# taz.de -- Petra Köpping (SPD) im Interview: „Das hat mit der AfD nichts zu… | |
> Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) über Kommunen am Limit, | |
> Unterbringung von Geflüchteten und ihre Strategie gegen die | |
> Rechtsradikalen. | |
Bild: Aufnahmeeinrichtung für Ukrainer*innen in Leipzig: „Hören, dass Gefl�… | |
taz: Frau Köpping, im Frühjahr haben viele Kommunen gewarnt, sie kämen bei | |
der Unterbringung Geflüchteter an ihre Grenzen. Seither haben andere Themen | |
die Tagesordnung bestimmt. Wie ist die Lage in Sachsen aktuell? | |
Petra Köpping: Wir haben in Sachsen derzeit über 100.000 Geflüchtete, etwa | |
56.000 davon aus der Ukraine. Das sind Zahlen, die schon deutlich über | |
denen von 2015/16 liegen. Die Landräte und Oberbürgermeister verzeichnen | |
durchaus noch immer Überlastung. | |
Ukrainer*innen müssen ja anders als andere Geflüchtete nicht erst mal in | |
eine Unterkunft, sondern können auch privat unterkommen. Entspannt das die | |
Lage? | |
Ja, von den Menschen aus der Ukraine sind nach wie vor sehr viele dezentral | |
untergebracht, in eigenen Wohnungen oder bei Familien. Das entspannt die | |
Lage durchaus. Aber gerade in den großen Städten wie Leipzig oder Dresden | |
sind die Wohnungen ohnehin knapp. Und auch unsere Erstaufnahme verzeichnet | |
immer noch Zugänge. Wir sind ja hier nahe der polnischen und der | |
tschechischen Grenze. Das macht sich bemerkbar. | |
Wochen- und monatelang haben Bund, Länder und Kommunen über Geld für die | |
Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten gestritten. Mitte Mai gab es | |
dann eine Einigung: unter anderem 1 Milliarde Euro zusätzlich vom Bund. | |
Hilft das? | |
Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Kommunen wünschen sich eine | |
auskömmliche Finanzierung. Die Unterbringung ist das eine. Aber zum | |
Beispiel bekommen viele ukrainische Geflüchtete Bürgergeld. Das hat dann | |
Auswirkungen auf Kitabeiträge und so weiter. Und diese Folgeausgaben, die | |
bleiben bei den Landkreisen und Kommunen hängen. | |
[1][Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die Solidarität] mit den | |
Ukrainer*innen sehr hoch ist – höher als bei anderen Geflüchteten. Woran | |
liegt das? | |
Generell kann ich für Sachsen sagen: Die Unterstützung für ukrainische | |
Geflüchtete ist nach wie vor hoch. Allerdings hören wir leider auch von | |
ukrainischen Geflüchteten, dass sie beschimpft oder angegangen werden. Da | |
wird mal gefragt: Was fährst du denn für ein großes Auto? Oder es gibt zum | |
Beispiel kein Verständnis dafür, dass manche kurzzeitig in die Ukraine | |
zurückfahren, dort nach ihrer Wohnung oder ihrer Familie sehen. Die | |
Ehemänner der meisten Frauen sind ja noch im Land. Da zeigt sich auch, dass | |
Menschen, die hier ihr Leben lang in Frieden leben, wenig Ahnung davon | |
haben, wie Krieg eigentlich läuft. Leider zeigt sich aber auch, dass sich | |
viele der Ukraine näher fühlen als etwa Syrien. Es ist geografisch näher, | |
kulturell näher, und wir haben hier ja ohnehin eine starke Verbindung zur | |
ehemaligen Sowjetunion. | |
Halten Sie diese Unterscheidung für gerechtfertigt? | |
Nein, das muss ich klar sagen. Es darf keine Flüchtlinge erster und zweiter | |
Klasse geben. Genauso wie eben überhaupt keine Bevölkerungsgruppe | |
vernachlässigt werden darf. Sonst landen wir sofort in der | |
Neidgesellschaft. Auch das haben wir ja schon gesehen: dass, wenn | |
Geflüchtete kamen, sofort gefragt wurde: Und wer kümmert sich um die | |
Obdachlosen? Alle, die Unterstützung brauchen, müssen sie gleichermaßen | |
erfahren. | |
Wie fanden Sie vor diesem Hintergrund den Streit zwischen | |
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin | |
Lisa Paus (Grüne) um die Finanzierung der Kindergrundsicherung? | |
Den fand ich gar nicht gut, muss ich deutlich sagen. Ich sah da auch beide | |
in der Verantwortung. Es ist doch klar, dass wir sowohl die Wirtschaft als | |
auch Kinder in Armut unterstützen müssen. Das darf man nicht gegeneinander | |
ausspielen, und da müssen sich die zuständigen Politiker vorab einigen, | |
vielleicht beide ein paar Abstriche machen – aber diesen Streit doch nicht | |
öffentlich austragen. Klar ist: Wenn ich mich heute nicht um die Kinder | |
kümmere, habe ich morgen auch mehr wirtschaftliche Probleme. Ich finde gut, | |
dass sich beide unter Vermittlung von Bundeskanzler Olaf Scholz geeinigt | |
haben. | |
Die Asyldebatte war zuletzt sehr restriktiv, es ging etwa um mehr | |
Abschiebungen. Gleichzeitig kommen die meisten Geflüchteten aus der Ukraine | |
und aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan, wohin nicht abgeschoben wird. | |
Wie zielführend ist das also? | |
Wenn bei einem Menschen klar ist, dass er hier bleiben kann, dann müssen | |
wir ihn schnell integrieren und sehen, dass er Zugang zu Schule oder Arbeit | |
bekommt. Genauso wichtig ist aber, dass die, die nicht bleiben können, | |
Deutschland möglichst zügig wieder verlassen. Das ist wichtig sowohl mit | |
Blick auf die Belastung der Kommunen als auch für die Akzeptanz in der | |
Bevölkerung. Ich habe zum Beispiel einen Bericht aus der Stadt Plauen, | |
wonach 40 Prozent eben nicht bleiben können. Das ist schon eine | |
Größenordnung, mit der man umgehen muss. | |
Bundesweit lag bei inhaltlichen Entscheidungen über Asylanträge [2][die | |
Schutzquote zuletzt bei deutlich über 70 Prozent]. Und rund 40 Prozent der | |
negativen Entscheidungen, die vor Gericht landeten, wurden korrigiert. Der | |
allergrößte Teil der Menschen hat doch Recht auf Schutz. | |
Es wird sehr viel mit unterschiedlichen Zahlen jongliert. Ziemlich oft | |
werden, fürchte ich, diejenigen, die eine Duldung bekommen, bei den | |
Abzuschiebenden mit eingerechnet … | |
… Geduldete zählen formal als ausreisepflichtig, dürfen aber erst einmal in | |
Deutschland bleiben, weil aus verschiedenen Gründen eine Abschiebung nicht | |
möglich ist. | |
Genau. Wenn man sie mitzählt, dann kommt man auf sehr hohe Zahlen von | |
Abzuschiebenden. Das ist unsauber. Aus meiner Sicht müssen auch Geduldete | |
hier so schnell wie möglich ankommen und in Arbeit kommen können und dann | |
auch möglichst eine Anerkennung bekommen, wenn sie sich bemühen, arbeiten, | |
sich integrieren. | |
Die Ampel ist in ihrem Diskurs über Flucht und Asyl zuletzt deutlich nach | |
rechts gerückt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Versuch, den hohen | |
Umfragewerten der AfD zu begegnen? | |
Dem würde ich widersprechen. Ich sehe es als Reaktion auf die vielen | |
Einwände und Hinweise, die Bürgermeister und Landräte geäußert haben. | |
Diejenigen also, die vor Ort Integration umsetzen wollen. Die meisten | |
bringen ja gewichtige Gründe dafür vor, dass sie am Limit sind. Die Schulen | |
und Kitas sind voll, die Unterkünfte sind es auch. Das hat mit der AfD | |
nichts zu tun. | |
In den ostdeutschen Bundesländern sind die Zustimmungswerte für die AfD | |
besonders hoch. Unter anderem in Sachsen wird nächstes Jahr gewählt. Wie | |
muss die Politik der Beliebtheit der Rechtsextremen begegnen? | |
Wir müssen genau hingucken und mit den Menschen reden. Streit in der Ampel | |
hilft nicht, sondern schadet. Den Menschen fehlt, dass die Politik | |
Orientierung gibt und Lösungen sucht. Und dass sie ihre Vorhaben zu Ende | |
denkt. Es muss klar sein, wer letztlich die Lasten trägt, und das muss | |
abgesprochen werden. Dass das etwa beim Heizungsgesetz wirklich nicht gut | |
gelaufen ist, brauche ich Ihnen nicht sagen. Es gibt eine große | |
Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, und das führt dazu, dass die | |
Menschen die Orientierung verlieren. | |
Nehmen sie die Wähler*innen da nicht zu sehr aus der Verantwortung? Weil | |
sie sauer auf die Regierung sind, landen sie bei der AfD? Die Menschen | |
wissen doch, wofür diese Partei steht. | |
Durch unglückliche Kommunikation gehen die Zustimmungswerte für die AfD | |
erheblich nach oben. Das ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern überall in | |
der Bundesrepublik zu beobachten. In Koalitionen muss man Abstriche machen, | |
das versteht jeder. Aber man muss sich im stillen Kämmerlein streiten. Und | |
wenn man dann ins Kabinett geht, dann brauchen die Bürger ein klares | |
Signal: Man hat sich verständigt. Aber ich gebe Ihnen recht: Der Großteil | |
der Menschen weiß sehr wohl, was er da wählt. | |
29 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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