# taz.de -- Graphic Novel zu Wenders’ 70. Geburtstag: Kaum Himmel über Ostbe… | |
> Sebastiano Toma hat Wenders’ bedeutenden Film „Der Himmel über Berlin“ | |
> als Comic adaptiert – tut sich aber schwer, eine eigene Sprache zu | |
> finden. | |
Bild: Hängt so in Berlin rum – der Engel Damiel. | |
Es hätte ein kitschiger Film werden können. Wim Wenders’ Geschichte über | |
den Engel Damiel, der aus Liebe zu einer französischen Trapezkünstlerin | |
sterblich wird. Doch was von „Der Himmel über Berlin“ in Erinnerung bleibt, | |
ist nicht die säuselnde Französin. Sondern ein Staunen über die | |
Möglichkeiten des filmischen Erzählens – eine ganz spezielle Sicht auf eine | |
als zerfilmt geltende Stadt. | |
Nun, zum 70. Geburtstag von Wenders, erscheint eine Adaption seines Films. | |
Der Hamburger Zeichner, Theaterregisseur und Bühnenbildner Sebastiano Toma | |
hat, gemeinsam mit seinem Sohn Lorenzo, „Der Himmel über Berlin“ in eine | |
Graphic Novel übertragen – und von 1987 in das heutige Berlin. | |
Auf den ersten Blick hat Toma alles richtig gemacht. Schließlich ist da, | |
was im Film da ist: die Engel, die sich von Alltagsdetails in Berlin | |
erzählen: „In der Lilienthaler Chaussee ist einer gegangen, ist langsamer | |
geworden und hat über die Schulter ins Leere geschaut.“ Der | |
Geschichtenerzähler Homer, der den Ort seiner Jugend sucht: „Ich kann den | |
Potsdamer Platz nicht finden! Das kann er nicht sein!“ Doch Toma will das | |
dichte, ästhetische Erzählen Wenders’ irgendwie nicht gelingen. | |
Dabei funktioniert es im Film schon in der Anfangssequenz: Die Kamera | |
schwebt vorbei an Gedächtniskirche und Funkturm, durchbricht Häuserwände, | |
landet in Wohnzimmern und in Köpfen. Aus dem Off erklingen die Gedanken der | |
Menschen. Bild und Ton werden so montiert, dass das Porträt eines | |
80er-Jahre-Westberlins entsteht. Als graue Inselstadt und dynamische | |
Metropole – irgendwo zwischen Vergangenheitsbewältigung und | |
Wiedervereinigungswunsch. | |
## Nur Stationen auf einer Sightseeingtour | |
Die Graphic Novel liest sich hingegen wie das Storyboard zum Film. Ein | |
neues Medium verlangt aber nach einer eigenen Sprache – Adaptionen dürfen | |
eben nicht nur Anpassung, müssen kreative Transformation sein. | |
So wie die unbegrenzte Kamera den Kontrast zur eingemauerten Stadt bildet, | |
so hätte es im Comic Hunderte Möglichkeiten gegeben, das Motiv von | |
(Un-)Begrenztheit im jetzigen Berlin darzustellen. Denn trotz | |
Gentrifizierung und Wohnungsknappheit gilt die Hauptstadt immer noch als | |
ein Ort, an dem alles möglich ist. Der es einem deshalb aber oft nicht | |
leicht macht. Filme wie „Oh Boy“ oder „Victoria“ fingen dies zuletzt | |
gelungen ein. | |
Doch Toma fällt es schwer, eine Sprache für das Berlin von 2015 zu finden. | |
Und deshalb noch schwerer, den Bezug zur Vergangenheit darzustellen – ein | |
zentrales Thema im Film. Zwar zeigt er geschichtsträchtige Orte: | |
Brandenburger Tor und die Reste der Mauer. Die wirken jedoch kulissenhaft, | |
wie Stationen auf einer Sightseeingtour. Und eine wichtige Frage bleibt | |
offen: Wo ist eigentlich Ostberlin? Hier hatte Wenders damals keine | |
Drehgenehmigung bekommen. Das hätte die Graphic Novel noch genauer | |
reflektieren können. | |
## Was zwischen zwei Panels passieren kann | |
Diese lässt bis zuletzt leider seltsam kalt. Auch formal. Durch den | |
naturalistischen Stil der Federzeichnungen bleibt kaum Raum für eigene | |
Assoziationen. Während Wenders’ Bilder später sinnhaft in satte Farben | |
umschlagen, ist Tomas Berlin durchgehend schwarz, weiß und bronzefarben. | |
Das hält auf Distanz. Die Texte stammen eins zu eins aus dem Film, sie | |
klingen gestrig und gehen keine Verbindung mit den Bildern ein. | |
Cartoonistische Abstraktion, räumlich-sequenzielles Erzählen und all das, | |
was zwischen zwei Panels passieren kann, fehlen hier. Es ist aber Tomas | |
erste Graphic Novel. Gerade dieser bildgewaltige Film ist da eine | |
Herausforderung. Ja, sogar Wenders sagt heute, diese Aufnahmen bekäme er so | |
kein zweites Mal hin. | |
Und an einer Stelle wird es dann doch interessant, weil Toma die Funktion | |
von Erinnerungskultur behandelt. Das Holocaustmahnmal wird zu jenem Ort, an | |
dem die Engel den Alltagsgedanken der Menschen zuhören – zerstreuten | |
Leuten, die ins Smartphone tippend auf den Blöcken der Gedenkstätte sitzen. | |
Schade, dass nur diese wenigen Seiten etwas Eigenes schaffen. | |
Was am Ende dieser Graphic Novel bleibt, ist deshalb: eine kitschige | |
Liebesgeschichte. Ihr gibt der Zeichner ungeheuer viel Raum. Ihr und der | |
säuselnden Trapezkünstlerin. | |
14 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Christine Stöckel | |
## TAGS | |
Wim Wenders | |
Graphic Novel | |
Film | |
Abriss | |
Wim Wenders | |
Französischer Comic | |
Comic | |
Spielfilm | |
Wim Wenders | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film „Perfect Days“ von Wim Wenders: Schattenspiel auf der Toilettenwand | |
Wim Wenders hat mit „Perfect Days“ einen trügerisch schlichten und schönen | |
Film gedreht. Sein Hauptdarsteller bleibt unerschütterlich ruhig. | |
Pommesbude aus legendärem Film: Jetzt kommt sie in den Frittenhimmel | |
In „Himmel über Berlin“ trank Peter Falk hier Kaffee; jetzt wird die im | |
Film zu sehende Pommesbude am U-Bahnhof Güntzelstraße abgerissen. Warum | |
nur? | |
Fotoausstellung von Wim Wenders: Bis die Orte ihre Geschichten erzählen | |
Regisseur Wim Wenders war unterwegs, um Fotos zu machen: von verfallenen | |
Sauerkrautfabriken, einsamen Spargelfeldern und Dixi-Toiletten. | |
Comiczeichner Lewis Trondheim: Fantasy muss gefährlich sein | |
Der französische Autor erklärt, warum es im Comic Tragik und Gemetzel geben | |
muss und warum die legendäre Reihe „Donjon“ zum Ende kommt. | |
Graphic Novel über Kindheit in Vietnam: „Mein Buch darf da nicht erscheinen�… | |
Wovor sich das Regime in Vietnam auch heute noch fürchtet: eine Graphic | |
Novel über den Krieg aus der Perspektive der Verlierer. | |
Neuer Kinofilm von Wim Wenders: Grotesk verzerrte Größe | |
Der Regisseur kehrt zum Spielfilm zurück. Das Melodrama „Every Thing Will | |
Be Fine“ handelt von dem Schuldgefühl als treibende Lebenskraft. | |
Ehrenbär der Berlinale für Wim Wenders: Die Schönheit des Randständigen | |
Heute hat er den Hang zur großen Geste. Doch einst war Wenders ein | |
Entdecker der Poesie unbesetzter Räume und der erzählerischen Langsamkeit. |