# taz.de -- Treffen europäischer Staaten in Spanien: Alle Augen auf Selenski | |
> Der ukrainische Präsident bittet um Hilfen für sein Land. Er weiß: Der | |
> Konsens gegen den Angriffskrieg Russlands in der EU bröckelt. | |
Bild: Präsident Selenksi im Gespräch mit Premierminister Sunak am 5. Oktober … | |
GRANADA taz | Einmal mehr drehte sich alles um Wolodimir Selenski. Dabei | |
war bis wenige Minuten vor seiner Ankunft im südspanischen Granada, | |
pünktlich zum Tagungsbeginn, nicht einmal klar, ob der ukrainische | |
Präsident am dritten Treffen der [1][Europäischen Politischen Gemeinschaft | |
(EPG)] teilnehmen würde oder nicht. | |
Das wurde auf Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor | |
einem Jahr in der tschechischen Hauptstadt Prag gegründet – als eine | |
Anti-Putin-Front. Selenski nutzte das Treffen erneut, um auf die | |
Bedürfnisse seines Landes im Krieg gegen die russischen Invasoren | |
aufmerksam zu machen und Unterstützung einzufordern. | |
Insgesamt waren 47 Staats- und Regierungschefs angereist, darunter die | |
aller Staaten der Europäischen Union (EU), die der restlichen | |
europäischen Länder – mit den Ausnahmen Russland und Belarus – sowie die | |
Vertreter einiger angrenzender, in Asien gelegener Staaten. | |
„Die wichtigste Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen, ist der | |
Schutz der Einheit in Europa. Und ich spreche nicht nur von den EU-Ländern, | |
sondern von ganz Europa“, sagte Selenski. Die Priorität der [2][Ukraine | |
angesichts des bevorstehenden Kriegswinters sei es, „die Luftverteidigung | |
zu stärken]“. | |
Sein Land habe „substanzielle Vorschläge“, um „die europäische | |
Sicherheitsarchitektur, insbesondere die regionale Sicherheit, zu stärken“. | |
Europa müsse besonderes Augenmerk auf die Schwarzmeerregion legen, und | |
„gemeinsame Anstrengungen zur Stärkung der globalen Ernährungssicherheit | |
und der Freiheit der Schifffahrt unternehmen“, forderte er. | |
## Der Anti-Putin-Konsens bröckelt | |
Dann warnte er davor, dass Russland versuchen könnte, den Krieg in der | |
Ukraine „einzufrieren“, um so „bis 2028 das von uns zerstörte militäris… | |
Potenzial wiederherzustellen“. Moskau „wäre dann stark genug, um weitere | |
Länder anzugreifen, die im Fokus seiner Expansion stehen“, sagte Selenski | |
und erinnerte an die baltischen Staaten. Die Ukraine weiterhin zu | |
unterstützen, schaffe die „Möglichkeit, Russland eine Niederlage | |
beizubringen“, resümierte Selenski. | |
„Alle Europäer unterstützen die Ukraine bis zu einem gerechten Frieden“, | |
versicherte der spanische Gastgeber, Ministerpräsident Pedro Sánchez, | |
dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft innehat. Doch Selenski weiß, | |
dass es trotz dieser Beteuerungen mit kriegswichtiger Hilfe bei Weitem | |
nicht so gut bestellt ist wie noch vor wenigen Monaten auf dem [3][zweiten | |
Treffen der EPG in Moldau]. | |
So wurde am Vorabend seines Auftritts in Granada bekannt, dass Berlin keine | |
[4][Marschflugkörper des Typs Taurus] an die Ukraine liefern wird. Außerdem | |
bröckelt in der EU der Anti-Putin-Konsens: Der Wahlsieg Robert Ficos, | |
eines eher Russland zugewandten Politikers in der Slowakei, die | |
Putin-freundliche Haltung Viktor Orbáns in Ungarn und die Ankündigung | |
Polens, die Waffenhilfe an die Ukraine herunterzufahren, zeugen davon. | |
## Möglicherweise weniger Geld aus der USA | |
Des Weiteren besteht die Gefahr, dass die USA weniger Geld zur | |
Unterstützung der Ukraine zur Verfügung stellen werden. Denn in Washington | |
führen Republikaner und regierenden Demokraten einen erbitterten Streit | |
über den US-Haushalt. Derzeit verfügt Präsident Joe Biden nur über einen | |
Übergangshaushalt, worin keine Hilfen für Kyjiw vorgesehen sind. | |
Angesichts dieser Situation werde Europa die Unterstützung der Ukraine | |
verstärken, versicherte sowohl EU-Ratspräsident Charles Michel als auch der | |
Hohen Vertreter der EU für Sicherheits- und Außenpolitik Josep Borrell. | |
Es seien „50 Milliarden Euro für die zivile und wirtschaftliche Seite und | |
20 Milliarden Euro für die militärische Seite vorgeschlagen“, erklärte | |
Borrell. „Die EU kann die USA nicht ersetzten“, relativierte Borrell die in | |
Aussicht gestellten Hilfsgelder. Er hoffe, dass die USA weiterhin die | |
Ukraine unterstütze wie bisher. | |
## EU will auch Armenien unterstützen | |
Präsident Selenski nutze den Tag in Granada, um bilaterale Gespräche zu | |
führen. Wie viel und welche Militärhilfe er dabei aushandeln konnte, wurde | |
nicht bekannt. | |
Nicht nur die Anwesenden bestimmten das Treffen, sondern auch die, die | |
nicht gekommen waren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan blieb | |
der EPG ebenso fern wie Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew. Letzterer | |
erteilte damit dem Ansinnen Deutschlands, Frankreichs sowie des | |
EU-Ratspräsidenten Charles Michel, am Rande des Treffens im Konflikt | |
Aserbaidschans und der Armenier um die Region Bergkarabach zu vermitteln, | |
eine Absage. Es wäre die erste konkrete Initiative der EPG gewesen. | |
[5][Der Konflikt um Bergkarabach] war dennoch ein Thema in Granada: | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Rande des | |
Treffens an, dass der bisherige Betrag an zugesagten Hilfen an die Armenier | |
auf etwa 10 Millionen Euro verdoppelt werde. | |
Erdoğan fehle wegen „einer Erkältung“, so die türkische Presse. Der | |
türkische Staatschef verzichtete bereits beim zweiten EPG-Treffen im | |
vergangenen Juni in Moldau auf die Teilnahme. Erdoğan versucht seit Beginn | |
des Ukrainekriegs einen gewissen Abstand sowohl zu Russland als auch zur | |
EU- und Nato-Politik zu halten. So hat es sich in eine Vermittlerrolle | |
manövriert, wie etwa bezüglich der Getreideexporte über die | |
Schwarzmeerhäfen der Ukraine. | |
5 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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