# taz.de -- EuGH zu Gründen für subsidiären Schutz: Leichenzählen soll nich… | |
> Der Generalanwalt am EuGH kritisiert die deutsche Rechtsprechung zum | |
> subsidiären Schutz. Anlass ist der Fall von zwei geflüchteten Afghanen. | |
Bild: Zerstörte Gebäude nach Anschlag in der Provinz Nangarhar im Osten Afgha… | |
FREIBURG taz | Flüchtlinge sollen auch dann Chancen auf Schutz in | |
Deutschland haben, wenn bei einem Bürgerkrieg in ihrer Heimat weniger als | |
0,125 Prozent der Bevölkerung pro Jahr getötet werden. Zu diesem Schluss | |
kam der unabhängige Generalanwalt Priit Pikamäe in einem Verfahren am | |
Europäischen Gerichtshof (EuGH). | |
Konkret geht es um zwei Afghanen aus der umkämpften Provinz Nangarhar im | |
Osten Afghanistans an der Grenze zu Pakistan. Dort kämpfen nicht nur | |
Regierungstruppen gegen Aufständische, sondern auch [1][Taliban] gegen den | |
IS und umgekehrt. Alle Seiten nehmen [2][keine oder wenig Rücksicht auf die | |
Zivilbevölkerung]. Die beiden Afghanen beantragten in Deutschland | |
subsidiären Schutz, der seit 2004 aufgrund von EU-Recht für | |
Bürgerkriegsflüchtlinge möglich ist. Voraussetzung ist, dass bei der | |
Rückkehr das Leben oder die körperliche Unversehrtheit wegen eines | |
bewaffneten Konflikts „ernsthaft“ bedroht ist. | |
Doch wie schlimm müssen die Verhältnisse im Heimatland sein, dass schon die | |
bloße Anwesenheit zur Lebensgefahr wird? Das Bundesverwaltungsgericht | |
(BVerwG) in Leipzig macht bisher die Vorgabe, dass zunächst die Zahl der | |
Bürgerkriegstoten in einer Region mit deren Einwohnerzahl zu vergleichen | |
ist. Wenn weniger als 0,125 Prozent der Bevölkerung – das ist eine von 800 | |
Personen – jährlich getötet werden, dann müssen andere Kriterien gar nicht | |
mehr geprüft werden. | |
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim zweifelte jedoch, ob diese | |
Vorgabe mit EU-Recht vereinbar ist und legte den Fall dem EuGH vor. Dort | |
hat jetzt der estnische Generalanwalt Pikamäe seine Schlussanträge | |
vorgelegt. | |
Pikamäe hält die quantitative Prüfung des BVerwG für eine falsche Anwendung | |
des EU-Rechts. So seien schon die zugrunde gelegten Zahlen unzuverlässig. | |
Oft wisse niemand die genaue Zahl der Todesopfer. Aber auch die | |
Bevölkerungszahl könne sich durch Fluchtbewegungen und Vertreibungen | |
schnell ändern. Außerdem könnten aktuelle Eskalationen zu Gefahren führen, | |
die sich noch gar nicht in statistisch erfassten Opferzahlen widerspiegeln. | |
Der Generalanwalt empfahl daher die Gefahr für RückkehrerInnen durch eine | |
„Gesamtwürdigung“ aller relevanten Tatsachen festzustellen. Dabei könne d… | |
Zahl der Todesopfer eine Rolle spielen, aber zudem auch die Art der | |
Kampfhandlungen, die Dauer des Konflikts und die Zahl der Verwundeten. Der | |
EuGH wird in einigen Wochen entscheiden. | |
11 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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