| # taz.de -- Kreuzberger Institutionen: Eingerichtet in der Zwischenmiete | |
| > Weil die Mietverträge ausliefen, ziehen NGBK und Werkbund-Archiv von | |
| > Kreuzberg nach Mitte. Allerdings sind die neuen Räume auch nicht | |
| > dauerhaft. | |
| Bild: Erstmal eine Lösung auf Zeit: Neue Räume für die ngbk in Mitte | |
| Berlin taz | Kreuzberg ist auch nicht mehr das, was es einmal war. | |
| Insbesondere die Gegend des [1][alten Postzustellbezirks SO 36] zwischen | |
| Kottbusser und Schlesischem Tor verliert ihren einstigen Nimbus als | |
| Epizentrum der Berliner Sub‑, Gegen‑ und Alternativkultur aus Mauerzeiten. | |
| Und in Zukunft wird davon wohl wenig mehr als Erinnerung bleiben. Denn | |
| inzwischen ist dieses nordöstliche Kreuzberg eine zentrale Innenstadtlage | |
| geworden. Die günstigen Mieten sind Vergangenheit. Das betrifft besonders | |
| die Gewerberäume. | |
| Nun hat die voranschreitende Gentrifizierung zwei Institutionen erwischt, | |
| die sich im (ehemaligen) Kreuzberger Milieu in der Oranienstraße 25 | |
| eigentlich recht wohl gefühlt hatten. Die [2][Neue Gesellschaft für | |
| Bildende Kunst] (kurz: NGBK) und das [3][Werkbundarchiv – Museum der | |
| Dinge]. Beide sind eigentlich Vereine, beide begreifen sich als | |
| Institutionen mit kulturellen Auftrag, beide werden vom Land Berlin daher | |
| gefördert. | |
| Nur den Hauseigentümer scheint die kulturelle Sendung seiner Mieter in der | |
| Oranienstraße nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Der Immobilienfonds | |
| Victoria Immo Properties ließ die jeweiligen Mietverträge beider Vereine | |
| auslaufen. Was die Briefkastenfirma mit Sitz in Luxemburg mit ihrem Gebäude | |
| plant, ist unklar. Die Gewerbemieten der beiden Vereine für ihre Räume | |
| waren aber längst nicht mehr auf dem Niveau, das die Immobilienbranche | |
| heute als normal erachtet. Beide Vereine bekamen nicht einmal ein Angebot | |
| für neue Mietverträge, wohl ahnend, dass sich diese eine Vervielfachung der | |
| Mieten nicht würden leisten können. | |
| Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge ist noch bis 5. November in der | |
| Oranienstraße 25 geöffnet. Nächstes Jahr im Mai wird es dann am neuen | |
| Standort in der Leipziger Straße 54 wiedereröffnen. In Mitte also, wo die | |
| NGBK inzwischen bereits ein neues Zuhause an der Karl-Liebknecht-Straße | |
| 11/13 gefunden hat. Die neuen Räumlichkeiten eröffneten pünktlich zur Art | |
| Week am 13. September mit der Ausstellung „House of Kal“, was die NGBK | |
| selbst als „lebendiges Archiv antikolonialer und queerer Methoden | |
| gemeinschaftlicher Kunstproduktion“ beschreibt. | |
| ## Mitglieder schlagen Themen vor | |
| Die Ausstellung ist ein ziemlich typischer Fall, wie in der NGBK gearbeitet | |
| wird – nämlich basisdemokratisch: Die Vereinsmitglieder machen | |
| Themenvorschläge, die von der Hauptversammlung zur Realisierung abgestimmt | |
| werden, Arbeitsgruppen bilden sich und erarbeiten dann Ausstellungen in | |
| Eigenregie. Das hat Vor‑ und Nachteile. Die aktuelle Schau über das Wasser, | |
| das globalisierte Migrationsströmen trennt aber auch verbinden könnte, ist | |
| thematisch leider ziemlich selbstbezogen, ästhetisch wenig einladend, | |
| strotzt aber dafür von ideologischen Schlagworten. | |
| Ja, die 1969 gegründete NGBK begreift sich als links, ist es bis heute | |
| geblieben, auch wenn kein Vorstand und keine Geschäftsführung über Themen | |
| und Inhalte der Vereinsarbeit bestimmen. Wo die Geschäftsführung aktuell | |
| die Fäden in der Hand halten musste, war die Organisation des Umzugs. Der | |
| Kontakt zur landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin‑Mitte mbH (WBM) | |
| als neuem Vermieter spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn eigentlich | |
| hatten sowohl die NGBK als auch das Werkbundarchiv ohnehin zugestimmt, | |
| ihren Standort in Kreuzberg zu verlassen, um an die Karl-Marx-Allee zu | |
| ziehen. | |
| Der Senat plant hier zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz eine | |
| Ergänzung der bestehenden Bebauung mit neuen Pavillonbauten, um das | |
| Wohngebiet mit Räumlichkeiten für die Kreativ‑ und Start-up-Szene zu | |
| bereichern. Die halbdutzend dafür zu errichtenden t‑förmigen Pavillons | |
| waren in der ursprünglichen Planung aus den 1960er Jahren vorgesehen, aber | |
| nicht realisiert worden. Die WBM wollte die Idee eigentlich bis Mitte der | |
| 2020er-Jahre umsetzen. Wegen Corona, des Kriegs gegen die Ukraine und | |
| Inflation kommt auch dieses Bauprojekt nicht planmäßig voran. | |
| Die NGBK kann also ihr neues Domizil nur als Zwischenlösung begreifen. Der | |
| Vertrag läuft zunächst für 10 Jahre. Das hatte Konsequenzen für Umbau, | |
| Ertüchtigung und Einrichtung der Räume, die zuvor eine McDonald’s-Filiale | |
| beherbergten. Aus einem Wettbewerb mit einer Handvoll von eingeladenen | |
| Architekten für die Gestaltung der neuen NGBK-Räume ging das Berliner Büro | |
| Hütten und Paläste als Gewinner hervor. | |
| ## Architektur und Städtebau heute | |
| Und eingedenk der temporären Zwischennutzung wie der Arbeitsweise des | |
| Vereins stand deren Konzept unter dem Motto „Veränderbarkeit“, wie es Frank | |
| Schönert, Co-Gründer von Hütten und Paläste Mitte September anlässlich | |
| einer von der Architekturzeitschrift ARCH+ veranstalteten Podiumsdiskussion | |
| in der NGBK gegenüber der taz formulierte. Und das Konzept ist selbst | |
| programmatisch – nicht nur für Arbeit und Ausrichtung eines sich als | |
| progressiv begreifenden Kunstvereins, sondern vielleicht sogar für die | |
| Auffassung von Architektur und Städtebau in aktueller, krisengeschüttelter | |
| Gegenwart. | |
| Flexibilität, Nachhaltigkeit, Sparsamkeit und Minimalismus prägen die | |
| Gestaltung der neuen NGBK-Räume. Auf den ersten Blick sieht das Innere des | |
| Vereins im ersten Stock am östlichen Ende des Gebäuderiegels daher so aus, | |
| als wäre es noch nicht fertig: Da gibt es einen flickenartigen Bodenbelag | |
| aus neuen und alten Materialien, offen gelassene Decken mit | |
| Versorgungsinstallationen unter altem Beton, unverputzte Wände mit Relikten | |
| der McDonald’s-Nutzung und sogar DDR-Tapetenreste in den neu eingebauten | |
| Büros zwischen verglasten Rohholzwänden. | |
| Aber das Provisorische und vermeintlich Unfertige hat Methode. Statt | |
| fertige Antworten zu geben, scheint die Gestaltung zu sagen: Wir richten | |
| uns ein im Transitorischen. Denn vieles – ob beim Bauen, ob beim Arbeiten, | |
| ob beim Ausstellen – muss heute schon aus ökologischen Gründen anders | |
| werden. Der multifunktionale DDR-Stahlskelettbau für die sozialistische | |
| Hauptstadt der DDR bot überraschenderweise viel Gestaltungspotenzial, so | |
| dass die Umbau-Architekten ein neues, in Zonen aufgeteiltes Raumkonzept | |
| realisieren konnten. Zur Straße mit den großen Schaufenstern liegen nun | |
| Arbeitsgruppen‑ und Veranstaltungsräume, dahinter in der Mitte | |
| Ausstellungsflächen, und nach hinten Büros. | |
| ## Heiß umkämpfte Mitte | |
| Programmatisch ist übrigens auch die von der NGBK beauftragte „Kunst am | |
| Bau“ von Folke Köbberling. Statt der üblichen Logos im Leuchtkastenformat | |
| hat die Künstlerin und Professorin für architekturbezogene Kunst an der | |
| Technischen Universität Braunschweig wollbezogene Nistplätze für aus Holz | |
| angebracht. Ein – allerdings leicht zu übersehendes – Statement zum | |
| fürsorglichen Zusammenleben aller Spezies auch im urbanen Raum. | |
| Annette Maechtel, Geschäftsführerin des NGBK, ist jedenfalls „glücklich | |
| über den spezifischen Standort“ „ihrer“ NGBK. Denn hier – mit Blick au… | |
| neuerlich baulich wie ideologisch wieder heiß umkämpfte Berliner Mitte | |
| zwischen Fernsehturmgelände, Molkenmarkt und Humboldt Forum – scheint die | |
| NGBK mit ihrem linken, am basisdemokratischen Modell orientierten | |
| Standpunkt derzeit dringend nötig zu sein. | |
| 4 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin_SO_36 | |
| [2] https://ngbk.de/de/ | |
| [3] https://www.museumderdinge.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ronald Berg | |
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