# taz.de -- Wandern und Weingenuss in Österreich: Wien und Wein, das muss sein | |
> In diesen Tagen findet der Wiener Weinwandertag statt. Unsere Autorin hat | |
> vorab die schönsten Strecken und besten Heurigen besucht. | |
Bild: Einer der bekanntesten Heurigen Wiens: das Mayer am Pfarrplatz | |
Tram 38, sagt das Navi, Haltestelle „An den langen Lüssen“. Die Häuser | |
werden flacher, die Straßen grüner. Wer sich mit mittelalterlicher | |
Geschichte auskennt (oder die Fahrzeit zur raschen Online-Recherche nutzt), | |
weiß, dass Lüssen eine alte Bezeichnung für Parzellen von Ackerflächen oder | |
[1][Weingärten] ist. | |
Der Name der Haltestelle kommt nicht von ungefähr: Hier draußen, „an den | |
langen Lüssen“, am nördlichen Stadtrand, beginnen die Wiener Weinberge. | |
Schon die Römer, die auf dem heutigen Stadtgebiet das Militärlager | |
Vindobona unterhielten, pflanzten an den umliegenden Hängen Weinreben an. | |
Vermutlich geht die Tradition noch weiter zurück, zu den Kelten, die das | |
Gebiet im 5. Jahrhundert vor Christus besiedelten. Fest steht: Wien und | |
Wein sind seit jeher eng verbandelt. | |
Auf über sieben Quadratkilometern wird in der Stadt Wein angebaut. Rund 400 | |
Weinbaubetriebe gibt es, die jedes Jahr an die 20.000 Hektoliter keltern. | |
[2][Wien] – so der stolze Claim auf der Webseite des Tourismusbüros – sei | |
weltweit die einzige Metropole, die innerhalb der Stadtgrenzen | |
nennenswerten Weinbau betreibt. | |
Vor allem seit viele vormals eigenständige Vororte (samt ihrer Weinhänge) | |
im 19. und 20. Jahrhundert eingemeindet wurden. | |
## Auch Peter Alexander besang den Wein | |
„An den langen Lüssen“ wirkt Wien bis heute wie ein Dorf. Nach wenigen | |
Gehminuten sieht man hinter einem verlassenen Friedhof die ersten Reben. | |
Die dahinterliegende Straße führt sachte den Hang hinauf. Wer hier wohnt, | |
schaut beim Kochen auf die gegenüberliegenden Weinhänge. Ein paar hundert | |
Meter weiter kann man den daraus gekelterten Wein probieren. Denn dort, am | |
Ende der Sackgasse, liegt der Heurige des Weinbaubetriebs Zawodsky. | |
Der Heurige ist nicht nur der junge Wein des „heurigen“ Jahrgangs (die | |
Saison beginnt alljährlich am 11. November, in Österreich Martini genannt, | |
wenn der aktuelle Jahrgang getauft wird). Als Heuriger bezeichnet man auch | |
all jene Lokale, in denen Heuriger – und sonstige lokale Weine – | |
ausgeschenkt werden. | |
Der Begriff ist nicht geschützt, doch ein echter Heuriger würde es niemals | |
wagen, etwas anderes als den eigenproduzierten Wein zu verkaufen. | |
Wien ohne seine Heurigen – undenkbar. „I muss wieder a mal in Grinzing sein | |
/ Beim Wein, beim Wein, beim Wein / Da sieht man ja grad in Himmel nein“, | |
sang der in Wien geborene Peter Alexander. Vor allem Grinzing im Norden ist | |
für seine Heurigen bekannt. Es gibt sie aber auch in Mauer ganz im Westen, | |
in Oberlaa im Süden, in den Bezirken jenseits der Donau und in der | |
Innenstadt. Rund 100 gibt es in der ganzen Stadt. | |
Den Grundstein für die Heurigen-Tradition legte im Jahr 1784 niemand | |
Geringeres als der Kaiser: Damals wurde Wein vorwiegend von Klöstern und | |
Stiften verkauft. Kaiser Joseph II. wollte dem kirchlichen Weinmonopol ein | |
Ende bereiten und erlaubte den Weinbauern, ihre Erzeugnisse fortan selbst | |
zu verkaufen. | |
Das taten sie, meist unter freiem Himmel: Ein paar Holztische in den | |
Weinreben, das Essen wurde selbst mitgebracht. Geöffnet war, wenn die | |
Weinbauern einen Zweig Tannenreisig ans Eingangstor gesteckt hatten. Heute | |
werden Ausg’steckt-Daten („ausg’steckt“ = geöffnet) auf Facebook und | |
Instagram geteilt, der Brauch des Zweiges aber hat sich gehalten. | |
Manche Heurigen haben ganzjährig geöffnet. Am bekanntesten sind eben jene | |
in Grinzing. Bei schönem Wetter sitzt man draußen in grün bewachsenen | |
Innenhöfen, bei schlechtem in Gaststuben, in denen – bis auf ein paar | |
Zugeständnisse an die moderne, vegan essende Kundschaft – die Zeit stehen | |
geblieben zu sein scheint. | |
Zu den ältesten zählt der „Feuerwehr Wagner“: Seit mehr als 330 Jahren | |
existiert das Weingut der Familie Wagner. Keine zehn Minuten Fußweg | |
entfernt liegt Mayer am Pfarrplatz, auch dies ein Traditionsbetrieb, 150 | |
Meter weiter der „Muth“ mit seinen riesigen alten Bäumen. Wohin man auch | |
geht, eines ist sicher: Zum nächsten Wein ist es niemals weit. | |
Neben den ganzjährig geöffneten Weinstuben gibt es auch solche wie den | |
Heurigen Zawodsky, der nur zu bestimmten Zeiten ausg’steckt hat. Zadowsky | |
ist kein urig-rustikaler Heuriger wie jene in Grinzing, eher ein | |
zweckmäßiger Bau. Doch der Blick schweift beim Besuch ohnehin schnell | |
weiter – über die umliegenden Hänge, die Stadt, die einem hier oben zu | |
Füßen liegt und weiter hinaus über die Donau bis zur slowakischen Grenze. | |
Im weitläufigen Garten stehen Holztische unter Walnussbäumen oder versteckt | |
hinter Weinreben. Kinder rennen umher, ein Paar spielt Schach, am | |
Nachbartisch wird gesungen, die Gläser klirren und der Himmel färbt sich | |
rosa. | |
An schönen Abenden wie diesem wird gegrillt. Wie funktioniert das hier mit | |
dem Essen? Und wo bekomme ich mein Achterl Wein? Das Ehepaar am | |
Nachbartisch hilft weiter: „Suchen Sie sich a Platzerl. Die jungen Burschen | |
bringen dann was vom Grill oder vom kalten Buffet.“ | |
## Gemischter Satz | |
Das befindet sich unten im Keller: Sauer Eingelegtes, Strudel, Wurst und | |
Käse gibt es dort. Bezahlt wird nach Gewicht. Das Achterl Wein gibt’s für | |
unschlagbar günstige 2,60 Euro. Gestartet wird natürlich mit dem Gemischten | |
Satz: Ein Wein mit langer Tradition, von den Wienern hoch geschätzt und | |
mittlerweile auch geschützt. | |
Aus mindestens drei, manchmal bis zu zwanzig unterschiedlichen Rebsorten | |
besteht ein Gemischter Satz. Im Gegensatz zum Cuvée treffen die Rebsorten | |
schon im Weingarten aufeinander: Sie wachsen gemeinsam und werden | |
anschließend gemeinsam gepresst. | |
Der Gemischte Satz ist hervorragend. Langsam bricht die Nacht herein. Es | |
zirpt und singt, die ersten Sterne tauchen auf. Der Plan, noch | |
weiterzuziehen, vielleicht zum Feuerwehr Wagner nach Grinzing zu wandern, | |
rückt in weite Ferne. Nach dem dritten Glas beschließen wir, einfach hier | |
zu versacken. | |
Am nächsten Tag ist der Himmel blau und der Wein verdaut. Wir wollen zum | |
Nussberg wandern, wo viele andere Weingüter ihre Pop-up-Heurigen aufgebaut | |
haben. Die alte Tradition gibt es noch immer: Bei schönem Wetter werden | |
Tische zwischen die Reben gestellt, Wein und kalte Jausenplatten angeboten. | |
Wer will, kann rund zehn Kilometer von Neustift am Walde im Nordwesten | |
Richtung Donau nach Nussdorf wandern. Der Weg führt mitten durch die | |
Weinberge hindurch, vorbei an zahlreichen Heurigen und Aussichtspunkten wie | |
beispielsweise dem „Himmel“, von dem aus der Fernblick wahrlich himmlisch | |
ist. | |
## Pinot Noir Vienna | |
Auf halber Strecke hat der Feuerwehr Wagner seine Außenstelle aufgebaut. | |
Die Frau, die wir unterwegs getroffen haben, empfiehlt, noch ein Stück | |
weiter zum Monte Nucum zu laufen. Etwas voreingenommen ist sie, denn ihre | |
Tochter arbeitet dort. Das Argument – „Ist viel ruhiger, ein Ort, wo nur | |
echte Wiener hingehen“ – überzeugt jedoch. | |
Die Wanderung von Neustift nach Nussdorf ist eine von vier Routen, die am | |
alljährlichen „Wiener Weinwandertag“ (dieses Jahr am 23. und 24. September) | |
erkundet werden können. | |
Wenn nicht die Frau wäre, die sich uns angeschlossen hat – wir wären | |
wahrscheinlich gleich an der ersten Weinschänke eingekehrt, so verlockend | |
ist der Anblick der freudig zusammensitzenden Menschen und der Ausblick auf | |
die umliegende Stadt. | |
Doch das Durchhalten lohnt sich, denn der Monte Nucum ist wirklich | |
besonders entzückend und der Blick besonders fern. Wir bestellen Gemischten | |
Satz (natürlich) und Pinot Noir („Den gibt es hier in Wien?“ – „Ja, die | |
Trauben wachsen direkt neben euch.“) und versinken in tiefster | |
Weinseligkeit. | |
Als wir aufbrechen, ist es fast dunkel. Es geht bergab, einfach durch die | |
Weinberge hindurch, wo noch ein paar kuschelnde Paare auf ihren | |
Picknickdecken sitzen. Die Tram bringt uns in kaum fünfzehn Minuten zurück | |
in die Stadt. | |
22 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ueberproduktion-von-Wein-in-Bordeaux/!5908077 | |
[2] /Wien-nicht-mehr-lebenswerteste-Stadt/!5774734 | |
## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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