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# taz.de -- Das taz-Wahl-Lexikon für Hessen: Von Adorno bis Zinn
> Hessen wählt einen neuen Landtag. Was hat den Diskurs zwischen Wäldern
> und Wolkenkratzern geprägt? Wir wissen es von A bis Z.
Bild: Frankfurt, die heimliche Hauptstadt Hessens
Adorno [1][Theodor Wiesengrund Adorno] gehörte zu den Wissenschaftlern, die
1923 (Jubiläum!) das berühmte Institut für Sozialforschung gegründet
hatten. Die „Dialektik der Aufklärung“ verfassten Max Horkheimer und Adorno
im Exil, in das sie vor den Nazis fliehen mussten. Die Studien zum
„Autoritären Charakter“ erschienen nach der Rückkehr des Instituts in der
Bundesrepublik. Auch hier forderten die 68er Parteinahme für die
Revolution, Adorno sträubte sich und wurde zum Hassobjekt der Aktivisten.
Regelmäßig sprengten sie seine Vorlesungen, im Januar 1969 ließ Adorno das
Institut von der Polizei räumen.
Bembel Traditionelles Gefäß der Ureinwohnerschaft. Die grauen Steinkrüge
mit blauen Verzierungen werden zum Ausschenken von Apfelwein, oder korrekt
bezeichnet: Ebbelwei, verwendet.
CDU Im Flieger über den Anden gründeten Jungunionisten 1979 ein lange
geheim gehaltenes Männerbündnis. Das Versprechen: niemals gegeneinander zu
kandidieren. Franz-Josef Jung und Volker Bouffier hielten sich daran. 1999
überließen sie Roland Koch die CDU-Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl.
Der siegte mit einer Unterschriftenaktion gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft („Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“) u…
wurde Ministerpräsident, Bouffier Innenminister und später sein Nachfolger.
Bei der Kampfabstimmung um den CDU-Parteivorsitz fiel der hessische Teil
des [2][Andenpakts] final auseinander. Koch warb für Friedrich Merz, der
auch einer der Männerbündler war, Bouffier für Annegret Kramp-Karrenbauer –
die sich erst durchsetzte und dann scheiterte.
Dreikampf Tarek Al-Wazir ist offiziell Ministerpräsidentenkandidat der
Grünen. Viel Aussicht auf Erfolg hatte der Offenbacher, so staatstragend er
sich auch gibt, von Anfang an nicht. „[3][Habecks Heizhammer“] und die
Performance der Ampel haben die Chancen weiter schwinden lassen. Für
SPD-Kandidatin Nancy Faeser allerdings sieht es auch nicht besser aus.
Immerhin: Für TV-Trielle hat es gereicht.
Erhebungen Ungekrönter König der Umfragen ist Ministerpräsident Boris
Rhein. Alle Institute sehen die CDU mit 31 bis 32 Prozent vorne, was
allerdings das zweitschlechteste Ergebnis der Christdemokrat*innen in
Hessen seit mehr als 50 Jahren wäre. Doch weil SPD und Grüne bei 16-17
Prozent liegen, wird Rhein wahrscheinlich zwischen den beiden als
Koalitionspartner wählen können. Die Linken (3 bis 4 Prozent) werden wohl
rausfliegen, die FDP (5 bis 6 Prozent) muss um den Wiedereinzug in den
Landtag bangen, die AfD (16 Prozent) leider nicht.
Fußball Der Verein Eintracht Frankfurt macht gefühlt etwa 50 Prozent der
hessischen Identität aus. Der mal mehr, mal weniger erfolgreiche
Fußballclub hat weit über Frankfurt hinaus eine breite Anhängerschaft,
mittlerweile bei Frauen wie bei Männern. Daran konnte auch der Erfolg des
zweiten hessischen Bundesligisten bei den Männern, Darmstadt 98, nicht
allzu viel ändern.
Grie Soß Nationalgericht für Frankfurt und Umgebung. Man hackt (nicht mit
dem Mixer zermatschen!) sieben frische Kräuter: Petersilie, Schnittlauch,
Sauerampfer, Borretsch, Kresse, Kerbel und Pimpinelle; fügt Schmand oder
Saure Sahne, Salz, Pfeffer, etwas Öl und Essig hinzu. Dazu passen Salz-
oder Pellkartoffeln und hartgekochte Eier. Serviert man dazu paniertes
Fleisch, mutiert das Ganze zum „Frankfurter Schnitzel“.
Klimaschutz Spielte im Landtagswahlkampf kaum eine Rolle, der Frust über
das zunächst verunglückte Heizungsgesetz schon. Die AfD leugnet den
Klimawandel, unterschwellig setzen sich auch CDU und FDP ab. „Auto
verbieten verboten!“, plakatierte die CDU, die FDP „Feuer und Flamme für
Hessen“. Sie forciert den zehnspurigen Ausbau der Autobahnen A5 und A3
durch Frankfurt, den die schwarz-grüne Landesregierung auf Eis gelegt hat
zum Ärger eines Teils der CDU. Knatsch gab es schon um den [4][Dannenröder
Forst]. Das Waldstück sollte der A 49 weichen, Aktivist:innen besetzten
die Bäume, um gegen die Rodung zu demonstrieren. Unterstützung von den
Grünen gab es kaum: Verkehrsminister Al-Wazir verwies auf die Zuständigkeit
des Bundes.
Linkspartei Die junge Partei enterte 2008 mit Janine Wissler den hessischen
Landtag, die heutige Parteichefin verhandelte damals mit der
SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti und dem Grünen Al-Wazir, um die
rechnerische rot-grün-rote Landtagsmehrheit in politische Macht
umzuwandeln. Das Bündnis scheiterte an drei Abweichlern aus der SPD. Bei
der Wahl am Sonntag droht die Linke auch in Hessen an der
Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Ypsilanti ist gerade wegen Faesers
Asylpolitik (siehe Migration) aus der SPD ausgetreten.
Migration Die Doppelrolle als Bundesinnenministerin und
SPD-Spitzenkandidatin hat Nancy Faeser mehr Probleme bereitet als genutzt.
Für Linke und Linksliberale legt sie Hand an das Grundrecht auf Asyl, für
CDU- und AfD-Anhänger*innen tut sie zu wenig, um die Flüchtlingszahlen zu
senken. Und dass Arne Schönbohm, der geschasste Ex-Chef der obersten
IT-Sicherheitsbehörde, ein so breites Medienecho fand, hat Faeser
geschadet; dass sie sich zweimal dem Innenausschuss verweigerte, kam noch
obendrauf.
Paulskirche In dem ehemaligen Kirchengebäude in Frankfurt sprach der
Schriftsteller [5][Martin Walser 1998 in seiner Dankesrede zum
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels] von der „Moralkeule Auschwitz“ und
markierte damit eine Wende im Umgang mit der Nazivergangenheit. „Geistige
Brandstiftung“ warf ihm dafür der damalige Präsident des Zentralrats der
Juden, Ignatz Bubis, vor, der geschockt in der ersten Reihe saß.
Rechtsterrorismus Im Juni 2019 erschütterte der Mord an dem Kasseler
Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) das Land. In Hanau erschoss am
19. Februar 2020 ein rechtsextremistischer Rassist neun junge Menschen.
Anonyme Täter verschickten unter dem Kürzel „NSU 2.0“ hunderte
Drohschreiben an Prominente, die sich gegen Rechtsextremismus eingesetzt
hatten. Alexander M. wanderte dafür in den Knast, mögliche Bezüge zur
hessischen Polizei, von deren Rechnern die Adressen abgerufen wurden,
blieben ungeklärt. Bei den Ermittlungen stießen die Fahnder auf rechte
Chatgruppen innerhalb der hessischen Polizei, das Landgericht aber lehnte
eine Anklage ab. CDU-Innenminister Peter Beuth wiegelte stets ab, er hat
seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt (siehe
Untersuchungsausschuss).
Stil Boris Rhein, der aktuelle Ministerpräsident von der CDU, galt als
harter Hund, bis er nach der Niederlage im Frankfurter OB-Wahlkampf seinen
Stil änderte. Erst als Landtagspräsident, dann als Ministerpräsident gab
und gibt sich Rhein überparteilich und volksnah, besucht Volksfeste,
schüttelt Hände, posierte mit Weinköniginnen. Mit den Grünen regiert Rhein
geräuschlos, von den Ausfällen seines Parteichefs Merz grenzt er sich
vorsichtig ab.
Turnschuhe Joschka Fischer legte 1985 seinen Amtseid als bundesweit erster
grüner Umweltminister in weißen Turnschuhen ab; die Landes-CDU, damals als
antikommunistischer „Kampfverband“ bekannt, tobte. Die erste rot-grüne
Regierungskoalition hielt nur 14 Monate, die Grünen wollten nach
Tschernobyl die Hanauer Atomfabrik Nukem dicht machen. Im Februar schenkten
Parteifreund*innen Al-Wazir für den Run auf die Staatskanzlei ein Paar
Sneaker, diesmal in Grün. Er versprach, die Turnschuhe bei seiner
Vereidigung als Ministerpräsident zu tragen. Dass es dazu kommt, ist
allerdings unwahrscheinlich (siehe Dreikampf).
Untersuchungsausschuss Immer wieder Stein des Anstoßes in der hessischen
Landespolitik, insbesondere der zum [6][„Nationalsozialistischen
Untergrund“] (NSU). Als das Parlament 2014 einen Untersuchungsausschuss
einsetzte, enthielten sich die Grünen, aus Loyalität zu ihrem
Koalitionspartner. Die bringt die Partei immer wieder ins Schwimmen, sei es
bei der Aufarbeitung des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau, der
Veröffentlichung der NSU-Akten oder der Aufklärung der Drohschreiben des
„NSU 2.0“.
Zinn Als „Baumeister des modernen Hessen“ wird der Sozialdemokrat
Georg-August Zinn oft bezeichnet. Von 1950 bis 1969 regierte er als
Ministerpräsident das Land und prägte mit seiner Sozial- und
Wirtschaftspolitik das Bild vom „roten Hessen“. 1948/49 hatte Zinn schon
zum Parlamentarischen Rat gehört, der das Grundgesetz ausarbeitete. Dabei
setzte er sich insbesondere für das Recht auf Asyl ein. Zinn berief 1956
Fritz Bauer als hessischen Generalstaatsanwalt nach Frankfurt am Main.
Bauer war der Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 bis 1965),
die die öffentliche Debatte um die deutsche Auseinandersetzung mit den
NS-Verbrechen nachhaltig prägten.
8 Oct 2023
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## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
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