# taz.de -- Überblick zur Berlin Art Week: Kunst als Beweismittel | |
> In Berlin läuft die Art Week. Das Programm ist voller denn je. | |
> Empfehlenswert ist besonders eine Ausstellung von Brücke-Museum und | |
> Schinkel Pavillon. | |
Bild: Szene aus der Flötenoper „Gorgon“ der Britin Marianna Simnett | |
In den ersten Tagen des russischen Angriffskriegs begann die ukrainische | |
Künstlerin Dana Kavelina, auf einem Telegramkanal Bilder von | |
Künstler*innen des Expressionismus zu posten: Weil diese die Einzigen | |
seien, die das zeigten, was sie gerade erlebte. So erzählt es die Kuratorin | |
Katya Inozemtseva bei einer Vorbesichtigung von „Der Angriff der Gegenwart | |
auf die übrige Zeit“ [1][im Berliner Brücke-Museum]. | |
Sie beschreibt damit schon ziemlich gut, worum es in der Ausstellung geht, | |
an deren zweiten Standort im Schinkel Pavillon auch eine Installation von | |
Kavelina zu sehen ist: Die Schau sucht Antworten auf die Frage, was der | |
Krieg mit der Kunst macht. Ästhetisch oder auch in dem, was Kunst sein | |
kann, Ausdrucksmittel, Dokument, vielleicht sogar Beweismittel für | |
Verbrechen. | |
Das Konzept entstand vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, | |
bezieht sich aber auch [2][auf die Adresse des Schinkel Pavillons: Der | |
Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst] befindet sich im Garten des | |
Kronprinzenpalais, in dem ab 1919 die „Galerie der Lebenden“ der | |
Nationalgalerie untergebracht war, bis die Nationalsozialisten diese | |
schlossen und dort gezeigte Arbeiten – viele davon sind heute in der | |
Sammlung des Brücke-Museums – beschlagnahmten oder vernichteten. | |
## Von der künstlerischen Moderne zur Gegenwartskunst | |
An beiden Standorten führt die Ausstellung Arbeiten von Künstler*innen | |
aus der Moderne und dem Hier und Jetzt zusammen, unter anderem von Käthe | |
Kollwitz, Hannah Höch, Etel Adnan, Simone Fattal, Ernst Ludwig Kirchner, | |
Johanna Schütz-Wolff und Nora Turato. | |
Die meisten von ihnen schöpfen aus persönlicher Betroffenheit. Wichtig war | |
das der Kuratorin. Auch sie selbst hat ihr Land kürzlich verlassen: Bis zum | |
Ausbruch des Krieges war sie Chefkuratorin am Garage Museum in Moskau, | |
heute lebt und arbeitet sie in Mailand. | |
Die zeitgenössischen Arbeiten entstanden zum Großteil für die Ausstellung, | |
teils in Dialog mit denen aus der Moderne; Isaac Chong Wai etwa fertigte | |
mit Atemspuren Hommagen an Bilder von Felix Nussbaum und Käthe Kollwitz an. | |
Als kaleidoskopisch bezeichnet Inozemtseva die Ausstellung, was es gut | |
trifft, denn jede einzelne Position wirft ein persönliches Licht auf das | |
Thema, zusammen ergeben sie ein Bild. „Der Angriff der Gegenwart auf die | |
übrige Zeit“ ist auf vielen Ebenen außergewöhnlich. Unbedingt sollte man | |
sich trotz der Entfernung der Ausstellungsorte beide Teile ansehen. | |
## Ertragreiches Joint Venture | |
Eröffnet wurde die Schau zur Berlin Art Week, die noch bis zum Wochenende | |
läuft. Als „Joint Venture“ zwischen Institutionen wurde sie in deren Rahmen | |
gesondert gefördert. Das passiert jedes Jahr, selten ging es dabei aber um | |
so unterschiedliche Häuser wie 2023, umso mehr zeigt sich, wie ertragreich | |
das sein kann. | |
Die Berlin Art Week wurde 2012 als Rahmenprogramm für die Kunstmesse art | |
berlin contemporary beziehungsweise Art Berlin gegründet. [3][Die Messe | |
gibt es seit ein paar Jahren schon nicht mehr], der Fokus musste sich | |
verschieben. Gewachsen ist die Großveranstaltung mit großzügiger | |
finanzieller Unterstützung sowohl von Kultur- als auch Wirtschaftssenat. | |
[4][Irre umfangreich ist das Programm in diesem Jahr], mehr als 100 | |
Partner*innen sind 2023 beteiligt. | |
Alle, die sich einfach so an den Termin mit dranhängen, noch nicht | |
mitgezählt. Das Gallery Weekend ist erstmals im offiziellen Programm dabei, | |
die Neue Nationalgalerie hat einen temporären Garten installiert, in dem | |
Performances und Talks stattfinden. Im HAU zeigt die LAS Art Foundation die | |
Flötenoper „Gorgon“ der Künstlerin Marianna Simnett – ein visuell und | |
musikalisch durchaus faszinierendes Stück, das griechische Sagen mit | |
künstlicher Intelligenz zusammenbringt, inhaltlich aber selbst dann | |
verwirrt, wenn man die Broschüre gelesen hat. | |
## Geschichte des D.A.A.D.-Künstlerprogramms | |
Überzeugend sind bei der Berlin Art Week oft gerade Projekte, die sich auf | |
Berlin als Standort oder die eigene Geschichte beziehen. Hochinteressant | |
ist daher auch eine weitere Ausstellung, die in Kooperation mehrerer | |
Institutionen entstanden ist. „If the Berlin Wind Blows My Flag“ läuft in | |
der daad Galerie, der n.b.k. und der Galerie im Körnerpark und arbeitet | |
erstmals die Geschichte des Künstlerprogramms des DAAD auf. | |
Um die Rolle der Ford Foundation bei der Gründung des Residenzprogramms | |
etwa geht es und um die Art und Weise, welche künstlerischen Positionen | |
ausgewählt wurden und welche nicht. Leider läuft man in den drei | |
Ausstellungen Gefahr, sich zwischen all dem Archivmaterial zu verlieren, an | |
der Vermittlung hapert es, zu viel wird vorausgesetzt. Sowohl das | |
internationale Kunstpublikum als auch das breite, lokale zu adressieren, | |
bleibt eben Herausforderung. | |
15 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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