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# taz.de -- Anselm Kiefers neues Buch: Suche nach dem Ursprung des Universums
> Alexander Kluge und Anselm Kiefer sind seit vielen Jahren befreundet, nun
> bringen sie gemeinsam ein Buch heraus – und erregen damit poetische
> Aufmerksamkeit.
Bild: Alexander Kluge (l.) und Anselm Kiefer
Anselm Kiefer und Alexander Kluge sind seit vielen Jahren befreundet. An
verschiedenen Orten und in verschiedenen Metiers arbeiten sie wie in einer
„imaginären Werkstatt“ zusammen. Kluge spricht auch von einer
„Arbeitstangente“, also von Berührungspunkten.
Was sie verbindet, ist weit mehr als das Kürzel AK. Kluge ist Filmemacher,
Schriftsteller, Forscher, Denker, Gesprächspartner, Fernsehproduzent und
vieles mehr. In der Vielzahl seiner Möglichkeiten des Fragens und
Formulierens verkörpert er schon als Person, was er auch in der Kooperation
mit anderen sucht: den überraschenden Zusammenklang. Mythologie und
Mathematik, Poesie und Naturwissenschaft, Esoterik und Technologie,
Ökonomie und Erotik bilden Erkenntnis-Einheiten, die nun auch in dem
gemeinsamen Buch und in der Begegnung des Malers mit dem Filmemacher zur
Geltung kommen.
Eine sehr alte Kunst – die Malerei – trifft auf eine sehr junge – den Fil…
Doch dazwischen befindet sich bei diesen beiden das ganze Universum als
grenzenloses Feld der gemeinsamen Neugier.
Das Buch besteht aus kurzen Gesprächsauszügen, aus kleinen, mal
erzählerischen, mal essayistischen Texten Kluges, aus Abbildungen von
[1][Gemälden Kiefers] (die naturgemäß seine Riesenwerke auf
Briefmarkengröße eindampfen) und aus zahlreichen [2][QR-Codes, die zu
„Minutenfilmen“ Kluges führen], die wiederum von Kiefer kommentiert werden.
Das Gespräch findet also auf verschiedenen Ebenen statt und öffnet das
Medium Buch in andere Kunstformen hinein.
## Zehnstufiger Erkenntnisprozess
„Klugheit ist die Kunst, unter verschiedenen Umständen getreu zu bleiben“,
lautet mit einem Zitat aus Hölderlins Pindar-Fragmenten der Titel dieses
sorgfältig gestalteten Bandes. Zu Hölderlin und dessen Frage nach dem Wesen
von Klugheit, Treue, Verlässlichkeit kehren die Gespräche immer wieder
zurück. Kluge liest Hölderlin als einen spätrevolutionären Aufklärer, der
Kants Erkenntnistheorie in die griechische Mythologie hinein
transformierte.
Der in zehn Stationen gegliederte Erkenntnisprozess berührt, ausgehend von
Hölderlin, Elektrolyse als künstlerische Praxis, den biblischen Exodus als
Prinzip der Freiheit, das Vergessen und die Kunst der Rückkehr, James Joyce
und die Genealogie der Sprache, die Unschärferelation in der Quantenphysik
Heisenbergs, Zahl und Zeit und die Zukunft als Herrschaft der Ungeborenen,
um am Ende dann wieder zu Hölderlin zurückzukehren.
## Begriffe erhalten einen physikalischen Aggregatzustand
Alles steht mit allem in Beziehung. „Realität ist flüssig“, lautet einer
dieser typischen Kluge-Sätze, in denen begriffliche Abstraktionen einen
physikalischen Aggregatzustand besitzen. Ein anderer, derartiger Satz
lautet: „Es genügt, möglich zu sein, um wirklich zu sein.“ Neben der
sogenannten Realität, die an sich schon undurchdringlich ist, existieren
für den gerne auch in militärischen Kategorien denkenden Kluge „Kolonnen
des Möglichen“.
Dazu zitiert er den antiken Philosophen Plotin, der es für einen Irrtum
hielt, Möglichkeiten in Behältern aus Glas aufzubewahren. Möglichkeiten –
also das, was gewissermaßen im Konjunktiv existiert – finden vielmehr ihre
eigene Form zwischen den Flächen eindimensionaler Kristalle, um dort
geduldig auf ihren Auftritt in der Wirklichkeit zu warten.
Auf diese Weise wirbeln Kluge und Kiefer das Denken gehörig durcheinander.
Das ist produktiv, weil sie vorführen, was es heißt, in unübersichtlichen
Situationen – und welche wären das nicht! – „nicht irre zu werden“, und
dass der Geist zwar „Präzision kennt“, dass er aber „zugleich sich im
Ungefähren zu orientieren weiß“.
Auch wenn Kiefer nach eigenem Bekunden „denkt, indem er malt“, sind beide
sich darin einig, „dass alle Materie ursprünglich aus Buchstaben und Zahlen
besteht, aus einem Alphabet, einer universalen Schrift, die wir nicht lesen
können“.
Es ist kein Zufall, dass in den Werken Kiefers auch die Schrift eine große
Rolle spielt und dass seine monumentalen, aus unterschiedlichsten Dingen
und Materialien verfugten Bildnisse das Gefühl vermitteln, man würde direkt
am Schöpfungsprozess des Universums teilhaben.
Tatsächlich sind Kluge und Kiefer im Gefolge Johannes Kepplers und des
englischen Naturphilosophen [3][Robert Fludd auf der Suche nach dem
Ursprung des Universums] und des Lebens. Als Werkzeuge benutzen sie aber
nicht Teleskop oder Teilchenbeschleuniger, sondern ihre jeweilige Kunst und
ihre poetische Aufmerksamkeit. Sie arbeiten also metaphorisch. Aber das tut
die Wissenschaft ja auch.
8 Jan 2025
## LINKS
[1] /Wim-Wenders-portraetiert-Anselm-Kiefer/!5962510
[2] /KI-Bildessay-von-Alexander-Kluge/!6054529
[3] /Denkprozesse-im-Hygiene-Museum/!5112095
## AUTOREN
Jörg Magenau
## TAGS
Buch
Philosophie
Sprache
Bildende Kunst
Kunst und Abstraktion
Alexander Kluge
Film
Alexander Kluge
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