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# taz.de -- Kurzfilm über Alkoholismus: Weil Schweigen nur schmerzt
> „Draußen ist es wärmer“ erzählt die Geschichte einer Familie, die nicht
> über die Alkoholsucht des Vaters spricht. Ein Besuch bei den
> Dreharbeiten.
Bild: Elias (Riccardo Campione) und Noah (Elmo Stratz) erinnnern sich an ihren …
Kiel taz | Zwei Jungen auf ihren Fahrrädern verschwinden immer wieder im
Schatten der Alleen. Die Kurven der Landstraße sind eng, nur für ein
einziges Auto reicht der Platz. Idyllisch reihen sich die Häuser am Rande
des Asphalts. Kinoreife Geschichten vermutet man hinter ihren Türen wohl
kaum. Und doch soll heute eines von ihnen Schauplatz eines
Coming-of-Age-Kurzfilms werden.
„Draußen ist es wärmer“ erzählt von einer Familie, die unter der
unausgesprochenen Alkoholsucht des Vaters leidet. Trotz dessen Todes
versuchen die beiden Brüder Elias und Noah einen Sommer zu leben, der
würdig ist, erinnert zu werden: Die erste Liebe, Abenteuer und aufregende
Partys erhoffen sie sich. Doch immer wieder holt sie die Krankheit ihres
Vaters ein.
[1][Erstaunlich oft wird auf der Leinwand getrunken], nur wenige Filme
betrachten das kritisch. Die Autoren Manuel Tröndle und Luca Hartleib
verstecken sich nicht vor ernsten Themen. „Sie sind ein Nährboden für
charakterliche Entwicklung“, findet Hartleib. Die 20-köpfige Filmcrew haben
sie jedenfalls von ihrer Idee überzeugt. Die meisten von ihnen sind in
ihren Zwanzigern und werdende Mediengestalter*innen. Für die sechs
Drehtage des Projekts haben sie sich freigenommen. Geld gibt es für
niemanden, was sie antreibt, ist die gemeinsame Vision.
Nach dem ersten Drehtag an der Ostsee geht es nun im
schleswig-holsteinischen Tüttendorf weiter. Ein Reetdach krönt das
Fachwerkhaus, in dem gedreht wird. Im Hinterhof wimmelt es zwischen
Stativen und Lichtern von jungen Menschen, die Anweisungen in ihre Headsets
sprechen. Im Haus stapeln sich Bücher neben der offenen Küche. Sonne fällt
durch dünne Vorhänge auf Strandbilder an der Wand.
## Regisseur selbst betroffen
Heute soll eine Szene gedreht werden, die auf den ersten Blick gewöhnlicher
nicht sein könnte: die Familie am Mittagstisch, Mama, Papa und ihre zwei
Söhne. Aber als klar wird, dass der Vater schon wieder getrunken hat, kommt
es zum Streit.
Gedankenverloren stochern die Schauspieler Elmo Stratz und Riccardo
Campione in ihrer Lasagne. Die Bedrücktheit, mit der sie die beiden Brüder
verkörpern, hat Regisseur Luca Hartleib oft selbst erlebt. Das Haus gehört
seiner Familie, auch sein Vater kämpfte lange mit der Alkoholsucht. Die
Eltern sind am Set dabei, kümmern sich um warmen Kaffee und Snacks.
„Natürlich war es belastend, aber ich verurteile ihn nicht und könnte mir
keinen besseren Vater wünschen“, sagt Hartleib. Ein Anliegen des Filmes sei
es, [2][mit dem negativen Klischee des charakterschwachen Trinkers] zu
brechen. Eltern soll ein Spiegel vorgehalten werden, schließlich leidet
auch die Unbeschwertheit der Kinder, wenn eine Suchterkrankung
totgeschwiegen wird.
Was seine Schwester und er erlebt haben, lässt der 21-Jährige in die
Regieanweisungen einfließen. Immer wieder führt er Vieraugengespräche mit
den Darsteller*innen. „Sie sind die Experten ihres Charakters und
sollen an ihre Rolle glauben. Ich befruchte nur ihre Vorstellungskraft,
indem ich ihnen eine gewisse Atmosphäre mitgebe“, erklärt er.
„Ruhe, bitte, wir drehen!“, ruft die Regieassistenz. Drinnen wie draußen
versammeln sich alle vor den Monitoren. Ist das Licht endlich perfekt, ruft
[3][Kameramann und Autor Manuel Tröndle]: „Kamera, Set!“ Dann schlägt die
Klappe.
Als die Brüder das zerkratzte Gesicht ihres wieder angetrunkenen Vaters
sehen, beginnen sie mit den Eltern zu diskutieren. „Ihr kriegt’s echt nicht
hin, oder? Einmal normal zusammen essen“, schnauzt Noah, der Ältere der
Brüder, der Draufgängerische. Zu diesem Zeitpunkt im Film überspielt er
seinen Schmerz oft noch mit gefühlskalten Ausbrüchen. Denn auch das will
der Film vermitteln: Als Mann sollte man sich mit seinen Gefühlen
auseinandersetzen und die eigenen Schwächen nicht verdrängen.
Das Leid des jüngeren Bruders Elias äußert sich in seiner konfliktscheuen
und sensiblen Art. Erwartungsvoll hängt die Tonangel über Darsteller
Riccardo Campione. Als die Mutter aus dem Haus rennt, starrt er bloß ins
Leere. Alle am Set halten die Luft an, bis Regisseur Hartleib diesen Take
beendet: „Danke, aus!“
Fast sechs Stunden dauert es, bis alle Einstellungen im Kasten sind. Die
letzte Anspannung fällt abends in der hauseigenen Sauna ab. Ein
„zusammenschweißender“ Moment, findet Tröndle. Danach pusten sie die
Matratzen auf und kuscheln sich in ihre Schlafsäcke. Der Anblick erinnert
ein wenig an eine Klassenfahrt.
## Dreh im Morgengrauen
Viel Schlaf bekommt das Team nicht, schon um drei Uhr klingeln die Wecker.
In der Szene, die nun gedreht wird, kommt Elias nach einer Party nach Hause
und sieht seine Mutter allein auf der Terrasse sitzen. Dafür soll die
verschlafene Stimmung der Morgendämmerung eingefangen werden. Mit einem
lauten „Und bitte!“ eröffnet Regisseur Hartleib die Szene. „Uns hat keine
Energie mehr angetrieben, nur noch Leidenschaft“, erinnert er sich.
Im kommenden Jahr soll „Draußen ist es wärmer“ Premiere feiern und wird a…
einigen [4][Kurzfilmfestivals] zu sehen sein, darunter das Filmfest
Schleswig-Holstein. Nach Drehschluss beginnt Manuel Tröndle am
Frühstücksbuffet vom Filmstart zu träumen: „Das Allerschönste für mich i…
ein voller Kinosaal mit Menschen, die 20 Minuten lang in einem dunklen Raum
sitzen, nur um sich deinen Film anzuschauen.“
17 Sep 2023
## LINKS
[1] /Kolumne-Nuechtern/!5067086
[2] /Aktivist-ueber-Sucht-und-Behinderung/!5949652
[3] https://directorsnotes.com/2022/09/21/manuel-trondle-mending/
[4] /Kinotipp-der-Woche/!5948017
## AUTOREN
Nina Christof
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