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# taz.de -- Film „Perfect Days“ von Wim Wenders: Schattenspiel auf der Toil…
> Wim Wenders hat mit „Perfect Days“ einen trügerisch schlichten und
> schönen Film gedreht. Sein Hauptdarsteller bleibt unerschütterlich ruhig.
Bild: Hirayama (Kōji Yakusho) im Bad
Für Wim Wenders war 2023 ein gutes Jahr. Mit kleineren und größeren
Erfolgen. So erschien im Sommer die deutsche Übersetzung des Comics „Das
Storyboard des Wim Wenders“ des kanadischen Zeichners Stéphane Lemardelé.
Hervorgegangen war der Band aus einer früheren Zusammenarbeit, bei der
Lemardelé das Storyboard, mithin die visuelle Version des Drehbuchs zu
Wenders’ Film „Every Thing Will Be Fine“ (2015), erstellte. Immerhin: Zum
ersten Mal wurde dem Regisseur die Ehre zuteil, als Titelheld eines Comics
zu fungieren. Er selbst hätte, wie er im Vorwort schreibt, „nie damit
gerechnet, einmal in einer Graphic Novel vorzukommen“.
Wichtiger allerdings: Wenders war im Mai bei den Filmfestspielen von Cannes
gleich zweimal mit neuen Filmen vertreten, außer Konkurrenz mit dem
[1][3-D-Dokumentarfilm „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ über den
Monumentalkünstler Anselm Kiefer] und [2][im Wettbewerb mit seinem jüngsten
Spielfilm, „Perfect Days“].
Letzterer war nicht allein der stärkere Beitrag der beiden, er war sogar so
gut, dass einige Zuschauer im positiven Sinn überrascht waren. Erwiesen
sich seine Spielfilme davor, zuletzt der leicht pathetische [3][Thriller
„Grenzenlos“ mit James McAvoy und Alicia Vikander] einerseits und die
[4][in 3-D-Technik gedrehte spröde poetische Peter-Handke-Verfilmung „Die
schönen Tage von Aranjuez“] mit Reda Kateb andererseits, doch als weniger
bemerkenswert.
## Wortkarger Protagonist
Dabei gibt sich „Perfect Days“ beinahe wie ein Film, der nicht allzu viel
will. Er ist geradlinig erzählt, hat einen wortkargen Protagonisten und
eine Handlung, die man von der reinen Beschreibung her als Gimmick abtun
könnte. Denn Hirayama, dem der Film für zwei Stunden durch dessen Alltag
folgt, reinigt in Tokio öffentliche Toiletten. Spätestens aber, wenn man
sieht, was für Gebäude da gesäubert werden, könnte sich die eventuelle
Kritik am Sujet erledigen.
„The Tokyo Toilet“ steht auf Hirayamas Arbeitsoverall, wenn er sich mit der
stets gleichen Routine morgens auf den Weg zur Arbeit macht, im Auto eine
Kassette mit Musik einlegt, wobei Wenders’ Geschmack für eine klassische
Auswahl mit [5][Patti Smith], Van Morrison und Otis Redding gesorgt hat, um
dann von einer Bedürfnisanstalt zur nächsten zu fahren, von denen alle
ausgesprochen reizvoll gestaltet sind. Einige warten mit Details im Design
auf, die bei den Benutzern mitunter erstauntes Lachen hervorrufen.
Diese Klos sind alle echt. Unter dem Namen [6][„The Tokyo Toilet“] finden
sich im Tokioter Stadtteil Shibuya siebzehn solcher Örtlichkeiten, die für
die ursprünglich für 2020 vorgesehenen Olympischen Spiele in Japan von
international renommierten Architekten wie Tadao Ando neu gestaltet wurden.
Sie sind barrierefrei und gratis zu benutzen.
Jede einzelne von ihnen weckt den Wunsch, man möge solch eine Initiative
doch auch hierzulande starten. Nicht allein der standardmäßig eingebauten
Gesäßduschen in den Toilettenschüsseln wegen. Hirayamas Tätigkeit bietet
Wenders reichlich Gelegenheit, diese Orte zusätzlich zu ihrem
repräsentativen Äußeren mit ihrer nicht minder gelungenen Inneneinrichtung
ausführlich zu zeigen, ohne dass es forciert wirken würde.
## Dinge am Rand
Wenders war vergangenes Jahr eigentlich nach Japan eingeladen worden, um
einen kurzen Dokumentarfilm über das Projekt „The Tokyo Toilet“ zu drehen.
Dass er sich anders entschied, ist ein glücklicher Fall von
Auftragsverweigerung. Denn mit den schlichten Gesten und der reduzierten
Handlung von „Perfect Days“, in der sich die Dinge meistens am Rand
ereignen, erzählt er nebenbei ziemlich viel. Sein Hauptdarsteller Kōji
Yakusho trägt dieses Geschehen mit einer zurückgenommenen
Selbstverständlichkeit, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan.
Hirayama vereint in seiner Person scheinbar Widersprüchliches. Er geht mit
unerschütterlicher Gemütsruhe und leidenschaftlich genauer Gründlichkeit
seiner Arbeit nach. Diskret zieht er sich zurück, wenn jemand mal dringend
muss, während er noch putzt. Handelt es sich um einen Betrunkenen, der
anschließend zum Dank das vor der Tür platzierte Warnschild unachtsam zur
Seite tritt, stellt Hirayama es kommentarlos wieder auf. Selbst sein
trotteliger jüngerer Kollege Takashi (Tokio Emoto), der gern zu spät kommt,
eher mäßiges Engagement zeigt und regelmäßig Hilfe aller Art beansprucht,
bringt Hirayama nicht aus dem Trott.
Doch Hirayama lebt zugleich allein, einsame Gewohnheiten bestimmen seine
Tage, ob im öffentlichen Bad nach Feierabend oder dem Abendessen im Lokal,
wo er stets freundlich gegrüßt und geachtet wird. Wenders inszeniert ihn
wie einen Sisyphos im Dienst der Allgemeinheit, als jemanden, der sich im
Ewiggleichen nicht lediglich einzurichten weiß, sondern damit sogar
glücklich sein kann. Dass er noch andere Neigungen und Bedürfnisse als
Putzen hat, streut Wenders andererseits regelmäßig in den Alltag Hirayamas
ein. Lässt ihn nachts im Bett Faulkner lesen, an freien Tagen in einem
Antiquariat neue Bücher erstehen und in seinen Arbeitspausen mit einer
alten Analogkamera Fotos von Bäumen machen.
Die Aufnahme von Bäumen, deren Blätter im Wind rauschen, ist gleich zu
Beginn das erste Bild des Films, und Bäume begleiten Hirayama durch dessen
ganze Geschichte. Als Schatten auf einer Toilettenwand oder im Schlaf, mit
Träumen, die in Schwarzweißbildern flirren, einzelne Tagesreste als
fotografisches Detail herausgreifend. In seiner Wohnung züchtet er, Wenders
ist da mit seiner Figur sehr konsequent, Setzlinge von Bäumen zu Bonsais
heran. Warum Hirayama von Bäumen so fasziniert ist, erfährt man nicht.
Ebenso wenig erfährt man, was ihn in seine gegenwärtige Lage gebracht hat.
## Er hält sich auf Abstand
Dass Hirayama hingegen kein Einzelgänger ohne jegliche Beziehung zu anderen
ist, erfährt man in der zweiten Hälfte des Films. Auch da gibt Wenders nur
knappste Hinweise auf eine Vergangenheit dieses Mannes. Frauen in seiner
Umgebung grüßt er höflich, ansonsten hält er sich merklich auf Abstand zu
ihnen. Warum er allein lebt, bleibt, wie einiges andere, offen.
Man braucht es nicht zu erfahren. Er ist für Wenders anscheinend so
gegenwärtig wie der von Lou Reed im titelgebenden Song „Perfect Day“
beschriebene Tag oder die Licht- und Schattenspiele der Blätter, die zu
fotografieren Hirayama nicht müde wird. Wie er an einer Stelle sagt, er
spricht vermutlich kaum mehr als zehn vollständige Sätze im Film: „Nächstes
Mal ist nächstes Mal. Jetzt ist jetzt.“
Hirayamas Beruf des Toilettenputzers verleitet zu der Frage, ob Wenders,
der dem Kitsch bei Gelegenheit mehr Raum als nötig gestattet, mit diesem
Vorhaben ein Plädoyer für die Würde der Arbeit vorschwebte. Für derlei
Interpretationen ist „Perfect Days“ jedoch denkbar ungeeignet. Dafür sind
die Orte, an denen Hirayama im Einsatz ist, einfach zu schön. Und zu
gepflegt. Umgekehrt könnte man in dieser Hinwendung zu etwas, das man sonst
als gegeben voraussetzt, ein Plädoyer für die Würde des Klos erkennen.
Dagegen gibt es nichts einzuwenden.
20 Dec 2023
## LINKS
[1] /Wim-Wenders-portraetiert-Anselm-Kiefer/!5962510
[2] /Filmfestspiele-Cannes-2023/!5936656
[3] /Neuer-Wenders-Film-Grenzenlos/!5520545
[4] /Filmfest-in-Venedig/!5335325
[5] /Preis-fuer-Menschenrechte-und-Frieden/!5733832
[6] https://tokyotoilet.jp/en/
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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