| # taz.de -- Eine Frage der Medienkompetenz: Auch im Urlaub immer der Beruf | |
| > Der Lügenpresse-Vorwurf kann Journalisten nie kalt lassen. Die Forderung | |
| > nach Medienkompetenz gilt aber für alle. Also auch für Journalisten. | |
| Bild: Jounalismus ist schon was wert, manchmal muss in der Sache auch protestie… | |
| Dafür, dass Urlaub ist, habe ich in den vergangenen Wochen erstaunlich viel | |
| über Journalismus gesprochen – im Grunde sogar mehr als an normalen | |
| Redaktionstagen, die man ja ohnehin mit seinesgleichen verbringt oder doch | |
| zumindest mit Menschen, die irgendwie verstrickt sind in den Betrieb. | |
| Eigentlich hätte das im Sommer anders laufen sollen, mit fachfremdem | |
| Müßiggang und allerlei Unsinn: Bier habe ich gebraut, auf die Externsteine | |
| im Teutoburger Wald bin ich gestiegen und mit einem vorschriftswidrig | |
| beleuchteten Boot über einen nächtlichen See geschippert. | |
| Wie es nun aber so ist, stolpert doch fast jedes beiläufige Urlaubsgespräch | |
| bald in Richtung Lohnarbeit, zu der eigentlich alle Beteiligten auf Abstand | |
| gehen wollten: „Ach was, Journalist? Das ist ja interessant!“ Nein, ist es | |
| nicht. Oder jedenfalls nicht halb so spannend wie die Vorstellungen, die | |
| damit offenbar einhergehen. Und das nicht nur bei dem angeduselten Männchen | |
| mit Bart, Tattoos und Rammstein-Shirt, bei dem ich zum einzigen Mal kurz | |
| überlegt habe, mir einen anderen Job auszudenken, während wir da im | |
| Jugendherbergsbistro gemeinsam auf Bewirtung warteten. | |
| René, 36, ist von Haus aus Zimmermann und der Einzige, der [1][mir je das | |
| Wort Lügenpresse ins Gesicht gesagt hat]. Was er nicht benutzt hat, ist das | |
| Wort Verschwörung, aber dafür klangen alle anderen danach, weil „ihr“ tut, | |
| was „die“ sagen und der „Mainstream“ der „Mehrheit“ „Maulkörbe�… | |
| Das ist alles viel zu finster und traurig, um es im Detail wiederzugeben, | |
| aber erinnerungswürdig ist es doch: dass es so was wirklich gibt und wie | |
| chancenlos das Argument bleibt in solchen Situationen. | |
| Die anderen waren friedlicher: Eine Martina, die beruflich Reisen verkauft, | |
| war überrascht, dass ich noch nie mit dem Kanzler gesprochen habe und | |
| Wahlergebnisse auch nicht früher kenne als sie. Dass ihre Welt „echter“ | |
| sei, glaubt sie aber immer noch – wie vielleicht auch die Paderborner | |
| Buchhändlerin, die meinem Sohn zuhören musste, wie er sich freut, in ihren | |
| Regalen Bücher meiner Freunde und Kolleg:innen zu entdecken. | |
| ## Leben in der Halböffentlichkeit | |
| Und es ist ja auch wirklich ein sonderbares Leben in der | |
| Halböffentlichkeit, wenn man die Gewöhnung kurz ausblendet. Das betrifft | |
| den Arbeitsalltag, aber auch Privates, wenn einen Menschen aus Kultur und | |
| Politik zum Geburtstag einladen und die Frage nagt, warum sie das | |
| eigentlich tun: Hat man sich angefreundet über den dienstlichen Kontakt, | |
| oder wollen sie was? In den ersten Jahren hat mich das sehr umgetrieben, | |
| mittlerweile sehe ich’s eher als Erweiterung meiner Bubble ins öffentliche | |
| Leben. So ist es eben: Manche von uns sind mit Luisa Neubauer zusammen | |
| oder [2][heiraten Christian Lindner]. Die meisten aber nicht. | |
| Etwas mehr hüten werde ich mich nach dem Urlaub aber davor, genervt zu | |
| sein, weil wer meine Interviewfragen für meine Position hält oder | |
| schnippisch Quellen fordert, wenn ich beschreibe, was ich mit eigenen Augen | |
| gesehen habe. | |
| Es ist zu leicht, das als mangelnde Medienkompetenz abzutun, und selbst | |
| dann wäre der Job ja, sie durch Transparenz zu vermitteln, statt sie | |
| beleidigt einzufordern. Genau so, wie es im Tagesgeschäft auch nicht | |
| schadet, es einfach mal hinzunehmen, wenn jemand keinen Bock hat, mit der | |
| Presse zu reden. Ich wäre wohl auch bockig, wenn wer anriefe und bis 16.30 | |
| Uhr eine Stellungnahme zu irgendeinem halb verstandenen Bullshit von mir | |
| wollte. | |
| Irgendwo habe ich die Phrase vom Journalismus als „ideologieproduzierendem | |
| Gewerbe“ aufgeschnappt und sie in selbstkritischen Momenten auch selbst | |
| gebraucht. Sie trifft einen Punkt, legt aber auch gefährlich falsche | |
| Fährten. Denn pauschale Medienkritik ist dumpf, diskursfeindlich, meist | |
| autoritär und nur selten zielführend. Dass man sich auf dieser eher | |
| schlichten Erkenntnis nun aber nicht ausruhen kann, merkt man manchmal | |
| erst, wenn man wirklich zur Ruhe kommt. Im Urlaub eben. | |
| 31 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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