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# taz.de -- Staatliche Förderung für Studierende: Armutsfalle Studienkredit
> Die Förderbank KfW verlangt fast 8 Prozent Zinsen für Studienkredite. Für
> Zehntausende Studierende ist das ein Problem. Die Regierung handelt
> nicht.
Bild: Wer kann sich das Studium finanzieren? Audimax an der Universität Dortmu…
Berlin taz | So schnell kann es gehen. Wer vor gut einem Jahr noch einen
Studienkredit bei der staatlichen Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau
(KfW) abschloss, musste anfangs keine Zinsen zahlen. Ein Entgegenkommen für
Studierende wegen der Pandemiefolgen.
Doch kurz darauf hat die Bundesregierung diese Hilfen eingestellt. Und die
KfW-Zinsen liegen mittlerweile doppelt so hoch wie vor der Pandemie, bei
fast 8 Prozent – und damit so hoch wie nie, seitdem die Bank im Jahr 2006
den Kredit erstmals angeboten hat. Die KfW verweist auf die Steigerungen
des europäischen Referenzzinssatzes Euribor, zu dem sich Banken
untereinander Geld leihen. Die rund 52.000 Studierenden in Deutschland, die
sich das Studium aktuell über diesen Kredit finanzieren, trifft das hart.
Neben der hohen Inflation und den steigenden Mieten ist es eine weitere
finanzielle Belastung.
Einer, der mit dem KfW-Wucherpreis leben muss, ist Christian Schüttle. Der
32-Jährige studiert im 5. Semester Angewandte Informatik an der Hochschule
für Technik und Wirtschaft Berlin. Den KfW-Kredit hat er im Sommer 2021
abgeschlossen – nach der Trennung von seiner damaligen Partnerin. „Wir
hatten einen Deal“, erzählt Schüttle am Telefon. „Erst habe ich Geld
verdient und sie in ihrer Ausbildung unterstützt, dann wollte sie mich
umgekehrt unterstützen.“
## Geld leihen für den Urlaub
Doch zum zweiten Teil der Abmachung ist es nicht mehr gekommen. Von seiner
Ex Geld zu nehmen, kam für Schüttle nicht infrage. Seine Eltern konnten ihn
nicht unterstützen. Und Bafög steht ihm nicht zu, weil er einst ein
Ingenieurstudium abgebrochen und stattdessen eine Ausbildung gemacht hat.
Schüttle stand vor der Wahl: Entweder nimmt er für das Studium einen Kredit
auf – oder er arbeitet weiter als Industriekaufmann. Er entschied sich für
Ersteres.
Doch seitdem die Zinsen auf Rekordniveau liegen, wird es eng für Christian
Schüttle. Das Leben ist spürbar teurer geworden. Und: Beim KfW-Kredit
werden die Zinsen direkt vom Auszahlungsbetrag abgezogen. Wer
beispielsweise den Höchstsatz von 650 Euro wählt, bekommt bei dem aktuellen
Zinssatz von 7,82 Prozent nur 599,17 Euro überwiesen. Beziehungsweise noch
weniger, denn mit zunehmenden Schulden steigen auch die Zinsen. Schüttle
erhält in diesem Monat deshalb sogar nur 555 Euro von der KfW.
Trotz Nebenjobs reicht das nur für die allernotwendigsten Ausgaben. 700
Euro für die Miete, 200 bis 250 Euro für Essen. Vielleicht noch einmal pro
Monat in Kino. Das war’s. „Wenn ich Urlaub machen will, muss ich mir Geld
bei Freunden leihen“, sagt Schüttle, der seinen echten Namen nicht in der
Zeitung lesen möchte. Bei der KfW hat er mittlerweile fast 15.000 Euro an
Schulden.
Laut der [1][jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks]
finanziert sich rund jede:r sechste Studierende während des Studiums
mithilfe von Krediten und erhält dabei im Schnitt 500 Euro. Die häufigsten
Finanzierungsquellen im Studium sind Unterstützung durch die Familie (83
Prozent) und eigene Erwerbstätigkeit (59 Prozent). Bafög erhält laut der
Befragung rund jede:r Zehnte, was sich mit den Zahlen des Statistischen
Bundesamtes deckt. Demnach erhalten derzeit 11 Prozent der Studierenden in
Deutschland die staatliche Ausbildungsförderung.
Für Johanna Liebe, Studentin und Vorstandsmitglied der
Juso-Hochschulgruppen, sind diese Zahlen ein Armutszeugnis. „Die
Bundesregierung hat eine Wende beim Bafög versprochen. Doch wie kann man
von einer Wende sprechen, wenn mehr Studierende einen Kredit aufnehmen als
Bafög erhalten?“ Sie fordert deshalb, dass die Ampelregierung endlich die
[2][lange versprochene Strukturreform beim Bafög] umsetzt. Unter anderem
hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag versprochen, den
Studienfachwechsel zu erleichtern und das Bafög elternunabhängiger zu
machen. Mit dieser Reform, so Johanna Liebe, bliebe Studierenden erspart,
horrende Zinsen für einen Studienkredit zahlen zu müssen.
Sie erinnert daran, dass heute [3][ein Drittel der Studierenden
armutsgefährdet] sei. Ein überteuerter Kredit verschlimmere die Lage
derjenigen noch weiter, die kein Bafög erhielten: „Auf Studierende in
Notlage wartet die Schuldenfalle“, warnt Liebe. Die einzige Lösung aus
ihrer Sicht: Ein Bafög, das viel mehr Studierende erreicht, regelmäßig
erhöht wird und von dem am besten kein Cent zurückgezahlt werden muss.
Forderungen, die auch das Deutsche Studierendenwerk, die
Bildungsgewerkschaft GEW und die Linkspartei regelmäßig an die Ampel
herantragen.
## Der Großteil zahlt mehr als 7 Prozent Zinsen
Ein elternunabhängigeres Bafög hätte auch Jakob Liehr vor einem
fünfstelligen Schuldenberg bewahrt. Liehrs Eltern verdienen zu viel, als
dass er Anspruch auf staatliche Unterstützung gehabt hätte. Aber auch zu
wenig, um drei Kindern gleichzeitig die Ausbildung zu finanzieren. Gleich
zwei KfW-Kredite hat Liehr deshalb aufgenommen – erst für das
Bachelorstudium in Süddeutschland und dann für den Master in Leipzig.
Als Liehr, der eigentlich anders heißt, vor gut einem Jahr die Uni
beendete, hatte er über 14.000 Euro Schulden angehäuft. „Ich habe aber noch
Glück gehabt“, sagt Liehr über seinen Schuldenberg. Nach seinem
Politikstudium hat er einen sehr gut bezahlten Job in der Industrie
gefunden. Und bei der Rückzahlung seiner KfW-Schulden hatte er den
richtigen Riecher. Er zahlte sie sofort zurück, indem er sich einen neuen
Kredit bei seiner Privatbank holte. Nun zahlt er seine Schulden mit 2
Prozent Zinsen zurück – anstatt mit fast 8 Prozent.
Weniger Glück haben die rund 170.000 Personen, die noch dabei sind, ihren
KfW-Studienkredit abzuzahlen. Wie [4][die Antwort der Bundesregierung] auf
eine Kleine Anfrage der Linkspartei von Ende Juli zeigt, zahlt der Großteil
von ihnen bei der Tilgung der Kredite zwischen 5 und 7 Prozent Zinsen, der
Rest sogar mehr als 7 Prozent. Die unterschiedlichen Zinssätze erklären
sich aus dem Angebot der KfW, feste Zinsen für ein Jahr oder länger
auszumachen – allerdings gegen Aufpreis. Insgesamt schulden die
Schuldner:innen der KfW 2,3 Billionen Euro. Aktuell werden über
verschiedene Studienkredite Monat für Monat über 35 Millionen Euro an
Studierende ausgezahlt.
Trotz dieser Zahlen sieht Ulrich Müller vom Centrum für
Hochschulentwicklung (CHE) die Studien- und Bildungskredite in der Krise.
Der Grund: Seit Jahren nimmt ihre Bedeutung ab. Sieht man vom Jahr 2020 ab,
als die Vorgängerregierung den KfW-Kredit vorübergehend für internationale
Studierende öffnete, sinkt die Zahl der abgeschlossenen Neuverträge stetig.
In diesem Jahr ist die Zahl mit knapp 24.000 [5][auf den tiefsten Wert seit
über 15 Jahren] gerutscht. „Die absolute Mehrheit der Studierenden
finanziert ihr Studium mithilfe ihrer Eltern oder eines Nebenjobs, weil sie
die staatlichen Studienfinanzierungsangebote nicht in Anspruch nehmen
können oder wollen“, sagt Müller der taz. Wenn aber wie im Fall des
KfW-Kredits die Konditionen nicht akzeptabel seien, gefährde das die
Chancengerechtigkeit. Es sei bekannt, dass ein Großteil derer, die einen
Studienkredit aufnähmen, aus der unteren Mittelschicht kämen. Steigen aber
die Verschuldungsängste, könnte das diese Gruppe abschrecken, ein Studium
aufzunehmen, so Müller. „Das wäre ein Schritt zurück bei dem Versuch, das
Aufstiegsversprechen zu erneuern.“
## Master ist so unvorstellbar
Bisher habe die Ampelregierung es verpasst, entschieden gegenzusteuern.
Dass die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zulasse,
dass der Zinssatz der KfW-Studienkredite so hoch ist, bezeichnet Müller als
„unverantwortlich“. Er fordert eine Zinsobergrenze wie damals unter Annette
Schavan. Tatsächlich ist die frühere Bundesbildungsministerin von der CDU
eingeschritten, als die KfW im Oktober 2008 den Zinssatz auf 7 Prozent
anheben wollte. Schavan brachte die Bank dazu, die Zinsen nur auf 6,5
Prozent zu erhöhen. „Das könnte jetzt auch Stark-Watzinger machen“, findet
Müller. Vereinzelt haben sich auch Landesminister schon so positioniert.
Auf eine Anfrage der taz heißt es aus dem Bundesbildungsministerin (BMBF)
ausweichend, dass die KfW den Studienkredit aus eigenen Mitteln
bereitstelle. „Die Ausgestaltung der Darlehensbedingungen […] obliegt
grundsätzlich der KfW.“ Ähnlich äußerte sich die Bundesregierung vor
wenigen Wochen auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion. Der Senkung des
Zinses im Jahr 2008 sei eine „geschäftspolitische Entscheidung der KfW“
gewesen. Übersetzt heißt das wohl so viel wie: Da mischen wir uns nicht
ein. Die Zinsentwicklung werde die Bundesregierung nach eigener Aussage
aber „beobachten“.
Gewiss ist nur: Ab Oktober wird wieder ein neuer Zinssatz für den
KfW-Kredit gelten. Steigt er weiter, würden Zehntausende Studierende noch
mehr belastet. Der Berliner Student Christian Schüttle hat schon eine
Entscheidung gefällt: Sinkt der KfW-Zins nicht deutlich, hört er im
kommenden Sommer nach dem Bachelor auf. Einen Master kann er sich unter
diesen Umständen nicht mehr vorstellen: „Nicht bei den Zinsen.“
21 Sep 2023
## LINKS
[1] /Sozialerhebung-des-Studierendenwerkes/!5933502
[2] /Bafoeg-Reform-im-Bundestag/!5855746
[3] /Studie-des-Paritaetischen-Wohlfahrtsverbands/!5855448
[4] https://dserver.bundestag.de/btd/20/078/2007817.pdf
[5] https://www.che.de/download/che-studienkredit-test-2023/?wpdmdl=29009&r…
## AUTOREN
Ralf Pauli
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