# taz.de -- Klimaziele ins Grundgesetz: Hilft die Klimabremse? | |
> Sollten klimapolitische Ziele ins Grundgesetz? Und ist es überhaupt | |
> wirksam, wenn der Politik kurzfristiger Entscheidungsspielraum genommen | |
> wird? | |
Bild: Wie wirksam wäre es, den dringend geforderten Klimaschutz ins Grundgeset… | |
In Berlin wird zurzeit eine Art „[1][Schuldenbremse fürs Klima]“ | |
diskutiert. Die Idee ist, analog zur Schuldenbremse, Klimaschutz nicht nur | |
explizit ins Grundgesetz zu schreiben, sondern auch konkrete zahlenmäßige | |
Zielvorgaben zu machen. Klingt im ersten Moment nicht schlecht. Aber ist es | |
wirklich eine gute Idee? | |
Es ist sicher zutreffend, dass es der Politik weltweit schwerfällt, den | |
Klimawandel zu bekämpfen – nicht zuletzt, weil die Erfolge erst in der | |
Zukunft liegen, aber die Kosten jetzt anfallen. Wir neigen deshalb dazu, | |
klimapolitische Aktionen, die wehtun (wie etwa die Umstellung der Heizungen | |
auf erneuerbare Energieträger), möglichst lange aufzuschieben. Und | |
umstrittene Regeln können selbst dann, wenn sie zu Gesetzen geworden sind, | |
von einem künftigen Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit rückgängig gemacht | |
werden. | |
Deshalb gibt es gesetzliche Regelungen in Verfassungen, die nur mit | |
größeren Mehrheiten geändert werden können – im Falle des Grundgesetzes | |
einer Zweidrittelmehrheit. Um die Neigung der Politik zum Schuldenmachen zu | |
begrenzen, wurde als eine Art Selbstschutz die Schuldenbremse im | |
Grundgesetz verankert, die eine statistisch quantifizierte, niedrig | |
angesetzte Vorgabe für die Obergrenzen der Verschuldung von Bund und | |
Ländern macht. Die Idee ist nun, auch Zielwerte für die Klimapolitik ins | |
Grundgesetz zu schreiben – als schwer änderbare Selbstbindung der Politik. | |
Es stellen sich etliche Fragen. So die, welche klimapolitischen Zielwerte | |
gewählt werden sollten? Offensichtlich würde es nicht ausreichen, Zielwerte | |
für das Klima selbst ins Grundgesetz zu schreiben. Etwa in der Art: „Alle | |
Politik muss daran ausgerichtet sein, dass die Erderwärmung bis 2050 | |
maximal nur x Prozent erreichen darf.“ Damit wäre keine konkrete Politik | |
festgeschrieben. Das Grundsatzproblem ist, dass der Staat klimaschädliches | |
Verhalten nicht einfach unterlassen kann, so wie er – wenn er will – seine | |
Schuldenaufnahme begrenzen kann. Man müsste also klimapolitische | |
Instrumente festschreiben, deren Wirkung meist ungewiss ist. | |
## Wirksame Klimapolitik ist unklar | |
Welche Instrumente sind denkbar? Die angestrebte Zahl von Windkrafträdern | |
zu benennen? Oder einen Preis(pfad) für CO2-Ausstoß? Aber damit wäre nicht | |
gesagt, dass nicht weiterhin zuviel CO2 produziert würde – nicht zuletzt, | |
weil man den Preis im Grundgesetz zu niedrig angesetzt hat. | |
Wirksame Klimapolitik zu machen, ist objektiv schwierig – nicht zuletzt | |
deshalb, weil man die Klimawirkungen heutiger Politik erst in der Zukunft | |
beobachten kann. Aufschlussreich ist, dass selbst die „Letzte Generation“ | |
offen zugibt, dass sie nicht weiß, welche konkreten Politikmaßnahmen | |
sinnvoll sind. Die Klimaaktivisten fordern einen „Gesellschaftsrat“, der | |
„die nötigen Schritte“ zur Beantwortung der Frage „Wie beendet Deutschla… | |
bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe auf sozial gerechte Weise?“ | |
erarbeitet. | |
Diese Frage macht nicht nur deutlich, dass wirksame Klimapolitik nicht nur | |
nicht eindeutig definiert ist, sondern dass sie zudem, wie jede Politik, | |
auch Nebenwirkungen berücksichtigen und einen Interessenausgleich finden | |
muss. Sollten also auch Maßnahmen des sozialen Ausgleichs, etwa ein | |
[2][Klimageld] und dessen konkrete Höhe, ins Grundgesetz geschrieben | |
werden? | |
## Ausnahmesituationen schützen Klima-Instrumente nicht | |
Da die Wirkungen von Instrumenten andere sein können als ursprünglich | |
erhofft und Interessen sich ändern können, ist es grundsätzlich fragwürdig, | |
ob man konkrete Instrumente [3][in eine Verfassung schreiben] sollte. Das | |
kann man an der konkreten Ausgestaltung der Schuldenbremse gut erkennen: | |
Diese gilt, sinnvollerweise, nicht unter allen Umständen, sondern kann in | |
Ausnahmesituationen wie bei Naturkatastrophen und schweren | |
Konjunkturproblemen ausgesetzt werden. Aufgrund der Coronapandemie geschah | |
dies auch. | |
Da gesetzliche Regeln, die ein politisches Ziel priorisieren, nicht dafür | |
sorgen, dass konkurrierende politische Ziele plötzlich keine Rolle mehr | |
spielen, ist es nahezu unvermeidlich, dass quantifizierte Ziele immer mal | |
wieder umgangen werden (müssen). Das kann man bei der Zunahme von | |
Schattenhaushalten („Sondervermögen“) für die Schuldenbremse gut beobacht… | |
– die Aufstockung des Wehretats um 100 Milliarden ist das beste Beispiel. | |
Grundsätzlich kann man dem Gesetzgeber kaum verbieten, Ausnahmesituationen | |
feststellen zu können, in denen klimapolitische Instrumente vorübergehend | |
ausgesetzt werden. | |
Es gilt: „Vom Wiegen wird die Sau nicht fett“, – sie muss geeignet | |
gefüttert werden. Die alte Bauernweisheit zeigt zudem, dass vom Wiegen | |
sogar eine Gefahr ausgehen kann, denn es stellt einen Anreiz dar, das | |
Gewicht von Schweinefleisch, das über die Theke geht, durch | |
Wassereinlagerungen zu erhöhen, was heutzutage durch Medikamente einfach | |
machbar ist. | |
## Unerwünschte Nebenfolgen sind real | |
Einzelne Instrumente gesetzlich zu priorisieren und andere zu | |
vernachlässigen ist immer gefährlich, und kann unerwünschte Nebenfolgen | |
haben. In der Wissenschaft ist dies als „Goodhart’s Law“ bekannt. Konkret | |
könnte das bedeuten, dass eine Klima-Schuldenbremse plötzlich wieder | |
Atomkraft attraktiv macht und große Staudämme, die Kulturlandschaften | |
verschlingen. | |
Das Problem der Verstetigung von Klimapolitik, die kurzfristig wehtut, mit | |
sehr unterschiedlich starken Schmerzen für verschiedene soziale Gruppen, | |
ist real. Insofern ist die Frage nach einer dauerhaften Regelbindung für | |
Klimapolitik durchaus berechtigt. Aber eine vernünftige Antwort zu finden, | |
ist extrem schwer, denn letztlich geht es darum, der Klimapolitik in einer | |
Welt mit vielen großen Problemen und konkurrierenden Zielen jederzeit | |
ausreichend hohe Priorität zu gewährleisten. | |
Mehr tun als das Bundesverfassungsgericht, das der Klimapolitik | |
verfassungsrechtlichen Rang einräumt, kann man wahrscheinlich nicht. Es | |
gilt immer wieder, die Mehrheit der Menschen davon zu überzeugen, nicht | |
zuletzt durch hinreichenden sozialen Ausgleich, dass hier und heute | |
effektive Klimapolitik notwendig ist. | |
29 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gert G. Wagner | |
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