| # taz.de -- Wirtschaftsweise über Mercosur-Abkommen: „China läuft uns den R… | |
| > Die neue Weltlage mahnt zur Eile beim EU-Abkommen mit den | |
| > lateinamerikanischen Mercosur-Staaten, meint die Ökonomin Veronika Grimm. | |
| Bild: Auch China hat Lateinamerika einiges zu bieten: Brasiliens Präsident Lul… | |
| taz: Frau Grimm, Sie fordern, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der | |
| EU und den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten so schnell wie möglich | |
| umzusetzen. Warum? | |
| Veronika Grimm: Angesichts der aktuellen geopolitischen Veränderungen | |
| sollten wir schnellstmöglich bestehende Abhängigkeiten abbauen. Bei den | |
| Energieabhängigkeiten von Russland ist das im Eiltempo gelungen. Beim | |
| Handel und insbesondere bei kritischen Rohstoffen existieren allerdings | |
| weiterhin [1][Abhängigkeiten von China], die angesichts der zunehmenden | |
| Spannungen zwischen den USA und China hochproblematisch sind. Lateinamerika | |
| ist ein Kontinent, der über viele [2][kritische Rohstoffe] verfügt und | |
| [3][ein attraktiver Partner für die EU] ist. Durch das Abkommen würden | |
| Unternehmen von selbst die Diversifizierung der Lieferketten vorantreiben. | |
| Und ohne das Abkommen überlassen wir China diesen Raum. | |
| Warum wäre das ein Problem? | |
| China entwickelt beim Klimaschutz Ambitionen. Man hat die Zeichen der Zeit | |
| erkannt, da die Klimakrise das Land selbst stark betrifft und man am Hebel | |
| sitzt: China verantwortet über 30 Prozent der globalen Emissionen. | |
| Gleichzeitig gibt es Proteste aufgrund von Umweltproblemen. China hat daher | |
| damit begonnen, umweltschädliche Produktionen auszulagern, unter anderem | |
| nach Afrika und Südamerika. Wenn wir das EU-Mercosur-Abkommen nicht | |
| abschließen, wird China diesen Trend verstärken. | |
| Aber sollte man die eigenen Umweltschutzziele einfach über Bord werfen, nur | |
| weil China im Nacken sitzt? | |
| Wir werfen keine Umweltschutzziele über Bord, sondern stärken | |
| Kooperationen. Diese werden es uns ermöglichen, gemeinsam mit dem Mercosur | |
| auch den Umweltschutz zu gestalten. Aber: Wir werden den Mercosur-Staaten | |
| nicht genau unsere Vorstellungen aufzwingen können. Denn sie haben eben | |
| auch andere Optionen. | |
| Das Abkommen würde zu deutlich mehr Agrarexporten führen, die | |
| Landwirtschaft und Viehzucht sind [4][die größten Treiber der Abholzung]. | |
| Umweltschutzverbände kritisieren, das Abkommen habe keine rechtlich | |
| verbindlichen Verpflichtungen zum Umweltschutz. | |
| Das EU-Mercosur-Abkommen enthält verbindliche Regeln zu Arbeits- und | |
| Umweltstandards sowie zum Klimaschutz. Wenn wir es nicht abschließen, | |
| werden die Mercosur-Länder ihre Kooperation mit China intensivieren und | |
| Abkommen mit weniger ambitionierten Nachhaltigkeitszielen abschließen. Wir | |
| haben mehr Spielraum, wenn wir das Abkommen abschließen, anstatt es anderen | |
| zu überlassen. | |
| Die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay fürchten | |
| auch, in die Rolle als reine Rohstoffexporteure zurückzufallen. | |
| Wir sollten eine Intensivierung der Beziehungen nutzen, um genau das zu | |
| verhindern. Viele südamerikanische Länder haben zum Beispiel günstige | |
| Voraussetzungen, um künftig als Exporteure von Wasserstoff und | |
| Energieträgern auf der Basis von Wasserstoff aufzutreten. Europa wird | |
| Wasserstoff importieren müssen und verfügt über die Technologiekompetenz. | |
| Beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Produktionsanlagen könnte es | |
| zu Technologietransfers kommen. Die Anlagen könnten größer dimensioniert | |
| werden als für den Export nötig und so die Energieversorgung auch in | |
| Südamerika schneller auf die Basis erneuerbarer Energien stellen. Es ist | |
| vieles möglich, wenn wir Wirtschafts- und Entwicklungspolitik insgesamt | |
| stärker zusammendenken. | |
| Auch europäische Bauernverbände kritisieren das Abkommen. | |
| Im Agrarbereich bestehen große Vorbehalte gegen das Abkommen, aber nicht | |
| nur aus Umweltschutzgründen. Die europäische Agrarlobby agiert aus | |
| protektionistischen Gründen: Man möchte die billige Konkurrenz aus | |
| Südamerika nicht ins Land lassen. Der europäische Protektionismus paart | |
| sich mit der haltlosen [5][Kritik von Umweltschutzaktivisten]. Diese | |
| meinen, wir tun der Umwelt einen Gefallen, wenn wir dieses Abkommen nicht | |
| abschließen. Das ist aber einfach nicht zutreffend. | |
| Wobei viele Umweltschützer*innen in Europa das Abkommen in der | |
| derzeitigen Form ablehnen und nicht grundsätzlich dagegen sind. Was spricht | |
| denn dagegen, erneut in die Verhandlungen einzusteigen? | |
| Die Zeit drängt. Derzeit ist der Bestand ausländischer Direktinvestitionen | |
| aus der EU in Lateinamerika zwar 3,5-mal so groß wie der Chinas. | |
| Chinesische Direktinvestitionen wachsen aber seit Beginn des Jahrhunderts | |
| deutlich schneller als die der EU. Chinesische Unternehmen haben etwa | |
| jüngst Milliarden in den Abbau von Lithium in Argentinien investiert. China | |
| läuft uns den Rang ab. Außerdem erhöhen sich die Spannungen zwischen den | |
| USA und China. Wir haben nicht viel Zeit, unsere Handelsbeziehungen neu | |
| aufzustellen. Und es ist alles andere als sicher, dass Nachverhandlungen | |
| Erfolg haben. Insbesondere in Brasilien steht man Nachverhandlungen und dem | |
| europäischen Einfordern von sanktionierbaren Zielen sehr skeptisch | |
| gegenüber. | |
| Sie sprechen von einer Zusatzerklärung für mehr Nachhaltigkeit, die auch | |
| Sanktionsmöglichkeiten bei Umweltvergehen beinhalten soll. Viele EU-Staaten | |
| sind dafür, Brasiliens Präsident Lula da Silva ist strikt dagegen. Wie | |
| sehen Sie das? | |
| Lulas Haltung ist nachvollziehbar. Das Abkommen ist ausverhandelt, und dort | |
| sind verschiedene Nachhaltigkeitsklauseln enthalten. Lula kann der eigenen | |
| Bevölkerung schwer verkaufen, diese nun zu verschärfen. Im eigenen Land | |
| dürfte es politischer Sprengstoff sein, wenn der Eindruck entsteht, man | |
| lässt sich von den Europäern Daumenschrauben anlegen. Es ist | |
| nachvollziehbar, dass man sich in Brasilien gegen solche Bemühungen | |
| verwehrt. | |
| Könnte man die Mercosur-Staaten nicht dabei unterstützen, die Abhängigkeit | |
| von der exportorientierten Landwirtschaft zu beenden, die oft | |
| Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat? | |
| Es steht gar nicht in unserer Macht, den Schwellenländern zu verwehren, | |
| ihre Wachstumspotenziale zu nutzen. Man muss auch sehen, dass sich | |
| demokratische, nicht extremistische Regierungen wohl nur an der Macht | |
| halten können, wenn es den Menschen wirtschaftlich gut geht. Das ist ein | |
| Spannungsfeld. Für Lula ist es wichtig, dass sich die Wirtschaft in seiner | |
| Regierungszeit gut entwickelt, das ist ein Fundament für eine Wiederwahl. | |
| Wenn Staaten ihre Wachstumspotenziale nicht nutzen, könnte die | |
| Unterstützung für die Regierung schnell schwinden. Und mit einer | |
| extremistischen Regierung lässt sich globaler Klimaschutz noch schwieriger | |
| umsetzen. | |
| Für lange Zeit lag das Abkommen auf Eis, weil der Klimawandelleugner Jair | |
| Bolsonaro regierte und die Abholzungsrate explodierte. Bei der nächsten | |
| Wahl könnte eine Gefolgsperson von Bolsonaro die Wahl gewinnen. Stehen wir | |
| dann nicht wieder vor dem gleichen Problem? | |
| Man hätte das Abkommen auch schon zu Bolsonaros Zeiten abschließen sollen. | |
| Man unterschätzt hierzulande immer noch die Dringlichkeit dieses Schritts. | |
| Das kann uns böse auf die Füße fallen. | |
| Das Abkommen wurde vor fast einem Vierteljahrhundert entworfen. Es sei | |
| nicht mehr zeitgemäß, sagen KritikerInnen. Insbesondere im Hinblick auf | |
| Umwelt- und Klimaschutz hat sich viel getan. | |
| Es ist absolut zeitgemäß, sich international zu vernetzen. Globale | |
| öffentliche Güter, die globale Kooperation erfordern, sind heute noch | |
| bedeutsamer als früher. Es ist problematisch, dass das Aushandeln von | |
| Handelsabkommen so lange dauert. Man kann froh sein, dass ein | |
| ausverhandeltes Abkommen besteht und wir nicht am Anfang von neuen | |
| Verhandlungen stehen. | |
| 29 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gipfel-zum-Schutz-des-Amazonas-Regenwalds/!5949432 | |
| [2] /Abkommen-zwischen-EU-und-Lateinamerika/!5945009 | |
| [3] /Neue-Lateinamerika-Agenda-der-EU/!5944739 | |
| [4] /EU-Mercosur-Handelsvertrag/!5934626 | |
| [5] /Stopp-des-Abkommens-gefordert/!5909264 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklas Franzen | |
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