# taz.de -- Debütroman von Rin Usami: Obsession und Ausbeutung | |
> Rin Usami erzählt von Glück, Alltag und Tragik eines jugendlichen Fans in | |
> Japan. „Idol in Flammen“ heißt das Debüt der jungen Autorin. | |
Bild: Der Roman gibt einen Einblick in die Fankultur, die auch oft als Otaku-Ku… | |
Viele Teenager haben diese Erfahrung sicher durchlebt. Eine Schwärmerei, | |
vielleicht für eine Person aus der Schulklasse, vielleicht aber auch für | |
einen weltbekannten Star: unerreichbar in der Realität, weshalb die Nähe | |
zum Idol durch Konsum von Film, Musik, Poster oder bedrucktes Kissen | |
vorgetäuscht wird. | |
Akari, Teenager und Schülerin einer japanischen Oberstufe, hat ein solches | |
Idol – ein Star aus der Unterhaltungsindustrie. Und deshalb sammelt sie | |
obsessiv CDs, Fanartikel und Videoaufnahmen. Akari kauft von derselben CD | |
gleich zehn, zwanzig, dreißig Stück, weil jede gekaufte CD etwas | |
verspricht: eine Minute Händchenhalten vielleicht oder einen Wahlschein, um | |
die kommerzielle Beliebtheit ihres Idols zu beeinflussen und zu seinem | |
Profit beizutragen. Sie ist schier besessen von dem Gedanken, ihrem Idol zu | |
dienen. | |
Der Roman „Idol in Flammen“, geschrieben von der jungen Autorin Rin Usami, | |
die 1999 geboren ist, zeigt in kurzen Sätzen und knappen Szenen auf, wie | |
wichtig das Merchandising in Japan ist und wie stark die japanische | |
Unterhaltungsindustrie zur Befriedigung dieser Bedürfnisse auf Ausbeutung | |
setzt. Dabei konzentriert sich Usami nicht nur auf die Perspektive der | |
Fans. | |
Auch die reale Ausbeutung der Künstler:innen wird beleuchtet, denen in | |
der heutigen japanischen Gesellschaft ihre Privatsphäre komplett genommen | |
wird. Während die Industrie aus der Besessenheit der Fans das Geld | |
aufsaugt, sind Künstler:innen schier dazu da, um ihre Fans zu | |
befriedigen. Usami gibt einen Einblick in die Knebelverträge, in denen die | |
Idole feststecken, sie können keine Beziehungen, kaum Freundschaften und | |
nur wenige familiäre Kontakte pflegen. | |
## Fanatisch fixiert | |
Die Protagonistin des Buches schreibt derweil neben ihren Einkaufstouren | |
fleißig Blogeinträge. Sie analysiert Shows, Konzerte und neueste | |
Ereignisse. Sie hat eine gute Zahl von Follower:innen, mit denen sie | |
virtuell vernetzt ist. Gemeinsam widmen sie ihren Alltag der Band „Maza | |
maza“, speziell dem Bandmitglied Masaki, auf den Akari so fanatisch fixiert | |
ist, seit sie eine Theateraufnahme von ihm gesehen hat, als er noch Schüler | |
war. | |
Diese Faszination schwindet nicht, als Masaki von Medien beschuldigt wird, | |
einem Fan gegenüber gewalttätig geworden zu sein. Während andere Fans die | |
Partei der Betroffenen ergreifen, hält Akari an ihrem Idol fest. Denn im | |
Fansein liegt ihr ganzes Glück. | |
Dabei bemüht sich die Autorin Usami gar nicht sonderlich um | |
Nachvollziehbarkeit: Es bleibt unklar, was nun speziell an diesem Typ | |
besonders ist und warum er die Aufmerksamkeit der Protagonistin so auf sich | |
zieht. Vielleicht mag das aber auch gewollt sein, um die Willkür einer | |
Besessenheit zu demonstrieren: Manchmal gibt es dafür keinen Grund. | |
Im Übrigen singt und schauspielert dieser Star auch, aber seine | |
Berufsbezeichnung bleibt Idol – in Japan eine gängige Tätigkeit. Er wurde | |
von der Unterhaltungsindustrie geschaffen, um als verehrtes Objekt zu | |
arbeiten: Er ist ein Mensch, der davon lebt, dass andere Menschen besessen | |
von ihm sind. | |
## Leistungsdruck in Schule und Familie | |
Während in der realen japanischen Gesellschaft viele Künstler:innen | |
keine andere Lösung finden als den Suizid, wählt Usami einen sanfteren | |
Ausweg für ihre Protagonist:innen. Komplett gnädig bleibt sie aber nicht: | |
Nach dem Medienaufschrei stürzt sich die Protagonistin Akari noch stärker | |
in die Obsession, zwingt ihren Körper, zu funktionieren, obwohl er | |
erschöpft ist, und riskiert dabei nicht nur ihre Gesundheit. Akari isst, | |
bis sie sich übergibt, und sie arbeitet in ihrem Teilzeitjob, [1][bis sie | |
zusammenbricht.] Auch ihre Familie, ihre schulischen Leistungen und damit | |
ihre Zukunft drohen ihr zu entgleiten. | |
Der Roman bietet einen guten Einblick in die Fankultur Japans, die auch oft | |
als Otaku-Kultur, also Kultur der Nerds und Geeks bezeichnet wird. Die | |
Perspektive der pubertierenden Protagonistin wird dabei recht überspitzt | |
dargestellt; in der Realität sind Schüler:innen dem schulischen und | |
familiären Leistungsdruck so stark ausgesetzt, dass eine Protagonistin wie | |
Akari eher ein seltener Fall wäre. | |
Bestimmt trifft Usami aber in der Hardcore-Otaku-Szene einen wunden Punkt: | |
Denn dort gibt es nicht nur Teenager, sondern auch Erwachsene, die eine | |
romantische Beziehung mit einer Puppe führen, die ihr Idol abbildet, oder | |
einen [2][fiktionalen Animationscharakter] heiraten, weil sie sich so in | |
ihrer Obsession verfangen haben. | |
1 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
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