| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Dokumentieren und Verewigen | |
| > In der AFF Galerie wird nach Bildern für die Klimakrise gesucht. Bei | |
| > Carlier | Gebauer beschäftigen sich Asta Gröting und Ming Wong mit dem | |
| > Atelier. | |
| Bild: Igor Tereshkov, „Oil and Moss“, 2018 | |
| Wie lässt sich die Klimakrise fotografisch darstellen? Wie deren Folgen und | |
| Verantwortlichkeiten sichtbar machen? In der Friedrichshainer AFF Galerie | |
| e. V. sucht aktuell eine Gruppe Fotograf*innen in der Ausstellung | |
| „[1][Burning Down the House]“ nach Antworten darauf. | |
| Reine Dokumentation reicht nicht aus, findet Alexander Nikolsky, der nicht | |
| nur als Künstler in der Schau vertreten ist, sondern diese auch kuratiert | |
| hat. Nikolsky fotografiert für seine Serie „Ex Humus“ die Folgen von | |
| Kohleabbau und Klimawandel in seiner Heimat Sibirien, der sich etwa im | |
| Abschmelzen des Permafrosts zeigt, und setzt fiktionale Objekte in die | |
| Aufnahmen hinein. Um sogenannte Hyperobjekte handelt es sich dabei – so | |
| bezeichnet [2][der US-Philosoph Timothy Morton] Dinge wie eben das Klima, | |
| die unser Fassungsvermögen übersteigen. | |
| Eine Art Bestätigung für Nikolskys fotografische These liefert das Video | |
| „Ice Cry Baby“ von Anouk Kruithof. Zusammengeschnitten aus Youtube-Videos | |
| zeigt es, was reine Abbildung kollabierender Gletscher beim Publikum | |
| auslösen kann: ästhetische Überwältigung nämlich, Ohs und Ahs, offenbar | |
| ohne das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen. | |
| Wie Nikolsky aus Sibirien stammen Lesha Pavlov und Igor Tereshkov. Pashlovs | |
| Bilder bevölkern Tauben, echte, ausgestopfte, aus Papier gefaltete – im | |
| arktischen Norilsk wurden die Vögel vor etwa zehn Jahren als Boten der | |
| Erderwärmung erstmals gesichtet. Tereshkov wiederum dokumentierte 2018 als | |
| Freiwilliger für Greenpeace die Folgen der Ölförderung im westsibirischen | |
| Tiefland. | |
| Er fotografierte die Chanten und Mansen, die dort traditionelle | |
| Rentierzucht betreiben und in ihrer Lebensweise immer stärker eingeschränkt | |
| werden. Um die Wirkung der Bilder zu verstärken, bearbeitete Tereshkov sein | |
| Fotomaterial zusätzlich mit ölhaltiger Flüssigkeit und zerkratzte die | |
| Oberfläche. | |
| Ausschnitte sind es allesamt, auch die Bilder von Elliott Kreyenberg, die | |
| [3][die Besetzung des Dannenröder Waldes durch Klimaaktivist*innen] | |
| 2020 dokumentiert, und jene der Niederländerin Sophie Allerding, die | |
| fantastische Elemente für ihre fotografische Auseinandersetzung mit dem | |
| steigenden Meeresspiegel benutzt. Mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen | |
| vergleicht der Ausstellungstext das Unterfangen. Fortsetzung muss folgen. | |
| Keimzelle Atelier | |
| Eine andere aktuelle Krise schwingt in der Duoausstellung „Fortune“ von | |
| Asta Gröting und Ming Wong kräftig mit, die zur Berlin Art Week bei Carlier | |
| | Gebauer eröffnet wurde: die immer massivere Knappheit an Immobilien in | |
| Berlin, an Wohnraum, aber auch – und darum geht es – an Arbeitsräumen für | |
| Künstler*innen. [4][Im Juni erst veröffentlichte der Atelierbeauftragte für | |
| Berlin und der BBK Berlin eine Studie zur Ateliersituation] bildender | |
| Künstler*innen in Berlin, mit denkwürdig eindeutigem Ergebnis: Immer | |
| mehr Künstler*innen verlieren ihre Ateliers und finden keine neuen mehr. | |
| Der Kunstproduktionsstandort Berlin ist längst nicht mehr das, was er | |
| vielleicht einmal war. | |
| Asta Gröting und Ming Wong kennen das noch anders. Sie sind seit Jahren | |
| befreundet, hatten beide vor über zehn Jahren bei Carlier | Gebauer jeweils | |
| ihre erste Ausstellung. Viel hat sich seitdem getan – bei den | |
| Künstler*innen, aber auch in der Stadt. „Fortune“ ist eine Art gemeinsame | |
| Bestandsaufnahme dafür, was es heute heißt, in Berlin als Künstler*in zu | |
| arbeiten. | |
| Gleich im unteren Raum direkt nach der Eingangstür der Galerie hängt eine | |
| große Farbfotografie, die Ming Wong in seinem Kreuzberger Atelier zeigt, | |
| aus dem er unlängst ausziehen musste: „Last day in my Kreuzberg Studio“ | |
| (Foto von Ming Wong & Mizuki Kin). Wie hingegossen liegt der Künstler auf | |
| dem Heizkörper vor dem Fenster. Vor ihm ist der Fußboden leer, ausgeräumt | |
| hatte er seine Arbeitsräume zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl schon. | |
| Zentrale Arbeit sind zwei Filme, die parallel aber abwechselnd auf zwei | |
| sich gegenüberliegenden Wänden laufen. Der eine, von Ming Wong, zeigt | |
| dessen Blick ins Atelier der Kollegin. Der andere, von Asta Gröting, fährt | |
| indes nicht das Atelier selbst, sondern 3D-Scans von diesem ab. Die | |
| Künstlerin hat diese angefertigt. Ist es der Versuch, den Raum zu verewigen | |
| für den Fall, dass sie ihn verlieren könnte? | |
| In einem Gespräch zwischen Künstlerin und Künstler, das die Galerie auf | |
| ihrer Website veröffentlicht, sprechen sie darüber. Grötings theatergroßes | |
| Atelier befindet sich in den lange Zeit ebenfalls gefährdeten, jetzt | |
| möglicherweise gesicherten [5][Uferhallen]. Die 3D-Version ist klein und | |
| handlich, man könnte sie sich in die Tasche stecken und mitnehmen. | |
| Überhaupt lohnt es sich, das Gespräch der beiden über sich und das Arbeiten | |
| in Berlin zu lesen – und während der Laufzeit [6][die Website der Galerie] | |
| im Blick zu behalten. Begleitend zur Schau soll es ein fortlaufendes | |
| Programm an Performances, Vorlesungen, Filmvorführungen und | |
| Soundinstallationen, zusammengestellt von Asta Gröting und Ming Wong geben | |
| 29 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.aff-galerie.de/archive/burning-down-the-house/ | |
| [2] /Buch-ueber-Oekokritik/!5467150 | |
| [3] /WDR-Doku-ueber-Dannenroeder-Forst/!5886537 | |
| [4] /Ateliersterben-in-Berlin/!5938780 | |
| [5] /Verdraengung-in-Berlin/!5930109 | |
| [6] https://www.carliergebauer.com | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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