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# taz.de -- Medienanstaltschef über Hass im Internet: „Hier findet Entgrenzu…
> Tobias Schmid, Chef der Landesmedienanstalt NRW, über Beleidigung und
> Desinformation im Internet – und wie man sich als Gesellschaft dagegen
> wappnet.
Bild: Alltäglich und beliebig: Hassbotschaften auf Social Media
taz: Herr Schmid, vor rund fünf Jahren haben Sie gemeinsam mit anderen die
Initiative [1][„Verfolgen statt nur Löschen“] gestartet. Was hat sich in
dieser Zeit getan?
Tobias Schmid: Wir müssen wohl wahrnehmen, dass [2][Netz und Hass kaum
trennbar miteinander verbunden sind]. Das kennzeichnet die Kommunikation im
Internet. Aber wir sehen, dass die Gesellschaft die Verantwortung dafür
immer mehr wahrnimmt. Die Anzahl derer, die solche Vergehen anzeigen oder
bei den Plattformen melden, steigt kontinuierlich. 2019 war das etwa ein
Viertel der Bevölkerung, jetzt ist es ein Drittel. Das zeigt, dass die
Gesellschaft lernt, dass eine offene, freie Kommunikation Grenzen hat und
sie dabei mitwirken möchte, diese Grenzen zu schützen.
Welche Resultate haben Sie mit Ihrer Initiative erreicht?
Nachdem wir 2018 starteten, haben wir inzwischen 1.500 Anzeigen an das LKA
NRW beziehungsweise das BKA weitergeleitet. Daraus sind 900
Ermittlungsverfahren entstanden und 400 Beschuldigte identifiziert worden.
Aktuell laufen 52 Anklagen, bisher kam es zu 38 Verurteilungen. Bei den
Anzeigen handelt es sich um Täterinnen und Täter, die meistens für mehrere
Fälle verantwortlich sind.
Mit welchen Fällen sind Sie hauptsächlich konfrontiert?
Es geht häufig um Themen wie Corona, Flüchtlinge oder Sexualität.
Erschütternd sind die Alltäglichkeit und Beliebigkeit, mit der Hass benutzt
wird. Hier findet eine Entgrenzung statt. Die Nutzung unseres größten
demokratischen Privilegs – der Meinungsfreiheit – setzt auch einen
verantwortungsvollen Umgang mit diesem Privileg voraus. Der offene,
aggressive Hass ist schnell zu erkennen, aber der feinziselierte Hass, der
bewegt sich oft an einer Grenze, wo er juristisch nur schwer zu belangen
ist.
Neben der Hassrede ist vor allem die [3][Desinformation] im Netz eine
weitere große Baustelle.
Der Bereich Hass und Beleidigung ist rechtlich gut definiert. Bei bewusster
Desinformation gibt es da noch Schwierigkeiten: Wo liegen mit Blick auf
Meinungsfreiheit die Grenzen? Das ist noch nicht zu Ende diskutiert. Es
gibt kein Verbot für Desinformation im medialen Bereich. Aber wir brauchen
dringend gesetzliche Grundlagen, um dagegen vorzugehen …
Wo liegt die Problematik?
Ein Beispiel: Die Partei x kündigt an, im Fall einer Wahl dafür zu sorgen,
dass es keine Verkehrsstaus mehr geben wird. Ist das eine bewusste
Desinformation? Ich würde sagen ja. Aber ist diese Aussage
demokratiegefährdend? Ich glaube nein. Und wo würde Demokratiegefährdung
beginnen? Forderungen nach Verboten sind schnell erhoben. Aber wie sollen
sie umgesetzt werden?
Was ist Ihre Empfehlung?
Es wäre sinnvoll, wenn wir uns zunächst um die Dinge kümmern, die objektiv
erfassbar sind. Das könnte man etwa bei technischen Manipulationen
machen. Beispiel: Die Aussage „Jeder Flüchtling bekommt in Deutschland
einen Führerschein geschenkt“ ist falsch, aber sie alleine gefährdet auch
nicht die Demokratie. Aber wenn durch einen technischen Trick der Eindruck
erweckt wird, 400.000 Menschen reagieren darauf und stimmen dieser Aussage
zu, dann entsteht der Eindruck: Da muss doch etwas dran sein. Die Gefahr
entsteht hier durch die scheinbare Resonanz. Das könnte man gesetzlich
regeln.
Durch [4][künstliche Intelligenz, etwa mit gefälschten Bildern und
Videos], ist eine ganz neue Dimension entstanden.
Ja, aber grundsätzlich müssen wir uns darüber verständigen, wogegen wir
eigentlich vorgehen sollen und müssen. Diese Frage ist nur schwer zu
beantworten, weil dort auch die Frage mitschwingt: Was muss eine Demokratie
im Sinne der Meinungsfreiheit ertragen? Das muss die Gesetzgebung
definieren – auch, gegen wen man vorgeht. Wenn man die digitalen
Plattformen hier mehr in die Pflicht nehmen würde, strafbare Inhalte zu
unterbinden, wären viele Fehlentwicklungen im Netz viel leichter
einzudämmen. Und man müsste dann auch nicht jahrelang recherchieren, wer
den entsprechenden Schwachsinn in die Welt gesetzt hat.
28 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.medienanstalt-nrw.de/themen/hass/verfolgen-statt-nur-loeschen-r…
[2] /Hass-im-Netz/!5870039
[3] /Twitter-und-Desinformation/!5934949
[4] /Zauber-und-Gefahr-von-Deepfakes/!5600572
## AUTOREN
Wilfried Urbe
## TAGS
Hass
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