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# taz.de -- Zwei Jahre Machtübernahme in Afghanistan: Aus der Hölle für Frau…
> Die Taliban in Afghanistan errichteten vor zwei Jahren ein Land ohne
> Frauenrechte. Viele Afghaninnen mussten fliehen. Ein Besuch im deutschen
> Exil.
Bild: In Sack und Tüten: Frauen erhalten Hilfslieferungen in der afghanischen …
FRIEDBERG taz | Wenn Basira Akbarzada über die Taliban spricht, schüttelt
sie den Kopf: „Das sind schlechte Menschen“, sagt sie. Mit einem Kochlöffel
rührt sie in einem Topf. Gleich gibt es bei ihr zu Hause in Friedberg
Spaghetti mit Tomatensauce. „Afghanistan ist voller guter Menschen. Die
Taliban sind es nicht.“
[1][Vor zwei Jahren hat die islamistische Terrorgruppe der Taliban die
Macht übernommen.] Kurz zuvor hatten Deutschland und andere westliche
Staaten [2][ihre Truppen abgezogen]. Ein Schreckensereignis, das bis heute
vor allem Minderheiten sowie Frauen und Mädchen jegliche Freiheiten und
Rechte raubt. Frauen dürfen nicht studieren, in der Öffentlichkeit nicht
arbeiten und das Haus nur noch in männlicher Begleitung verlassen. Mädchen
ist es verboten, zur weiterführenden Schule zu gehen, und sie werden jung
zwangsverheiratet.
[3][Laut Welthungerhilfe gibt es 5,2 Millionen Afghan_innen, die derzeit
außerhalb des Landes auf der Flucht sind.] Basira Akbarzada ist eine von
ihnen. In Kabul arbeitete die 28-Jährige vier Jahre bei Medica Afghanistan,
einer Frauenrechtsorganisation, die sich für ein Ende von Gewalt gegen
Frauen einsetzte. Zuletzt war Abkarzada Programmdirektorin. Mit ihrem Mann
und ihrer Tochter floh sie über Islamabad im November 2021 nach Friedberg,
einer 30.000-Einwohner_innen-Stadt nördlich von Frankfurt. Bei der
Evakuierung aus Kabul half Akbarzadas Arbeitgeber ihnen und 90 weiteren
Frauen mitsamt Familien.
Akbarzadas Wohnung ist minimalistisch eingerichtet: dunkler Teppichboden,
der lose über dem Parkett liegt, keine Bilder an den Wänden, ab und an eine
Plastikpflanze. Die 28-Jährige trägt ein grünes Oberteil und hat ihre
dunklen Haare zum Dutt zusammengebunden. Azira, ihre Tochter, springt vom
schwarzen Ecksofa zum Boden und wieder zurück, sie hat halblange Haare und
trägt Spangen in den Haaren.
## Nicht alle Afghaninnen erhalten vollen Flüchtlingsstatus
Mit ihren Eltern und Geschwistern in Afghanistan telefoniere sie alle ein
bis zwei Tage verschlüsselt über Whatsapp. Akbarzada tritt weg vom
Kochtopf, als sie von ihrer Schwester erzählt, die seit der Machtübernahme
der Taliban zu Hause bleiben muss. Die Erklärung scheint viel zu ernst, als
dass sie nebenher noch weiterkochen möchte. „Ich sage meiner Schwester
immer: Sei nicht traurig. Es wird besser werden.“ Sie schüttet Salz ins
Nudelwasser. „Dabei bin ich selber traurig.“ Zu den besten
Medizinstudierenden Afghanistans gehörte ihre Schwester. [4][Doch dann kam
das Studierverbot durch die Taliban.]
Inga Weller weiß, dass auch andere Afghaninnen Familie zurückließen. Sie
ist Regionalreferentin für Afghanistan bei der Frauenrechtsorganisation
Medica Mondiale: „Die Deutsche Bundesregierung hat nur Zusagen für
Kernfamilien gemacht. Zum Teil musste die bedrohte Schwester und auch
erwachsene Kinder zurückgelassen werden“, erzählt sie am Telefon. „Viele
sorgen sich noch bis heute.“
[5][Die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) befand schon im Januar],
dass „Frauen und Mädchen allgemein von Verfolgung bedroht sind und daher
Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus haben“. Laut Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (Bamf) stünde dessen Entscheidungspraxis inzwischen
weitgehend mit dieser Handlungsanleitung im Einklang. Dabei gab es laut
Bamf-Statistik im Jahr 2023 unter Frauen und Mädchen bis Juli knapp 8.300
Entscheidungen zu Anträgen von Frauen und Mädchen aus Afghanistan: Zwar
wurden davon nur 13 Anträge abgelehnt, doch in 26,3 Prozent der Fälle wurde
lediglich ein Abschiebeverbot oder [6][subsidiärer Schutz] erteilt. Anders
als bei Akbarzada, die als Flüchtling anerkannt ist, haben diese Frauen
nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und kein Recht auf
Familiennachzug.
Medica Mondiale stellte die Arbeit in Afghanistan 2021 ein, arbeitet aber
laut eigenen Angaben mit verschiedenen Partnerorganisationen in
Afghanistan. Vor allem aber engagiert sich die Organisation heute für
Afghan_innen im Exil. So gibt es an der Frankfurt University of Applied
Science ein Weiterbildungsprojekt für geflüchtete Afghaninnen und ihre
Familien, die dort neben dem Studium der Sozialen Arbeit auch Deutsch
lernen. Akbarzada nimmt daran teil. Währenddessen wartet sie darauf, dass
ihr afghanischer Bachelorabschluss in Psychologie in Deutschland anerkannt
wird. „Ich will selbstständig sein. Ich glaube, es ist noch viel Arbeit bis
dahin, aber das ist, was ich mir als Jugendliche vorgestellt habe“, sagt
Akbarzada. Sie will arbeiten, nicht auf Bürgergeld angewiesen sein wie im
Moment.
## Bekannte Probleme in Deutschland: Wohnungs- und Kitanot
Bis es so weit ist, organisiert sie Workshops, die geflüchteten Afghaninnen
und ihren Familien beibringen sollen, mit Traumata umzugehen. Und sie
gründet derzeit mit etwa 30 anderen Frauen von Medica Afghanistan eine
Organisation für Afghaninnen im Exil. „Wir hatten bisher zwei oder drei
Meetings und suchen gerade nach einer Person, die weiß, wie man rechtmäßig
eine Organisation gründet“, sagt sie. „Wir wollen vor allem Geflüchtete
beraten, die neu nach Deutschland gekommen sind.“ Trotz der Anerkennung als
Geflüchtete hat auch Akbarzada Auflagen: Eigentlich würde sie gerne in
Frankfurt leben. Wegen ihres Flüchtlingsstatus muss die kleine Familie
allerdings bis November 2024 in Friedberg bleiben. „Wir haben anderthalb
Jahre nach einer Wohnung gesucht“, sagt Akbarzada.
Die Familie lebte vorher in einem Flüchtlingsheim, zu dritt in einem
Zimmer, die Küche mussten sie sich mit sechs anderen Familien teilen. „Im
Heim gibt es viele Probleme, weil es zu viele Menschen gibt“, sagt
Akbarzada. „Die Wohnung, in der wir jetzt leben, habe ich über Ebay
gefunden.“ Allerdings übersteigt die Miete das Maß, das vom Jobcenter
vorgegeben ist: 110 Euro muss die Familie dafür im Monat draufzahlen,
obwohl sie selbst nur Bürgergeld bekommt.
Neben den Problemen als Geflüchtete kommt für Akbarzada der Kitanotstand in
Deutschland hinzu: „Ich habe Azira im Kindergarten angemeldet, aber es gibt
zurzeit keinen Platz.“ Oft überlege sie, wie sie sich entscheiden solle:
„Will ich arbeiten und studieren oder eine gute Mutter sein? Ich kann mich
nicht entscheiden.“
Beim Kochen spricht sie auch übers Deutschlernen: „Ich lerne am liebsten
Deutsch auf Youtube und Instagram, gucke viele Comics, einmal am Tag‚ Peppa
Wutz‘“, sagt sie und lacht. Am liebsten benutzt sie den Konjunktiv II: „D…
ist so höflich.“ Ein Graus für die Taliban.
14 Aug 2023
## LINKS
[1] /Praesident-Ghani-hat-Afghanistan-verlassen/!5793771
[2] /Abzug-aus-Afghanistan/!5789435
[3] https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/flucht-und-migration/fluc…
[4] /Uni-Verbot-fuer-Frauen-in-Afghanistan/!5904352
[5] https://euaa.europa.eu/country-guidance-afghanistan-2023
[6] /EuGH-zu-Gruenden-fuer-subsidiaeren-Schutz/!5746320
## AUTOREN
Nicole Opitz
## TAGS
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