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# taz.de -- Neuer Kinofilm von Wim Wenders: Grotesk verzerrte Größe
> Der Regisseur kehrt zum Spielfilm zurück. Das Melodrama „Every Thing Will
> Be Fine“ handelt von dem Schuldgefühl als treibende Lebenskraft.
Bild: Drängt alle anderen aus dem Bild: Schauspieler James Franco.
Der Titel scheint alles zu verraten: Wim Wenders' neuer Film „Every Thing
Will Be Fine“ handelt von einem Heilungsprozess. Ein Egomane verursacht
einen tragischen Unfall, bei dem ein Kind ums Leben kommt; die
Verwerfungen, die das in seinem Leben auslöst, aber führen letzten Endes zu
Familienglück und mehr Kreativität. Wer jetzt an Woody Allens zynische
Komödie „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ denkt, liegt völlig falsch.
Wim Wenders, wie könnte es auch anders sein, meint es ernst mit seinem
väterlichen „Alles wird gut“. Und wie häufig bei Wenders ist der Ernst das
charmanteste und authentischste Element des Films.
James Franco, auf der Berlinale wegen seiner Allgegenwart als Leinwandwitz
geoutet, spielt hier Tomas, einen Schriftsteller mit der Berufsbezeichnung
„erfolgreich“. Letzteres ist essentiell dafür, Tomas zum Auftakt an
pittoresk abgelegenen Orten Kanadas zu zeigen, wo er an seiner nicht minder
obligatorischen Schreibblockade laboriert.
Die Kamera liebt es, den Schriftsteller zu beobachten, wenn er ein
herrliches Set durchläuft, wie hier einen winterlich gefrorenen See, auf
dem Hunderte von Fischern mit ihren Hütten kampieren. „Every Thing Will Be
Fine“ ist in 3-D gefilmt, und Wim Wenders' sorgsamer Umgang mit dem Format
bei „Pina“ steigert durchaus die Neugier darauf, wie er im Spielfilm damit
verfährt.
## Ein fast magischer Moment
Zum Beispiel bei der Unfallszene: Der verlassenen Straße, auf der Tomas in
winterlicher Abenddämmerung dahinfährt, verleiht die Dreidimensionalität
eine überraschend berührende Subjektivität. Man weiß als Zuschauer, was
passieren wird, aber ist zusammen mit Tomas ganz in der Wahrnehmung des
Moments gefangen. Da gleitet ein Schlitten wie aus dem Nichts auf die
Straße und Tomas bremst verzweifelt. Als er aussteigt, entdeckt er einen
Jungen vor dem Auto, der entgegen aller Vorahnungen unversehrt ist. Es ist
ein fast magischer Moment, weil man sich ja auch als Zuschauer wie im
falschen Film fühlt. Sollte hier doch alles ganz anders kommen?
Tomas begleitet den im Schock verstummten Jungen zum nahen Zuhause, einem
verwunschen wirkenden Häuschen auf der Anhöhe. Über allem liegt der Glanz
des Verschont-geblieben-Seins. Doch dann öffnet die von Charlotte
Gainsbourg gespielte Mutter die Tür, mustert die beiden vor ihr Stehenden
mit hektisch werdendem Blick und fragt: „Und wo ist Nicholas?“
Doch so herrlich vieldeutig und suggestiv diese Szene ist, so inkonsequent
und enttäuschend wirkt das, was danach kommt. Was einmal nicht an der
Vorhersehbarkeit liegt, denn in der Tat schlägt die sich über elf Jahre
erstreckende Handlung wieder und wieder den herkömmlichen Erwartungen
Schnippchen.
## Der Mann im Zentrum
Nein, Schuld- und Trauergefühle werden hier nicht erotisch aufgeladen, um
Menschen noch näher zusammenzubringen als durch den Unfall bereits
geschehen. Und das selbstzerstörerische Verhalten, in das Schriftsteller
Tomas zwischendurch verfällt, wird auch nicht gefeiert als heroisches
Leiden an sich selbst. Wenders möchte in der Tat gegen die Konventionen des
Melodramas, aber doch mit dessen Stilmitteln davon erzählen, wie ein
Schuldgefühl das kreative Schaffen anstacheln und zu besseren
Lebensentscheidungen führen kann.
Wobei es ihm ausschließlich um den Mann im Zentrum geht: Wichtig ist nicht,
ob die anderen Tomas verzeihen – dass er am Unfall im Justizsinne
unschuldig ist, wird im Film früh etabliert –, sondern dass er sich selbst
verzeiht.
Diese Einschränkung des Blicks auf den notwendig egoistischen Künstler hat
leider zur Folge, dass besonders die Frauenfiguren zu bloßen
Stichwortgeberinnen verkommen. Weder Rachel MacAdams als kapriziöse
Freundin, die Tomas anfangs anstrengt, noch Marie-Josée Croze als spätere
Lebensgefährtin, die auch beruflich besser passt, bekommen nennenswerten
Platz zur Entfaltung.
Charlotte Gainsbourg, als Figur der trauernden Mutter eigentlich in der
Rolle der großen Gegenspielerin, darf nur affektiert ausgesprochene
Plattitüden beitragen. Das 3-D-Format mit seinen inhärenten
Größenverzerrungen entfaltet so eine geradezu groteske Wirkung: James
Franco, dessen Schauspielfähigkeiten so unwägbar sind, dass es
zwischendurch so aussieht, als würde er Wenders parodieren, drängt breit
und feist alle anderen aus dem Bild.
2 Apr 2015
## AUTOREN
Barbara Schweizer
## TAGS
Spielfilm
Charlotte Gainsbourg
James Franco
Wim Wenders
Wim Wenders
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Tanz
Wim Wenders
Trauer
Fotografie
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