromiss“ wurde damals letztlich das | |
Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt und rechte Gewalt faktisch als Ausdruck | |
eines vermeintlichen Volkswillens legitimiert. | |
## Die allgemeine Beschissenheit der Dinge | |
Heute fordern die Grünen Abschiebungen und wollen zusammen mit der SPD | |
Europas inhumanes Grenzregime befestigen. Die AfD reibt sich derweil in | |
ihrem Umfragehoch vor Glück die Hände – angesichts des ersten Landrats in | |
Thüringen und anstehenden Landtagswahlen in Bayern, Hessen und 2024 auch im | |
Osten. | |
Angst, Resignation und Zweifel sind angesichts der allgemeinen | |
Beschissenheit der Dinge vollkommen verständlich – zuallererst natürlich | |
für diejenigen, die von rechter Hetze und Gewalt bedroht sind. | |
Umso wichtiger aber wäre es für den Rest und diejenigen Betroffenen, die | |
noch Kraft haben, nicht zu resignieren und ins Handeln zu kommen. Eine | |
Perspektive zu entwickeln, wie es besser laufen könnte. Bündnisse gegen | |
gesellschaftliche Spaltung zu schmieden zwischen all denjenigen, die sich | |
Sorgen machen – denn das ist immer noch die Mehrheit. | |
## Ausgerechnet München als positives Beispiel | |
Dafür gab es jüngst immerhin zwei positive Beispiele. Und hier kann in | |
Sachen Bewegung ausnahmsweise sogar München ein Vorbild für Berlin sein: | |
Dort haben ebenfalls diese Woche im Vorfeld der Bayern-Wahl 35.000 Menschen | |
gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus protestiert. | |
Unter dem Motto „Zammreißen – Bayern gegen Rechts“ formierte sich ein | |
Bündnis aus einer Sozialgenossenschaft, politischen Vereinen, aber auch der | |
politischen Bildungslandschaft und der israelitischen Kultusgemeinde. Deren | |
Präsidentin Charlotte Knobloch sprach den Protestierenden Mut zu und warnte | |
vor einer „Feuerprobe“ der Demokratie: „Was heute ins Rutschen kommt, kann | |
morgen schon unsere Demokratie unter sich begraben.“ | |
Ein ähnliches Momentum gab es im Kleinen vor Kurzem [4][im thüringischen | |
Nordhausen], als bei der Stichwahl zu einer bereits verloren geglaubten | |
AfD-Oberbürgermeisterwahl ebenfalls ein zivilgesellschaftliches Bündnis, | |
angeführt vom KZ-Gedenkstättenleiter und Historiker Jens-Christian Wagner, | |
gegen die Spaltung mobilisiert hatte. | |
## Es braucht breite Bündnisse | |
Die Beispiele zeigen: Es braucht jetzt breite gesellschaftliche Bündnisse, | |
um Rechte in die Schranken zu weisen. Zu viele Leute haben sich viel zu | |
lange einfach auf antifaschistische Strukturen verlassen, die meist ohne | |
viel Dank gesellschaftliche Werte gegen autoritäre Abgründe verteidigt | |
haben. Aber es kann nicht nur Aufgabe von linken Gruppen sein, die | |
Demokratie zu verteidigen. | |
Es ist an der Zeit, den Mund aufzumachen. Ob nun im Nahumfeld der Familie, | |
im Sportverein, auf der Arbeit oder einer Antifa-Demo. Es braucht einen | |
übergreifenden Aufstand der Anständigen, wie es ihn 2018 schon einmal nach | |
entmenschlichender „Flüchtlingsdebatte“ und dem offenen AfD-Schulterschluss | |
und pogromartigen Zuständen in Chemnitz mit „Unteilbar“ und „Wir sind me… | |
gegeben hat. Unteilbar hat sich letztes Jahr aufgelöst – vielleicht ist es | |
an der Zeit für eine Neuauflage. | |
6 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rechte-Demo-am-Tag-der-Deutschen-Einheit/!5961046 | |
[2] /Soziale-Bewegungen-in-Berlin/!5961720 | |
[3] /Steinmeiers-Aeusserung-zu-Migration/!5961122 | |
[4] /Oberbuergermeisterwahl-in-Nordhausen/!5959707 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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