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# taz.de -- Wein aus Pannonien: Schätze von den Hängen des Vulkans
> In Pannonien wurden einst die wertvollsten Weine der Welt gekeltert.
> Winzer wollen die westungarische Region wieder auf die Genusslandkarte
> heben.
Bild: Der steinharte Boden des erloschenen Vulkans Somló verlangt den Winzern …
Es war kein einfacher Weg für Tamás Kis zum Wein. Aber er hatte sich nun
mal in den Kopf gesetzt, Winzer zu werden. „Meine Familie hatte überhaupt
keinen Bezug zu Wein und auch keinen Besitz“, erzählt der 37-Jährige, der
in Budapest aufgewachsen ist und 2010 mit gerade mal einem halben Hektar
Rebfläche, aber viel Begeisterung anfing, seine ersten Weine zu machen.
Kis sitzt vor seinem kleinen Rebhäuschen mitten in den Weinbergen des
Anbaugebiets Somló. Das gruppiert sich rund um einen längst erloschenen
Vulkankegel im Westen Ungarns, der markant aus der pannonischen Tiefebene
herausragt und deshalb in der Gegend gern als „Hut vom lieben Gott“
bezeichnet wird. Mittlerweile zählt Tamás Kis mit seinem Weingut Somlói
Vándor zu den profiliertesten Vertretern der jüngeren Winzergeneration in
Ungarn.
Um den Somló ranken sich viele Gerüchte, viele halten den Berg für einen
Kraftort. Die Weine werden gerne in der Hochzeitsnacht ausgeschenkt, weil
sie angeblich für reichlich Kindersegen sorgen sollen. Die Einheimischen
schreiben den Vulkanweinen sogar heilende Wirkung zu, er fördere die
Lebenskräfte, selbst Schwangeren wird täglich ein Gläschen empfohlen. Tamás
Kis zieht lächelnd die Schultern hoch. Er kennt die Mythen.
Eines jedenfalls weiß er sicher: „Das ist ein ganz besonderer Ort für
Weinbau.“ Der Vulkan lag vor Millionen von Jahren unter der Oberfläche des
pannonischen Meeres – eine spezielle Konstellation, die ein rares
Gesteinkonglomerat mit Sand, Kreide, Kalk und Basalt hervorbrachte. „Die
Weine schmecken immer nach Somló, der Winzer wird hier zur Nebensache“,
erklärt Kis. Es sei kein Zufall, dass der Berg in der Habsburger Monarchie
als Quelle der besten Weißweine galt, bevor er in Vergessenheit geriet.
Seit einigen Jahren sorgt eine Gruppe von EnthusiastInnen für eine
Renaissance der Somlóweine. Der Vulkan verlangt ihnen einiges ab, seine
Böden sind steinhart, in den Hängen muss alles von Hand und mit Muskelkraft
erledigt werden. Die Reben müssen tief im Gestein wurzeln, um Wasser und
Mineralstoffe aufzunehmen. Oft sind die Erträge lächerlich gering, aber das
Resultat der Plackerei sind Weine mit mineralischer Komplexität. Tamás Kis
konzentriert sich auf die vier weißen Rebsorten Olaszrzing, Juhfark,
Furmint und Hárslevelü – diese Reben kämen hier besonders gut zur Geltung.
## Der Felsbrocken im Nirgendwo
In der Nachbarschaft betreibt Arpad Tomcsanyi das Weingut Tomcsanyi Birtok.
Wie Kis stammt auch er aus Budapest, wo er als Filmemacher arbeitete. Seine
Eltern kauften am Somló ein Ferienhaus, und er habe sich „gleich in diesen
Felsbrocken mitten im Nirgendwo verliebt“, erzählt Tomcsanyi.
Er schaute anderen Winzern über die Schulter wie dem Deutsch-Ungarn Stephan
Spiegelberg, der zuvor als Testfahrer in der Automobilbranche sein Geld
verdiente. Der exzentrische Spiegelberg kann als Prototyp der eigenwilligen
Vulkanwinzer gelten. Eines verbindet sie alle: Sie wollen die Weine
handwerklich und so natürlich wie möglich erzeugen. Der Biodynamiker
Tomcsanyi lässt seine archaischen, ungeschwefelten [1][Naturweine] auch in
Amphoren reifen. „In ihnen steckt viel mehr Energie und Leben“, ist er
überzeugt.
Tamás Kis repräsentiert Somló auch außerhalb Ungarns mit gesundem
Selbstbewusstsein. Er arbeitet daran, das Weinland Pannonien wieder
auferstehen zu lassen, das mit dem Zusammenbruch der
österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 untergegangen ist und das sich
vom Burgenland über die pannonische Tiefebene bis zu den Karpaten
erstreckte. „Pannonien ist das Fundament des Weinbaus in Ungarn und
Österreich, was Rebsorten, Terroir und Klima angeht sind wir eine Region.
Und wir haben eine gemeinsame Geschichte“, betont Kis. In der
sozialistischen Periode sei viel an Wissen und Qualität verloren gegangen,
da der Weinbau auf Massenproduktion getrimmt wurde.
Es war vor allem die Begegnung mit dem österreichischen Winzer Roland
Velich, die Kis 2015 neue Dimensionen eröffnete. Kurz danach kelterten die
beiden ihren ersten gemeinsamen Wein im Rahmen des Projekts „Hidden
Treasures – Verborgene Schätze“, bei dem Velich mit Winzertalenten im
ehemaligen Pannonien zusammenarbeitete.
## Ende einer „klassischen österreichischen Karriere“
Velich, Jahrgang 1963, betreibt im Burgenland das Weingut Moric. Während
sich viele österreichische Winzer an mächtigen, stark holzbetonten Weinen
aus internationalen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Merlot versuchen,
setzt Velich auf den autochthonen Blaufränkisch, für ihn die „spannendste
und markanteste Rebsorte, mit der extremen Fähigkeit, ihre Herkunft
abzubilden“. Bevor er zum Wein kam, habe er „eine klassische
österreichische Karriere absolviert als Skilehrer, Croupier und
Studienabbrecher“, erzählt der Winzer.
Velich kann dickköpfig und unbequem sein, er ist aber auch ein großer
Romantiker, der dabei ist, seinen Traum von der pannonischen
[2][Weinkultur] umzusetzen. „Vom Burgenland bis Tokaj gab es einmal die
wertvollsten Weine der Welt“, aber durch Kriege und den Eisernen Vorhang
sei viel kulturelle Kontinuität verloren gegangen. Um nationalistische
Ideen geht es Velich dabei nicht: „Pannonien hat keinerlei politische
Konnotation. Aber Terroir und Rebsorten kennen keine Grenzen.“
Mit seinen „Hidden Treasures“-Weinen will Roland Velich der historischen
Weinbauregion eine moderne, Orientierung vermittelnde Erzählung verpassen.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei Blaufränkisch und Furmint, der als
Riesling des Ostens gilt. Auch Sopron, das frühere Ödenburg, hat sich
wieder zu einer wichtigen Koordinate gemausert und zum roten Gegenpol von
Somló, wo Weißweine dominieren.
„Ödenburg war lange die Hauptstadt Pannoniens und das Zentrum für Wein“,
erklärt Velich. Weingüter wie Pfneiszl, Steigler und Péter Wetzer verhelfen
der Grenzstadt nun zum Comeback.
„Sopron ist die beste Rotweinregion in Ungarn“, findet Péter Wetzer, der
seinen Kékfrankos, wie Blaufränkisch in Ungarn heißt, auf Schieferböden
stehen hat, wo er eine prägnante Mineralik ausbildet. Seine Weine sind
sogar in Japan und den USA gefragt. Der gelernte Steinmetz wird zwar zur
Naturweinszene gerechnet, sieht sich aber eher als Traditionalist. Von
seinen beiden Tanten, die jeden Herbst zwei Fässer Blaufränkisch für den
Eigenbedarf kelterten, übernahm er eine alte Presse, mit der er noch immer
arbeitet.
Péter Wetzer und Roland Velich schätzen sich, sie teilen die Vision vom
Weinland Pannonien. Für sie ist es „einzigartig und grandios“, weil es sich
von seinen „ganz spezifischen geologischen, kulturellen und klimatischen
Strukturen von allen [3][anderen Regionen] unterscheidet“. Velich plant,
mit jungen Winzerinnen und Winzern in der Slowakei, Tschechien und
Slowenien zusammenzuarbeiten, da die pannonischen Rebsorten auch dort den
Weinbau prägten. Langsam nimmt die Landkarte der untergegangenen
pannonischen Weinkultur, die lange nur ein Fantasiegebilde war, Gestalt an.
4 Mar 2024
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## AUTOREN
Rainer Schäfer
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