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# taz.de -- Weinkunde auf dem Prüfstand: Der Geschmack des Weins
> Die geografische Herkunft soll sich im Geschmack von Wein wiederfinden.
> Es gibt zwar eine Terroir-Charakteristik, sie wird jedoch gerne
> überschätzt.
Bild: Die Anordnung der Weinstöcke beeinflusst die Sonnenbestrahlung
München taz | Wein soll durch [1][sein Terroir] eine prägnante regionale
oder sogar eine lagenspezifische Note bekommen. Dabei zählt zum Terroir
Boden, Klima aber auch die Weinkultur – das Konzept soll also eine
geografische Herkunft widerspiegeln. Ein Terroir-Wein soll das Gegenstück
zum charakterlosen, übertechnologisierten Allerweltswein darstellen. Doch
wie gut ist dieses Konzept wissenschaftlich untermauert? Kann man
zweifelsfrei erkennen, dass ein fränkischer Silvaner auf Keuper oder auf
Buntsandstein gewachsen ist? Falls ja, wie unterscheiden sich diese Weine
chemisch besehen? Schmeckt man die Mineralien, die Sonneneinstrahlung oder
vielleicht eher die Mikroben, die sich im Weinberg tummeln und denen bei
der sogenannten Spontangärung eine aromatragende Rolle zugesprochen wird?
Beginnen wir mit dem Boden: Teilweise wird behauptet, die Reben würden über
den Boden die Mineralien aufnehmen und daher könnte man am Geschmack des
Weines die Bodenart und damit die Region oder die Lage erkennen. „Fakt ist
jedoch“, so Alex Maltman, Geologe an der walisischen Aberystwyth
University, „dass Mineralien wie Magnesium oder Silizium während der
Weinherstellung reduziert werden.“ Im Wein selber wäre der
Mineralstoffgehalt dann nur bei 0,2 Prozent. „Man schmeckt die Mineralien
im Wein eher weniger“, sagt Manfred Stoll, Wissenschaftler an der
Hochschule Geisenheim. „Zu behaupten ein Wein schmecke ‚mineralisch‘ ist
also eigentlich ein irreführender Begriff, zumal viele Laien nichts damit
anfangen können, denn niemand weiß wie ein Boden schmeckt.“
Dennoch haben Bodenmineralien einen Einfluss auf die Weincharakteristik.
„Keuper hat beispielsweise einen erhöhten Sulfatgehalt. Bei der Weingärung
können aus Sulfat vermehrt schwefelhaltige Aminosäuren und daraus wiederum
aromatische Thiole entstehen“, sagt Daniel Heßdörfer, Agrarwissenschaftler
an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in
Veitshöchheim.
Der Boden ist auch durch seinen pH-Wert einflussreich. „Wächst eine Rebe
auf einem basischen, zum Beispiel kalkhaltigem Boden, gehen vermehrt
Mineralien wie Kalzium in die Rebe über und diese puffern Säuren im Wein“,
sagt Heßdörfer. „Einen [2][Silvaner] vom Keuper kann man daher schon
geschmacklich und chemisch von einem Silvaner vom Buntsandstein
unterscheiden.“ Der Buntsandstein ist ein lehmiger Sand und daher sauer,
während der Keuper ein lehmiger Ton ist und einen mittleren pH-Wert von 7
aufweist. Verschiedene Säuregehalte sind dann auch im Most messbar.
Die Bodenart spielt zudem eine Rolle, da Böden unterschiedlich gut Wasser
binden können und daher auch die Reben unterschiedlich mit Wasser und
Nährstoffen versorgen. So hat der Buntsandstein etwa eine geringe
Wasserhaltefähigkeit. Daher leiden die Reben schneller unter Wassermangel
und dann lagern sie vermehrt Bitterstoffe ein, was man im späteren Wein
schmecken kann. „Sogar innerhalb einer Lage sorgen verschiedene Standorte
der Rebe für eine Geschmacksvariation, wie etwa beim Würzburger Stein“,
sagt Heßdörfer.
## Steilhang und Zeilenrichtung
Am Steilhang ist auch der Sonneneinfallswinkel anders als in der Ebene. Wie
gut eine Rebe im Verlauf des Wachstums Sonne tanken kann, ist auch abhängig
von der Zeilenrichtung, wie also der Weinberg angelegt ist und in welcher
Erziehungsform diese wachsen. „Bei uns ist die üblichste Erziehungsform das
Spalier, das erlaubt, dass viel Sonne auf die Trauben fällt“, sagt Stoll.
Während bei anderen Erziehungsformen und weniger arbeitsintensiven Systemen
das Laub die Trauben teilweise beschattet.
Vor allem bei Rotweinsorten ist viel Licht und Trockenstress vorteilhaft
für die Qualität und darum erwünscht, denn damit bilden sich in der
Beerenhaut Aromen wie Phenole und Anthocyane. „Bei Weißwein kann eine
Überdosis Sonne hingegen zu Sonnenbrand und damit zu Totalausfall führen“,
so der Geisenheimer Wissenschaftler. Der Einfluss der Sonne spielt also
eine große Rolle, weswegen auch Jahrgänge mal Spitzenweine und mal weniger
gute Weine liefern. Zucker und verschiedene Aromastoffe sind dann auch
chemisch nachweisbar.
Dennoch behaupten einige Winzer, dass die Art der Gärung den definitiven
Unterschied macht, wenn man einen authentischen, großen Weinbergswein
machen will. Im Trend ist die sogenannte Spontangärung, bei der man auf den
Zusatz von Reinzuchthefestämmen verzichtet und den Most ganz anarchistisch
seiner eigenen Mikroflora überlässt.
Denn die Trauben am Weinstock sind mit einem hauchdünnen Biofilm überzogen,
dieser beherbergt neben Weinhefen, Bakterien und wilde Hefen in
unterschiedlichen Mengen. Die Weinhefe Saccharomyces cerevisiae findet man
erst auf ganz reifen Trauben und in einer Menge von nur ein Promille der
gesamten Mikroorganismenzahl und nur einem Prozent der Gesamthefeflora.
„Man darf aber nicht vergessen, dass [3][Pflanzenschutzmittel] einen
Großteil der wilden Mikroorganismen hemmen, das gilt auch für
Pflanzenschutzmittel aus dem Bioanbau“, sagt Heßdörfer. Dennoch fanden
Forscher der Universität Hohenheim auf Weiß- und Rotweintrauben komplexe
Bakteriengemeinschaften, darunter etwa Essigsäure- und Milchsäurebakterien.
Welche Mikroben sich letztlich auf der Traube durchsetzen, ist auch von
Umwelteinflüssen abhängig, etwa vom Befall mit Schädlingen wie der
Kirschessigfliege.
Zwar ist zu Beginn der Spontangärung die Traubenflora mit ihren Wildhefen
aktiv. Zu den Wildhefen zählen etwa die Gattungen Hanseniaspora oder
Metschnikowia. Bereits jetzt entstehen neben Alkohol auch geruchs- und
geschmacksgebende Verbindungen, etwa flüchtige Säuren und Ester. Dennoch
setzen sich bald die Hefen aus dem Weinkeller durch.
Und ab einem Alkoholgehalt von fünf bis sechs Prozent gewinnen Mikroben die
Oberhand, die sich an die sauerstoffarmen Bedingungen in einem Weintank
adaptiert haben. Und dazu zählt Saccharomyces cerevisiae. Auch diese
Hefezellen steuern nun aromaaktive Komponenten bei. Mittlerweile gibt es
mehrere Hundert verschiedene Reinzuchthefestämme im Handel, die sich laut
Hersteller geschmacklich deutlich unterscheiden sollen.
Heßdörfer hält denn auch die Weinbergsflora für weniger geschmacksprägend.
„In den Lesebehältern sowie bei der Annahme der Ernte im Weingut sowie bei
der Pressung kommen die Trauben und dann der Most mit der Umgebung in
Kontakt und hier können viele Mikroben in den Wein gelangen.“
Dennoch befassen sich Wissenschaftler neuerdings vermehrt mit dem
sogenannten „microbial terroir“. Sie finden dank neuer
Gensequenzierungsmethoden immer mehr Mikroben auf den Trauben, den
Rebenstämmen und dem Boden, darunter auch Bakterien und Pilze, die das
Aromagefüge beeinflussen. Neuseeländische Wissenschaftler haben etwa in
Wäldern, Weinbergen und spontan vergorenem Sauvignon Blanc rund 3.900
Hefestämme gefunden. Allerdings können Wilde Hefen auf den Trauben sogar
einen typischen Geschmack der Region überdecken, etwa weil sie käsige
Beitöne liefern. Auch Bodenmikroben können das Geschmacksgefüge der Trauben
beeinflussen, bei Shiraz-Trauben finden sich etwa, je nachdem wie das
Bodenleben gestaltet ist, mehr oder weniger des pfeffrigen Geschmacksstoffs
Rotundone.
In manchen Weinen kann man also als geübter Sensoriker ein spezifisches
Terroir herausschmecken, meist wird der Terroir-Geschmack jedoch durch die
Weingut-Stilistik oder den Jahrgang übertönt. Das Terroir hilft oft einfach
bei der Vermarktung. Schließlich will der Weinkunde eine Geschichte zu
einem Wein hören, eine Geschichte, die von der guten, alten Zeit und
Naturverbundenheit zeugt. Wein und Emotionalität gehören eng zusammen und
haben auch einen Einfluss darauf, ob uns ein Wein schmeckt.
12 Dec 2020
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## AUTOREN
Kathrin Burger
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