# taz.de -- Keine Werbung für Fleisch mehr: „McDonald’s zeigt Veggie-Burge… | |
> Das niederländische Haarlem verbietet Fleischwerbung auf öffentlichen | |
> Flächen. Lokalpolitikerin Ziggy Klazes hofft, dass andere Kommunen | |
> nachziehen. | |
Bild: Küchenszene des Malers Peter Wtewael aus dem 17. Jahrhundert: Fleisch wa… | |
taz: Frau Klazes, an warmen Sommertagen werfen viele Leute gern ein | |
Würstchen auf den Grill. Wie finden Sie das? | |
Ziggy Klazes (lacht): Wenn’s eine vegetarische Alternative ist, freue ich | |
mich. Aber alles andere ist auch in Ordnung. Ich will niemandem verbieten, | |
[1][Fleisch] zu essen. Nur tue ich es selbst nicht. Im Alter von elf Jahren | |
wurde ich zur Vegetarierin, nachdem wir einen Schulausflug in einen | |
Schlachthof gemacht hatten. Die Realität der industriellen | |
Fleischverarbeitung war so grauenhaft, dass danach die ganze Klasse kein | |
Fleisch mehr essen wollte. Andere fingen später wieder an – ich nicht. | |
War dieses Erlebnis der Grund, warum Sie [2][Fleischwerbung in Haarlem] | |
verbieten? | |
Es gibt schon länger Organisationen, die sich dafür einsetzen, Werbung für | |
Flüge und fossile Brennstoffe zu verbieten. Das machen wir auch. | |
Gleichzeitig dachte ich mir: warum nicht zusätzlich Fleisch? Die Produktion | |
ist schließlich genauso klimaschädlich. Jedes Jahr verdient unsere Kommune | |
rund 600.000 Euro durch die Vermietung von Werbeflächen. Da wird alles | |
Mögliche beworben, darunter auch Fleisch. Das passte für mich nicht | |
zusammen: Wir bemühen uns als Stadt um Klimaschutz, verdienen aber an | |
klimaschädlichen Produkten. | |
Was genau ist künftig verboten? | |
Unsere Regel betrifft Werbung auf städtischen Flächen, also zum Beispiel an | |
Bushaltestellen oder Litfaßsäulen. Die Stadt arbeitet mit drei | |
verschiedenen Werbefirmen zusammen, die sich darum kümmern. Die Verträge | |
laufen nach und nach aus: einer im Jahr 2024, einer 2025 und einer 2030. Es | |
kann also durchaus sein, dass Sie nächstes Jahr noch irgendwo einen | |
Hamburger sehen. | |
Das heißt, Metzgereien, Supermärkte oder Restaurants dürfen in ihren | |
Schaufenstern nach wie vor für ihre Steaks werben? | |
Genau. Ich wünschte, es wäre anders, aber als Kommune haben wir nun mal | |
eine begrenzte Zuständigkeit. Trotzdem wollen wir nicht einfach alles | |
verbieten. Auf unseren städtischen Flächen dürfen zum Beispiel | |
Fleisch-Ersatzprodukte beworben werden. Plakate zum Beispiel von McDonald’s | |
sind also weiterhin möglich. Nur zeigen diese dann einen Vegi-Burger oder | |
eine andere Alternative. | |
Was kann ein solches Verbot in einer 160.000-Einwohner-Stadt global gesehen | |
reißen? | |
Haben Sie mal in die Zeitung geschaut? Diese Story ist weltweit gelaufen, | |
erst im britischen Guardian, später in unzähligen anderen internationalen | |
Medien. Ich hätte nie gedacht, dass das so große Wellen schlägt. Eines | |
Abends hat mich ein Radiosender aus Australien angerufen. Sogar ein | |
Fernsehteam aus Russland war bei mir zu Besuch. Natürlich kann ich nicht | |
abschätzen, welchen Effekt unser Verbot am Ende hat, aber es bringt die | |
Leute zum Nachdenken – ob man die Idee nun gut findet oder nicht. | |
Ein Großteil der Werbung läuft doch heute eh über das Internet. | |
Ja, aber unsere Einschränkungen sind ein klares Statement. Wir werden | |
sowieso schon ständig mit Werbung bombardiert. Wenn man dann auf der Straße | |
zusätzlich noch mit billigen Hähnchenschenkeln konfrontiert wird, kriegt | |
man natürlich irgendwann Appetit. | |
Wie sieht es mit Bio-Fleisch aus? Das stammt immerhin aus artgerechter | |
Haltung. | |
Kann Fleisch überhaupt artgerecht sein? Am Ende ist das Tier jedenfalls | |
tot. Aber die Frage ist natürlich trotzdem wichtig. Genau diese Dinge loten | |
wir derzeit aus und konkretisieren sie. Langfristig wäre es sinnvoll, | |
Werbung auf städtischen Flächen komplett abzuschaffen. Dann müssten wir | |
nicht mehr fünf Jahre diskutieren, welche Ausnahmen es gibt. Aber so etwas | |
geht nicht von heute auf morgen. | |
Viele Menschen halten Sie für radikal. Können Sie das verstehen? | |
Vor allem die Fleischindustrie fühlt sich durch unsere Initiative bedroht. | |
Es ist doch verrückt: Die kleinen Niederlande sind der größte | |
Fleischexporteur innerhalb Europas. Die Branche gibt Millionen für ihre | |
Werbekampagnen aus. Plötzlich aber ist ein Werbeverbot weltweit in den | |
Medien und bedroht damit ihren guten Ruf. Man fürchtet sich vor einem | |
negativen Image. Manche hatten sogar damit gedroht, vor Gericht zu ziehen, | |
weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht sahen. Das ist bis | |
jetzt aber nicht passiert, und es wäre auch absurd. | |
Sie hätten auch eine Aufklärungskampagne über die Folgen von zu viel | |
Fleischkonsum starten können. Warum haben Sie sich für ein Verbot | |
entschieden? | |
Wir machen im Grunde beides. Durch das Werbeverbot ist nicht nur Haarlem | |
bekannt geworden, sondern viele Menschen setzen sich mit den Klimaschäden | |
auseinander, die durch Massentierhaltung entstehen. Wir wollen auch in der | |
Rathaus-Kantine veganes Essen zum Standard machen. Fleisch zu essen wird | |
weiterhin möglich sein, aber man muss es als „special meal“ bestellen. Es | |
wird also die Ausnahme, nicht die Regel – ebenfalls ein Signal nach außen. | |
Seit über einem Jahr protestieren niederländische Bauern gegen schärfere | |
Umweltauflagen, teilweise mit sehr umfassenden Straßenblockaden. Spüren Sie | |
diese aufgeheizte Stimmung auch? | |
Es gibt Landwirte, die mir schreiben, wie falsch ich doch läge. Einer | |
leugnete den Klimawandel komplett, woraufhin ich ihm ein paar Berichte des | |
Weltklimarats geschickt habe – die er wiederum für Unfug hielt. So ging es | |
ein paar Mal hin und her; die Fronten sind wirklich verhärtet. Eine Zeit | |
lang habe ich jeden Tag damit gerechnet, einen abgetrennten Schweinekopf | |
vor der Haustür zu finden. Das ist zum Glück nicht passiert. | |
War der Widerstand gegen Ihre Pläne von Anfang an so groß? | |
Überhaupt nicht. Wir haben im Stadtrat diesen Beschluss schon im November | |
2021 gefasst. Die Mehrheit der Ratsmitglieder war dafür. Es gab nicht mal | |
eine große Diskussion. Wir schaden damit ja auch niemandem, sondern lassen | |
einfach nur alte Verträge auslaufen. Erst als internationale Medien das | |
Thema aufgegriffen haben, fingen bei uns die Diskussionen an. Aber wie | |
gesagt, diese Debatte ist an sich nichts Schlechtes. Gerade die positiven | |
Reaktionen der jüngeren Generation geben mir Hoffnung. Ich sehe das bei | |
meinen Kindern. Die trinken ganz selbstverständlich ihren Kaffee mit | |
Hafermilch. (lacht) Aber klar, das ist meine persönliche Blase. | |
In Deutschland wird den Grünen oft vorgeworfen, eine „Verbotspartei“ zu | |
sein. Geht Ihnen das in den Niederlanden auch so? | |
Verbotspartei – das Wort muss ich mir merken! Solche Vorwürfe gibt es | |
natürlich auch bei uns. Aber was sollen wir machen? Es ist nun mal | |
erwiesenermaßen besser, weniger Auto zu fahren und weniger Fleisch zu | |
essen. Gerade Liberale wollen sich nicht einschränken lassen. Dabei muss | |
man sich schon fragen, wie frei man wirklich ist in einer Gesellschaft, die | |
einen tagtäglich mit Werbung konfrontiert. Weltweit werden fast 800 | |
Milliarden Euro pro Jahr für Werbung ausgegeben – das würde niemand machen, | |
wenn es keinen Effekt hätte. | |
Welche weiteren Pläne haben Sie in Haarlem, was den Umwelt- und Klimaschutz | |
anbelangt? | |
Viele Bäume pflanzen, Parkraum einschränken und die Gebühren für | |
Anwohnerparkplätze erhöhen. Die Proteste dagegen fangen schon an. | |
14 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Steve Przybilla | |
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