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# taz.de -- Wim Wenders porträtiert Anselm Kiefer: Der Romantiker in der Fabri…
> In seinem Film „Anselm“ porträtiert Wim Wenders den Maler und Bildhauer
> Anselm Kiefer als Universalkünstler in 3-D – ohne kritische Distanz.
Bild: Skulpturen, die an Ruinen erinnern, in der Landschaft. Der Künstler Anse…
Der große hagere Mann schlurft allein durch sein Atelier. Er pfeift eine
zufriedene Melodie, bleibt begutachtend vor einer Leinwand stehen. Sie ist
nicht ganz so groß, wie es bei den Gemälden dieses Künstlers üblich ist,
keine sechs mal fünf Meter voll dunkler, scheinbar zerfallener Schichten
aus abgebranntem Stroh, übergossenem Blei oder dicker Acrylfarbe.
Vielleicht sind es diesmal nur zwei mal ein Meter, die da im Halbdunkel auf
einem Rollgestell vor ihm stehen.
Er hebt etwas auf der Leinwand an, womöglich ein galvanisiertes Stück
Blech. Sein Pfeifen deutet an: Er ist zufrieden mit seinem Werk. Und
routiniert, wie es Anselm Kiefer wohl schon seit fünfzig Jahren macht,
versetzt der Künstler dem Rollwagen dann einen kräftigen Ruck, um ihn laut
ratternd und zielgenau vor eine ganze Riege solcher Leinwände zu
manövrieren, die womöglich alle auf eine ähnliche Inspektion des Meisters
warten.
Lange hallt das Rattern der Rollen auf dem Atelierboden nach. Derweil
gleitet die Kamera viele Meter in die Höhe und erst dann merkt man in einer
frühen Szene von Wim Wenders’ Künstlerdokumentation „Anselm – Das Rausc…
der Zeit“, was das eigentlich für eine unglaubliche Kulisse ist.
Im dämmernden Abendlicht zeichnet sich das Innere einer riesigen Lagerhalle
ab, eines regelrechten Logistikzentrums der Kunst. Nein, noch mehr: Auf
meterhohen Regalen, zwischen Gabelstaplern, Asphaltkocher und Brennofen hat
Anselm Kiefer sich hier, in dem einstigen Lagerhaus der französischen
Kaufhauskette La Samaritaine bei Paris, eine monumentale Stätte der Dinge
und Symbole angelegt, mit Bettgestellen wie aus frühen Heilanstalten und zu
ruinösen Türmen gestapelten Betonquadern.
Die Kamera steht nun oben, über der menschenleeren Metropole seines
Schaffens. Noch immer pfeift der mittlerweile 78-jährige Anselm Kiefer sein
Liedchen, schwingt sich auf ein Hollandrad und verschwindet in den dunklen
Straßen seines Ateliers.
## Große Räume verwandelt
Es sind atemberaubende Szenen, die der Künstler Anselm Kiefer seinem
langjährigen Freund, dem Filmregisseur Wim Wenders hier liefert. Und sie
werden im Laufe des Dokumentarfilms immer beeindruckender – in 3-D. Die
losen Kapitel von „Anselm“, mit denen sich Wenders an den Künstler und
seine Kunst herantastet, widmet der Regisseur den bildgewaltigen
Kiefer’schen Arbeitsstätten: Der Dachboden einer Schule in Hornbach, die
Ziegelfabrik im Odenwald, dann das Anwesen La Ribaute in Südfrankreich nahe
Avignon: ein für immer unvollendeter, zig Hektar großer Themenpark aus
rostenden Wellblechhallen und einem staubigen Amphitheater, aus insgesamt
40 Räumen mit unterirdischen Gängen und Krypten.
Hier kreist die Kamera um Kiefers mythische „Frauen der Antike“, diese
kopflosen weiblichen Figuren in verwitterten Brautkleidern, um einen
Flugzeugträger aus Blei oder um die wie ausgebrannt wirkenden Quadertürme.
Das kriegszerstörte Deutschland seiner Kindheit – Kiefer wurde 1945, kurz
vor Ende des Zweiten Weltkriegs, in einem Luftschutzbunker in
Donaueschingen geboren – lässt der Künstler in seinen Ateliers immer wieder
geisterhaft auferstehen.
La Ribaute hat Kiefer 2020 der Stiftung Eschaton vermacht, die Anlage ist
öffentlich zu besichtigen. Wim Wenders kam 2019 zum ersten Mal dorthin. „Da
war ich doch recht von den Socken und ich habe gesagt, ‚now or never‘“,
erzählt der Regisseur in einem Interview für den NDR in diesem Sommer,
nachdem er „Anselm“ bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellt hatte.
Der letzte Anstoß für das schon lange zwischen den zwei Freunden angebahnte
Filmprojekt war schließlich seine atemberaubende Kulisse. Und Wim Wenders
holt die Kiefer’schen Ruinen nun auf die Leinwand, macht sie mit seinen
schwebenden Kameras, der Plastizität des Dreidimensionalen noch
ästhetischer, noch erhabener.
Während der in Düsseldorf geborene Wim Wenders, auch Jahrgang 1945, in die
Welt ausbrach, mit seinen mittlerweile [1][über 60 Filmen] die texanischen
Weiten, die Mode in Japan, eine skurrile Community in einem New Yorker
Hotel fiktiv oder dokumentarisch verarbeitet, [2][grub Anselm Kiefer immer
tiefer in der deutschen Geschichte. Er arbeitete mit seiner Kunst gegen ein
Beschweigen des Nationalsozialismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft
an]. Und er scheute sich nicht vor Monumentalität. Das brachte ihm in
Deutschland viel Kritik ein. Das Ausland aber, allen voran die USA und
Frankreich, feierte ihn. Auch heute gilt der französische Präsident Emanuel
Macron als ein Bewunderer Kiefers, beauftragte ihn 2020 für das Pariser
Panthéon.
## Der Mythos als offene Baustelle
Kiefers düstere, großformatige Dachbodenbilder aus den 1970er Jahren etwa
sollten berühmt werden. Mehrfach malte er diesen perspektivischen Raum von
dunkler Suggestivkraft, den damalige Kritiker mal als Walhalla in
Regensburg, mal als Nazi-Festsaal deuteten. Einmal legte er eine leere
Wiege darein. Sie sollte einen Ort für den jungen Parsifal symbolisieren,
wo das mittelalterliche Heldenepos seine Anfänge nimmt – und auch das Epos
des angehenden Künstlers Anselm Kiefer. War das nicht größenwahnsinnig,
sich mit diesem braun belasteten Mythos zu identifizieren?
Ob er ein Neofaschist sei, lautet die Frage eines Journalisten in einer der
historischen Fernsehaufnahmen, die Wim Wenders immer wieder in seinen Film
einfädelt. Woraufhin Kiefer recht trocken erwidert, dass diese Frage eine
Beleidigung für ihn sei, er sich aber im Gegenzug nie als Antifaschist
bezeichnen möge, denn damit würde er die von den Nazis bis zum Tode
verfolgten Antifaschisten noch viel mehr beleidigen.
Dies ist die klarste politische Aussage von Anselm Kiefer, die der Film im
Verlauf seiner 93 Minuten liefert. Und sie zeigt, dass der Künstler
offenbar mehr Distanz zu sich selbst hat, als Wim Wenders mit seinem
Porträt ansonsten suggeriert. Der inszeniert ihn lieber als den großen
Universalkünstler in seinem Kosmos, lässt Kiefers vom Rauchen tief
gesunkene Stimme mit Sätzen aus dem Off kommen wie „Der größte Mythos ist
der Mensch selbst“.
Solch pathetische Formeln werden dann abgelöst von den sinfonischen Klängen
des Filmkomponisten Leonard Küßner, gehen auf in der überwältigenden
Ästhetik des Films. Immer wieder allerdings bricht Wim Wenders mit der
eigenen Monumentalität. Er zeigt den Künstler heute bei seiner Arbeit im
Atelier, wo dann auch mal der Pinsel mit einem dicken Platsch in den
Farbtopf fällt oder das automatische Podest über Minuten auf die richtige
Meterhöhe vor der Leinwand justiert wird.
## Kindheit als Spielszene
Und er blendet spielfilmartige Rückblicke ein. Kiefer als Kind zeichnend in
den Feldern seiner baden-württembergischen Heimat, gespielt von Wenders’
Großneffen Anton Wenders. Kiefer als Student im Atelier, wie sein Blick
ebenjene Holzbalken des Dachbodens entlangfährt, die bald darauf auf seinen
Gemälden wieder auftauchen sollten, gespielt von Sohn Daniel Kiefer. Diese
Sequenzen, sie porträtieren den Künstler auf einem – wie beschreibt man
das? – einsamen Weg der Erkenntnis und der ästhetischen Reife. Und damit
bedient Wenders ein sehr romantisches Klischee.
Das Formelhafte bringt Wim Wenders hier gerne auf die Leinwand. Auch bei
den „Frauen der Antike“, Kiefers weibliche Figuren ohne Kopf, Symbole für
die vergessenen Frauen der Kulturgeschichte. Wenn Wenders die Kamera auf
dem Anwesen von La Ribaute um ihre verwitterten Brautkleider drehen lässt,
dann haucht dazu eine junge, weibliche Stimme in den Film. Geisterhaft,
auch erotisch, flüstert sie etwas kaum Verständliches.
Das ist auf diese Wenders’sche Art bezaubernd. Und es ist gleichzeitig so
schablonenhaft vom Regisseur, die Frau im Film als solch schattenhafte,
jugendliche Muse auftreten zu lassen.
Dabei ist Anselm Kiefers künstlerischer Blick auf die Frau etwas
facettenreicher, als es diese Filmbilder vermitteln. Wenig bekannt sind
seine erotischen Aquarelle, auf denen er sich selbst als männlicher
Künstler befragt, wenn er die für ihn typischen Symbole, Türme etwa,
phallusartig am weiblichen Körper hervorsprießen lässt. Doch für solch
einen selbstironischen Kiefer ist kein Platz in „Anselm“, trotz 93 Minuten,
trotz 3-D. Wim Wenders hat mit diesem Film ein Monument für Anselm Kiefer
gedreht, so pathetisch und einseitig ein Monument eben ist. Ein recht
verstaubtes Monument übrigens.
10 Oct 2023
## LINKS
[1] /Filmfestspiele-Cannes-2023/!5936656
[2] /Anselm-Kiefer-Retrospektive-in-London/!5032409
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Film
Wim Wenders
Anselm Kiefer
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Wim Wenders
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