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# taz.de -- Bürgerbeteiligung in Bremerhaven: Wischen für die Stadtentwicklung
> Bremerhaven nutzt die Plattform „Swipocratie“, um Bürger*innen an der
> Entwicklung der Innenstadt zu beteiligen. Um Repräsentativität geht es
> nicht.
Bild: Nur 100 Meter trennen die Havenwelten (vorne im Bild) und die Innenstadt
Hamburg taz | Nachdem die Stadt Bremen [1][bei „Tinder“] bereits Werbung
geschaltet hat, um junge Menschen in die Stadt zu locken, hat die
Nachbarstadt Bremerhaven nun eine Umfrage in Form der Dating-App gestartet:
Mit der Beteiligungsplattform „Swipocratie“ will die Verwaltung seit
Dienstag herausfinden, wie eine Verbindung zwischen den touristisch
geprägten „Havenwelten“ und der Innenstadt geschaffen und wie „die
Aufenthaltsqualität in der Innenstadt gesteigert werden kann“.
Innenstadt und Havenwelten, also das Viertel am Wasser, werden im Moment
durch die mehrspurige Columbusstraße voneinander getrennt.
Um abstimmen zu können, muss allerdings niemand eine App herunterladen,
auch eine Anmeldung ist nicht nötig. Über [2][einen Link gelangen
Bremerhavener*innen] auf eine Website, die sich auf dem Handy wie
eine App nutzen lässt. Es ist auch möglich, das Programm vom Computer aus
zu nutzen.
„Wir haben das Beteiligungsformat bewusst niedrigschwellig gehalten, weil
wir ein breites Meinungsbild aus der Bevölkerung erhalten wollen“, sagt
Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD). Durch einen Klick oder
ein Wischen nach links oder rechts können die Teilnehmenden dann Aussagen
wie „Ich gehe gern in die Innenstadt“ zustimmen oder eben nicht. Außerdem
lassen sich bestimmte städtebauliche Maßnahmen nach Wichtigkeit sortieren.
## Die Innenstadt finden viele unattraktiv
Die Bremerhavener Innenstadt finden viele unattraktiv, was auch an
baulichen Gegebenheiten liegt. In den Havenwelten hingegen können Menschen
mit Blick auf das Meer spazieren gehen und es gibt Ausflugsziele wie das
Klimahaus oder den Zoo.
Mit der Beteiligung per Swipe – zu deutsch: wischen – ist Bremerhaven
Vorreiterin: Sie ist die erste deutsche Stadt, die die in den Niederlanden
entwickelte Plattform nutzt. Dabei ist die Beteiligung hier gering,
mindestens bei Wahlen: Bei der Bürgerschaftswahl 2023 lag sie bei 40,3
Prozent – und damit um acht Prozent niedriger als 2019.
Auch in anderen Bereichen schneidet Bremerhaven schlecht ab: In einem
Ranking zur Lebensqualität landete Bremerhaven 2019 auf Platz 69, während
die Stadt Bremen auf Platz 17 kletterte. Die Arbeitslosenquote lag laut
Statista 2022 bei 13,3 Prozent. Die Menschen in Bremerhaven sind mit einer
Armutsquote von 33,5 Prozent im Jahr 2021 deutlich ärmer als im
Bundesschnitt, hier lag die Quote im selben Jahr bei 16,6 Prozent.
Solchen Entwicklungen will die Stadt aber nun mit verschiedenen
Beteiligungsformaten entgegenwirken. In den sozialen Medien ruft sie die
Bürger*innen dazu auf, sich an der Ideenfindung für das 200-jährige
Stadtjubiläum im Jahr 2027 zu beteiligen. Mit Mitteln des
Bundesförderprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ wurde eine
Umfrage zu einer „Markthalle der Nachhaltigkeit“ und das Beteiligungsformat
„Swipocratie“ umgesetzt.
„Ich finde ‚Swipocratie‘ recht interessant und bin gespannt, wie viele
Leute sich beteiligen“, sagt Dominik Santner von der Arbeitnehmerkammer
Bremen. „Vielleicht ergibt sich dadurch die Möglichkeit, dass andere
Gruppen als sonst sich beteiligen: nicht nur Ältere, die die Zeit dafür
aufbringen können, sich in Gremien zu beteiligen, sondern auch berufstätige
Menschen im mittleren Alter.“
## Menschen unter 18 sind besonders schwer zu erreichen
Tatsächlich soll „Swipocratie“ mit ihrer Anlehnung an Dating-Apps nicht nur
die sehr junge Generation erreichen, sondern alle sehr schwer zugänglichen
Zielgruppen. „Menschen zwischen 40 und 60 Jahren sind am einfachsten zu
erreichen“, sagt Florian Francken, Designer und Mitentwickler von
„Swipocratie“. „Um Menschen unter 18 muss man sich mehr bemühen.“ Und
zumindest in den Niederlanden ließen sich die Älteren „durch den Look der
App nicht abschrecken“.
In den Niederlanden hat Francken die Plattform mit dem
Landschaftsarchitekten Paul Roncken konzipiert und in knapp 100 Projekten
genutzt, meistens für Provinzen, Gemeinden oder Städtebaubüros.
„Es geht sehr oft um öffentlichen Raum oder um die Energiewende“, sagt
Francken. Eben wenn man will, dass Leute mitdenken. Erreicht haben sie
damit meist zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung. „Letztens haben wir in
einer Kleinstadt 15 Prozent der Menschen erreicht, das war Rekord.“ Ob es
in Bremerhaven auch so gut läuft, ist nicht klar. „Deutschland ist für mich
neu“, sagt Francken.
Bei dem Projekt geht es nicht um Repräsentativität, sondern darum,
interessierte Menschen zu gewinnen: Denn am Ende der Befragung haben die
Teilnehmer*innen die Möglichkeit, eine Mail-Adresse anzugeben, wenn sie
an einem der im November geplanten Beteiligungsworkshops zur Entwicklung
der Innenstadt teilnehmen möchten.
„Uns ist es wichtig, dass wir uns mit den Menschen auch nach der Umfrage
weiter über die zukünftigen Planungen austauschen“, sagt Bürgermeister
Torsten Neuhoff vom Stadtplanungsamt. Die Plattform „Swipocratie“ ist noch
bis zum 3. Oktober aktiv.
14 Sep 2023
## LINKS
[1] /Tinder-und-TikTok-im-Comic-ohcupid/!5930531
[2] https://bremerhaven.swipocratie.de/
## AUTOREN
Franziska Betz
## TAGS
Bremerhaven
Stadtentwicklung
Innenstadt
Bürgerbeteiligung
Partizipation
Utopie
Ausstellung
Grüne Bremen
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
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