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# taz.de -- Wählen ab 16: Reif für die Urne
> Der schwarz-rote Senat beschließt einen Gesetzentwurf, damit schon
> 16-Jährige das Abgeordnetenhaus wählen dürfen. Grüne und Linke wollen
> zustimmen.
Bild: Als 16-Jähriger nur demonstrieren, aber nicht abstimmen dürfen? Damit s…
Berlin taz | Nun also auch das Abgeordnetenhaus wählen und bei
Volksbegehren mit unterschreiben und abstimmen können: Was bisher erst ab
18 Jahren erlaubt war oder bloß beim Bezirksparlament, soll künftig schon
mit 16 möglich sein. Den Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung dazu
hat der schwarz-rote Senat am Dienstag beschlossen. Die CDU hatte bis zu
diesem Jahr ein niedrigeres Wahlalter abgelehnt, sich aber in den
Koalitionsverhandlungen mit der SPD darauf eingelassen. Auch Grüne und
Linkspartei, langjährige Befürworter, wollen im Parlament zustimmen und so
für die bei Verfassungsänderungen nötige Zweidrittelmehrheit sorgen. Die
erste Debatte dazu steht im Abgeordnetenhaus mutmaßlich schon nächste Woche
an.
Die Änderung würde dafür sorgen, dass zu den bislang rund 2,5 Millionen
Berliner Wahlberechtigten weitere 50.000 kämen, also rund zwei Prozent mehr
Menschen wählen und abstimmen dürften. 16- und 17-Jährigen das Wahlrecht
auf Landesebene zu geben, war schon vor fast eineinhalb Jahren verabredet –
allerdings nicht mit der CDU: Die damals noch im Abgeordnetenhaus
vertretene FDP wollte der damaligen rot-grün-roten Koalition zur
Zweidrittelmehrheit verhelfen. Nachdem das Landesverfassungsgericht jedoch
2022 eine Wahlwiederholung beschloss, rückte die Absenkung in den
Hintergrund.
Sie in diesem Frühjahr wiederzubeleben, gehörte zu den überraschenden
Erfolgen der SPD gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU.
Denn die hatte sich zuvor nicht damit anfreunden können. Als sich [1][etwa
der damalige Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) 2018 dafür stark
machte], es anderen Bundesländern gleich zu tun, lehnte die CDU ab: Zum
einen sei es nicht nachvollziehbar, mit 16 noch nicht sämtliche Verträge
abschließen, aber wählen zu dürfen, zum anderen zweifele man an der nötigen
Reife für eine Wahlentscheidung.
Das war auch für Wieland lange ein Argument, doch sah er nun eine größere
Reife. Umgestimmt hatte ihn eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. In
der Berliner SPD stimmten noch 2015 [2][bei einer Mitgliederbefragung] nur
29,2 Prozent für ein niedrigeres Wahlalter, aber 60,4 Prozent dagegen.
Eine, die auch bei jener SPD-Befragung schon für eine Absenkung gewesen
sein will, ist die sozialdemokratische Innensenatorin Iris Spranger: „Ich
war immer pro“, sagte sie der taz am Dienstag. Sie stellte den
Gesetzentwurf nach der Senatssitzung vor und lobte ihn als „eine wichtige
neue Regelung für mehr Partizipation“. Zweifel an der nötigen Reife der 16-
und 17-Jährigen halte man im Senat für unbegründet. Für Spranger stärkt die
Absenkung vielmehr Interesse und Reife in Sachen Politik.
Kommt es zur Verfassungsänderung, ist Berlin damit zwölf Jahre später dran
als Brandenburg. Dort wurde die Absenkung 2011 beschlossen, 2014 durften
16-Jährige erstmals den Landtag mitwählen. In fünf weiteren Ländern –
Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg und
Mecklenburg-Vorpommern – ist das ebenfalls schon so. In Nordrhein-Westfalen
steht eine Absenkung zumindest im Koalitionsvertrag des seit 2022
regierenden schwarz-grünen Bündnisses.
In Berlin dürfen 16-Jährige bisher schon die
Bezirksverordnetenversammlungen mitwählen. Der Bundestag hat zudem bereits
Ende 2022 [3][das Wahlalter für das Europaparlament], das 2024 gewählt
wird, auf 16 gesenkt. Damit wird der Bundestag künftig zur einzigen der
vier parlamentarischen Ebenen vom Kommunal- bis zum Europaparlament, bei
der Unter-18-Jährige nicht wählen dürfen.
Die von Innensenatorin Spranger am Dienstag vorgetragene Begeisterung über
den Gesetzentwurf war bei der CDU-Fraktion als Koalitionspartner weit
weniger spürbar. Tatsächlich hat sich aus ihrer Sicht an den von ihr
jahrelang vorgetragenen Argumenten – rechtlich uneinheitlich und von der
Reife her fraglich – nichts geändert. Für die CDU gilt allerdings, was sie
in anderen Fällen auch von der SPD erwartet: pacta sunt servanda – was im
Koalitionsvertrag steht, ist einzuhalten. Um den Schwenk zumindest ein
stückweit zu verbrämen, hat die CDU-Fraktion deshalb mehrere ergänzende
Anträge formuliert, die intern als „Begleitprogramm“ laufen: Sie drängen
auf zusätzliche politische Bildung für die künftigen Wählerschaft.
Darauf am Dienstag angesprochen, verwies Innensenatorin Spranger auf
CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch: Die habe ihr bestätigt,
dass die entsprechenden politischen Bildungsinhalte bereits Bestandteil
mehrerer Schulfächer seien. Sprangers Fazit daraus: „Ich sehe keine weitere
Notwendigkeit, da noch etwas zu machen.“
12 Sep 2023
## LINKS
[1] /Diskussion-ueber-Wahlalter/!5482258
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/spd-fur-kopftuchverbot-gegen-cannabis-ve…
[3] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw45-de-europawahlgesetz…
## AUTOREN
Stefan Alberti
Marlena Wessollek
## TAGS
Innensenatorin Iris Spranger
Abgeordnetenhaus
Bildungssystem
Wochenkommentar
Partizipation
Große Koalition
Parlamentswahlen
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