# taz.de -- Der virtuelle Popstar Hatsune Miku: Der erste Klang der Zukunft | |
> Ein Stimmensynthesizer mit Hologramm füllt Stadien. Die Fans schreiben | |
> dank User Generated Content an Hatsune Mikus Erfolg mit. | |
Bild: Ein Hologramm und doch mehr: Hatsune Miko wird von japanischen Fans umsch… | |
Der amerikanische Moderator David Letterman schaut amüsiert in die Kamera. | |
Der Ankündigungstext auf dem Teleprompter seiner „Late Night Show“ scheint | |
ihn gleichermaßen zu verwirren und zu belustigen. „Unser nächster Gast ist | |
eine computergenerierte Vocaloid-Persönlichkeit aus Japan. Meine Damen und | |
Herren: Hatsune Miku!“ | |
Das Licht geht aus, Kameraschwenk auf die kleine Studiobühne. Zwischen drei | |
Musikern an Schlagzeug, Gitarre und Laptop taucht das Hologramm des | |
japanischen Superstars buchstäblich aus dem Nichts auf. Die langen,dünnen | |
Beine stecken in glänzenden Stiefeln, ein knappes Kleidchen mit Krawatte | |
betont die schlanke Statur der 16-Jährigen, das türkis eingefärbte Haar | |
fällt in zwei dicken Zöpfen bis zu ihren Knien herab. Hatsune Miku | |
beherrscht ihre Choreografie perfekt, artig winkt sie ihren Fans zu und | |
singt mit ihrer unverkennbaren zuckersüßen Stimme, die sie ursprünglich | |
einmal berühmt gemacht hat. | |
Hatsune Miku ist das ultimative Produkt und dadurch vielleicht der perfekte | |
Popstar. Aus technischer Sicht ist sie nicht mehr als ihre wiedererkennbare | |
Gesangsstimme – und vielleicht noch nicht einmal die. Ab 2004 entwickelte | |
der japanische Medienkonzern Crypton Future Media den Stimmensynthesizer | |
Vocaloid, mit dem Gesangsmelodien digital programmiert werden können, um | |
bei Produktionen Geld für echte Sänger einzusparen. | |
Eine der Stimmfarben wurde durch Samples der japanischen Stimmkünstlerin | |
Saki Fujita generiert, die mit ihrem Comic-haften hoch fiependen | |
Stimmtimbre japanische Anime-Filme synchronisiert. Weil sich die Software | |
allerdings nicht gut verkaufte, koppelte der Konzern diese Stimme aus | |
Marketinggründen an die animierte Figur eines 16-jährigen Mädchens – und | |
erfand dabei zufällig den bekanntesten virtuellen Popstar der Welt. | |
Im August 2009 hatte Hatsune Miku, deren Name übersetzt „der erste Klang | |
der Zukunft“ bedeutet, ihre ersten „Live“-Auftritt, mittlerweile füllt s… | |
riesige Stadien und tourt als überlebensgroßes Hologramm durch die ganze | |
Welt. Als Werbefigur kurbelt sie die Gewinne von Google, Toyota und Family | |
Mart an, als eigene Marke verkauft sie Merchandisingprodukte im Wert von | |
Milliarden. Ihre Fans sind meist jugendliche Mitglieder der japanischen | |
Otaku-Szene, jener Nerd-Subkultur, die sich exzessiv mit Manga- und | |
Animekultur beschäftigt. | |
Doch auch die Kunstwelt hat ein Interesse an dem Phänomen entwickelt. Die | |
japanische Künstlerin Mari Matsutoya wagt im Rahmen eines | |
gemeinschaftlichen Projekts der beiden Berliner Festivals transmediale und | |
CTM eine ungewöhnliche Annäherung: Unter dem Titel „Still Be Here“ | |
initiiert sie eine multimediale Performance, die den Kern der Faszination | |
von Hatsune Miku erforscht. | |
Zur musikalischen Umsetzung holte sich Matsutoya die US-Musikerin Laurel | |
Halo ins Boot, sowie weitere Künstler für Mikus Choreografie und visuelle | |
Komponenten. „Es ging uns darum, die Komplexität, die hinter der Figur | |
Hatsune Mikus steckt, herauszuarbeiten, damit sie nicht vorschnell als | |
flacher Manga-Charakter abgeschrieben wird“, erläutert Laurel Halo das | |
Anliegen des Projekts. | |
Am Freitag und Samstag wird [1][die konzertähnliche Performance] im | |
Berliner Haus der Kulturen der Welt uraufgeführt. „Die Performance kann man | |
sich als eine Art Pseudodokumentation mit Musik und Animationen über Mikus | |
Karriere vorstellen. Es werden Interviews gezeigt, etwa mit Hatsune Mikus | |
„Vater“ oder einem Mathelehrer aus Ulm, der in seiner Freizeit durch | |
Verkleidung in die Rolle Hatsune Mikus schlüpft und durch das Cosplay das | |
innere 16-jähige Mädchen auslebt, das er nie war“, beschreibt Halo das | |
Stück. | |
Halo komponierte die Musik zur Aufführung nach textlicher und musikalischer | |
Analyse der beliebtesten Miku-Songs. Die Ursprungsidee, englischsprachige | |
Songs für Miku zu produzieren, ließ sich nicht umsetzen. „Obwohl es eine | |
englische Version des Vocaloids Hatsune Miku gibt, ließ sich die Textebene | |
auf Englisch kaum verwirklichen“, sagt Halo. „Die englische Sprache ist zu | |
formell im Gegensatz zur syllabischen Struktur des Japanischen. Außerdem | |
klang Miku auf Englisch einfach nicht wie sie selbst.“ | |
## Hochglanzprodukt mit eigenständiger Existenz | |
Die Komplexität von Miku entsteht laut Projektleiterin Matsutoya vor allem, | |
weil Hatsune Miku auf zwei Arten gleichzeitig existiert: Zum einen ist sie | |
das aufpolierte Hochglanzprodukt großer Konzerne, das aus kapitalistischen | |
Interessen heraus konstruiert wurde. Andererseits führt sie aber dadurch, | |
dass ihre Figur nicht durch strenge Copyright-Auflagen geschützt ist, eine | |
zweite, nahezu eigenständige Existenz: Mikus Fans produzieren mit der | |
MikuMikuDance-Software Musikvideos, kreieren Sitcoms über sie und | |
produzieren Hatsune-Miku-Songs. Über 100.000 Veröffentlichungen gibt es | |
mittlerweile, die meisten davon sind von ihren Fans gemacht. Im Idealfall | |
kann es sogar passieren, dass Miku die Songs ihrer Fans auf ihren Konzerten | |
„live performt“. | |
„I want you to re-make me. I sing and exist only for you“, singt Miku in | |
einem ihrer Songs. Die Grenze zwischen Produzent und Rezipient verläuft | |
fließend, der Fan wird zum Mittelpunkt der Warenschöpfung. | |
Nico Nico Douga, das japanische Äquivalent zu YouTube, ist voll von diesem | |
„user generated content“, die technische Qualität variiert dabei stark. | |
Mari Matsutoya zieht hier die Parallele zu der Filmemacherin Hito Steyerl, | |
die bildliche Repräsentationen in „rich“ und „poor images“ unterteilt.… | |
„rich image“, also die Hochglanzversion Mikus, die der industriellen | |
ästhetischen Norm entspricht, steht im Gegensatz zu den „poor images“, die | |
aus den oft amateurhaften Adaptionen ihrer Fans entstehen. Billige, | |
illegale Downloads, die Komprimierung der Pixelzahl und die Weiterleitung | |
mit schlechter Übertragungsrate generieren diese qualitativ schlechteren | |
Zerrbilder. | |
## Ein Original? Gibt es nicht | |
Statt diese Entfremdung vom „Original“ jedoch als minderwertig zu | |
beurteilen, können die „poor images“ als Befreiungsschlag und als | |
Alternative zum existierenden Bildermainstream interpretiert werden. Mikus | |
Aura ist somit nicht mehr an die Beständigkeit des Originals gebunden, da | |
es kein Original gibt. Vielmehr ist sie die Summe ihrer vielfältigen, | |
vergänglichen Kopien. | |
In Fan-Onlineforen stößt der Versuch einer theoretischen Annäherung an | |
Hatsune Miku auf wenig Gegenliebe. „Das passiert, wenn man etwas nimmt, das | |
Spaß macht, ihm alles Leben entzieht und dann versucht, jeden davon zu | |
überzeugen, dass dies eine ernsthafte Angelegenheit ist“, wettert ein Fan | |
in einem Otaku-Forum über den kompliziert formulierten wissenschaftlichen | |
Überbau von „Still Be Here“. Miku ist für ihre Fans im wahrsten Sinne des | |
Wortes zum Eigentum geworden, dessen „Authentizität“ – wie auch immer | |
geartet – es zu verteidigen gilt. | |
Ewig schön, für immer 16 Jahre jung und vom Laster der Sterblichkeit | |
entbunden – Hatsune Miku löst das Versprechen von Popmusik, die immer für | |
einen da sein wird, in fast schon unheimlicher Konsequenz ein. Den immer | |
gleichen Kreislauf der Popindustrie aus Produktion, Distribution, Rezeption | |
und produktiver Weiterverarbeitung durchläuft ihre Figur mustergültig und | |
wird zum Paradebeispiel des Popstars als Spiegel kollektiver Bedürfnisse. | |
Auch „Still Be Here“ lässt diesen zentralen Aspekt der produktiven | |
Weiterverarbeitung nicht außen vor und stellt im Anschluss an die | |
Performance Teile der Musik und Choreografie zum Download bereit. So findet | |
auch diese teils kritisch beäugte Annäherung an Hatsune Miku wieder Eingang | |
in den subversiven Verwertungskreislauf ihrer Fans. | |
4 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://2016.transmediale.de/content/still-be-here-friday | |
## AUTOREN | |
Laura Aha | |
## TAGS | |
Pop | |
Indien | |
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