# taz.de -- Nachruf auf Matthew Perry: Tyrannei der Monotonie | |
> Matthew Perry starb letzte Woche mit 54. Er wünschte sich, nicht nur als | |
> Chandler von „Friends“ erinnert zu werden. Die Rolle war Teil seiner | |
> Tragik. | |
Bild: Der Friends-Star Matthew Perry bei einer Film-Premiere im September 2009 … | |
Letzte Woche starb der [1][Schauspieler Matthew Perry]. Dies ging mir | |
überraschend nah, denn ich habe „Friends“, die Serie, für die Perry bekan… | |
war, nie geschaut. Da spielte er in über 230 Folgen, ein Jahrzehnt lang, | |
den sarkastischen Chandler. | |
Keine einzige Folge habe ich von Anfang bis Ende ausgehalten. Immer wenn | |
ich wieder versucht habe, „Friends“ zu schauen und zu verstehen – ob aus | |
protokollarischer Pflicht heraus oder um jemandem zu gefallen –, tat sich | |
die Serie als höllisches, schwarzes Loch auf. Kein einziger Gag ist gut, | |
kein Charakter interessant, kein Moment schön oder nachhallend. Ein | |
Geschwür der Belanglosigkeit, das im Laugh Track alles überbrückt und doch | |
nichts verbindet. | |
Und dennoch ziert das „Friends“-Logo, bei H&M oder Zalando zu erstehen, | |
seither die Pullover all jener 15- bis 45-Jährigen, die auf der Sonnenseite | |
des Lebens stehen und dies als Persönlichkeit verstehen. | |
Matthew Perry aber stand nicht auf der Sonnenseite des Lebens. In Sitcoms | |
spielen Schauspieler meistens eine konzentrierte Version ihrer Selbst. | |
Anders sind 10 Jahre in character nicht auszuhalten. Bei „Friends“ gab es | |
somit den Dumpfen, die Naive, den Tollpatschigen, die Stolze und eben den | |
Sarkastiker. | |
## Auch beim Dreh betrunken | |
Auch in der kleinen Wohnzimmerwelt saß Chandler, also Perry, am Rand. Er | |
hatte, mehr als es sein Umfeld erlaubte auszusprechen, Dämonen. Er war | |
Alkoholiker. Bis zum Ende. Er sprach viel über die Jahre, die er auch beim | |
Dreh betrunken war. | |
Aus ganz weiter Entfernung war Perry ein Gefangener, ein Fremder, dem es | |
das viele Geld und die Anspruchslosigkeit seiner Arbeit unmöglich machte, | |
auszubrechen. Wer Perrys Networth googelt, erhält die Zahl 120 Millionen | |
Dollar. So etwas wirft man nicht weg. Ein goldener Käfig im Land der | |
Gesegneten. | |
Jede Sitcom – aber „Friends“ ganz besonders – ignoriert die | |
Vergänglichkeit. Nie ändert sich etwas, jede Woche die gleichen Leute, | |
Witze und Orte. „Friends“ stach heraus, weil es die Abwesenheit von | |
Veränderung, Zeit und Tod, am krassesten auf die Spitze trieb. Jeder Moment | |
ist, wie der letzte war und der nächste sein wird – weshalb man keine | |
einzige Folge zu Ende sehen muss. | |
Aber Verdrängung ist ein Talent, nichts, wozu man sich entscheidet. Was | |
aber, wenn die Fragen da sind? Wenn eigene Sterblichkeit, eigene Fehler, | |
die Vergänglichkeit der Dinge einfach anwesend ist? Was, wenn man Kunst | |
machen will und sich verbinden möchte? Was, wenn man all das will, aber in | |
der Welt von „Friends“ lebt? Der Einäugige ist nicht der König der | |
Blinden“, hat Selim Özdoğan geschrieben: „Er ist der einzige, der sich in | |
der Dunkelheit nicht zurecht findet.“ | |
## Immer wieder Rückfälle | |
Als „Friends“ zu Ende ging, versuchte Perry, seine Geschichte | |
umzuschreiben. Regelmäßig saß er in Talkshows, das Gesicht aufgequollen, | |
die Augen wässrig, und beschrieb seine soziale Arbeit. Er hatte es sich zur | |
Aufgabe gemacht, anderen Alkoholikern beim Kampf gegen ihre Sucht zu | |
helfen. Er baute ein Haus, welches Lebensraum für andere [2][Alkoholiker] | |
und trockenes Leben bot und schrieb ein Theaterstück über seine eigene | |
Sucht. | |
„Wenn die Leute mich um Hilfe bitten, werde ich immer Ja sagen“, sagt er | |
und schrieb in diesem Zusammenhang den wundervollen Satz: „Ich werde dies | |
für dich tun, selbst wenn ich es nicht für mich selbst tun kann.“ Immer | |
wieder hatte er Rückfälle. Am Ende ertrank er mit 54 Jahren. Wie genau dies | |
mit seiner Krankheit zu tun hat, sind Fakten, die aber vielleicht nur im | |
Weg stehen. Denn natürlich lässt sich dies nicht verbinden. Im Wasser | |
stirbt niemand friedlich. | |
„Aber wenn ich sterbe, wenn es um meine „sogenannten“ Errungenschaften | |
geht“, schrieb Perry, mit den Worten des gebeutelten Kämpfers, der er war, | |
„wäre es nett, „Friends“ würde weiter hinten genannt, weit hinter meinem | |
Versuch, anderen zu helfen.“ | |
Es fühlt sich so an, als hätte ich in Perry einen Freund verloren, den ich | |
nie getroffen habe. Er ging als Schutzpatron für jene, die den Tod nicht | |
ignorieren können. Für jene, die kämpfen, obwohl sie um die Sinnlosigkeit | |
der Dinge wissen. Für jene, die die Zukunft sehen können. „Ich weiß, es | |
wird nicht passieren“, schrieb Perry über seinen Wunsch, hinter dem | |
blendenden Sonnenschein von [3][„Friends“] nicht übersehen zu werden: „A… | |
es wäre nett.“ | |
31 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Wilhelmi | |
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