| # taz.de -- Eröffnung der Ruhrtriennale: Ernsthaft wie Hamlet | |
| > Wollte die Ruhrtriennale nicht weg von traditionellen Theaterformaten? | |
| > Dies Jahr eröffnete das Festival dagegen klassisch mit dem | |
| > „Sommernachtstraum“. | |
| Bild: Eher Autofriedhof als Zauberwelt: Bühne des „Sommernachttraums“. Rec… | |
| Die Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord ist ein Raum von | |
| gewaltigen Ausmaßen, ein riesiger Schlauch, scheinbar endlos lang. Bevor es | |
| losgeht mit Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, fragt man sich, wo sich | |
| denn diesmal wohl die Spielfläche befinden wird, denn man blickt nur in die | |
| dunkle, unergründliche Tiefe des Raums. Dann öffnet sich ein Vorhang, und | |
| siehe da, der Raum ist noch viel länger. | |
| Endlich darf das Publikum die Tribünen erklettern, viel Politik- und | |
| Kulturprominenz aus Nordrhein-Westfalen ist dabei, schließlich ist die | |
| Ruhrtriennale das erklärte Leuchtturmfestival des größten Bundeslands der | |
| Republik. Und mit Shakespeares Komödie steht diesmal keine experimentelle, | |
| spartenübergreifende „Kreation“ auf dem Spielplan – ein Format, das | |
| seinerzeit Gründungsintendant Gerard Mortier erfand –, keine Uraufführung, | |
| kein sonstiges Wagnis, sondern ein Theaterstück, das jeder zu kennen | |
| glaubt. | |
| Tatsächlich zählt [1][der „Sommernachtstraum“] heute zu den eher seltener | |
| gespielten Werken Shakespeares, beliebter sind derzeit seine blutigen | |
| Dramen. Der märchenhaften Komödie scheint man heute nicht viel zuzutrauen. | |
| [2][Barbara Frey] jedoch hält sie für „das Stück der Stunde“ und das | |
| Mäandernde der Form und die logischen Zumutungen der Handlung zwischen | |
| Traum und Wirklichkeit für eine ideale Theatersituation, um grundlegende | |
| Fragen nach der Freiheit des menschlichen Willens zu stellen. | |
| Mit einer satten Viertelstunde Verspätung geht es dann endlich los, Martin | |
| Zehetgruber hat auf die ebenerdige Drehbühne einen Container gebaut, der an | |
| der Vorderseite verglast ist wie ein Bungalow. Durch die Dunkelheit zielt | |
| ein Spot auf eine schlafende Frau, aus dem Off tönen gläsern-leise | |
| Xylophontöne, dann geht kurz das Licht im Container an, eine Handvoll | |
| stummer, grau gekleideter Gestalten starren auf die Schlafende, die sich | |
| bald als in einen pinken Ballonrock gewandete Hermia (Meike Droste) | |
| herausstellt. | |
| ## Bodenlange Mozartzöpfe | |
| Neben Puck (Dorothee Hartinger) und Zettel (Oliver Nägele) ist Hermia in | |
| Freys Konzept die einzige Bühnenfigur, die ihrer Rolle treu bleibt, das | |
| restliche Personal spielt mehrere Rollen und wechselt munter die | |
| Geschlechtsidentitäten. | |
| Hinter dem Container bringt die Drehbühne statt Zauberwald eine Art | |
| Autofriedhof mit in die Erde eingesunkenen Wracks hervor, vier schüttere | |
| Bäumchen sorgen nur für karge Idylle. Esther Geremus steckt die Figuren | |
| teils in graue, zeitlos heutige Anzüge, manche in Monturen, die an | |
| Mao-Uniformen erinnern, die Elfen tragen Faltenröckchen und bodenlange | |
| Mozartzöpfchen und Titania (Markus Scheumann) ein fantastisches, hautenges | |
| Gewand in giftigem Gelb und einen turmhohen Haarhelm. | |
| In gemächlichem Tempo erzählt Frey nun die Geschichte, stets untermalt von | |
| live auf diversen Tasten- und Perkussionsinstrumenten gespielter Musik, die | |
| mal spieluhrzart, mal mit unerbittlichen Akkorden wie ein Uhrwerk die Zeit | |
| zählend, mal romantisch wie ein Chopin-Nocturne tönt. | |
| Zur Erinnerung: Verhandelt werden auf der Bühne nicht weniger als vier | |
| Handlungsstränge, es geht um eine Herrscherhochzeit, die vorbereitet wird, | |
| sechs Handwerker proben zur Feier ein Theaterstück, dann gibt es das | |
| miteinander zankende Elfenpaar Oberon und Titania, den Hofnarren Puck und | |
| zwei aristokratische Liebespaare, die zueinanderkommen wollen, zudem noch | |
| Feen und Elfen. | |
| Barbara Frey hat Shakespeares Text beherzt gekürzt, sodass ihr Zeit bleibt, | |
| das Tempo rauszunehmen aus der Komödie, gespielt wird durchweg bedächtig, | |
| fast wie in Zeitlupe, aus dem Witz wird Nachdenklichkeit und zarte Ironie. | |
| Frey zeichnet eine gebremste, beinahe apathische Gesellschaft, alle Figuren | |
| haben etwas sanft Lächerliches, Unbeholfenes, und endlich ist das Stück im | |
| Stück – die berühmte Handwerkerszene – einmal kein lauter Klamauk, sondern | |
| eine ernsthafte Reflexion über das Theater selbst. | |
| Und ganz beiläufig von frappierender Aktualität, denn wenn die | |
| Laiendarsteller bei Shakespeare darüber sinnieren, ob dem Publikum ein Löwe | |
| zuzumuten sei und man nicht doch besser vorher ansagen solle, dass nun | |
| gleich ein Löwe auftrete, dieser aber in Wahrheit ein Schauspieler sei, | |
| dann erledigt Shakespeare vor 400 Jahren die heutige Diskussion über | |
| Triggerwarnungen lässig mit links. | |
| ## Der Höhepunkt des Abends | |
| Oliver Nägele spielt und spricht diese Szene als Zettel mit der | |
| Ernsthaftigkeit eines Hamlet und sorgt so für den Höhepunkt des Abends. | |
| Nicht zuletzt auch deshalb, weil man ihn mit weitem Abstand am besten | |
| verstehen kann. In der riesigen Halle sind alle Stimmen verstärkt, klingen | |
| aber über weite Strecken schlecht ausgepegelt und – zumindest schon in | |
| Reihe 10 von 17 – undeutlich, verwaschen und sind schwer zu verstehen. | |
| So sieht man viele Köpfe zu den Seiten gedreht, wo englische Übertitel | |
| eingeblendet werden. Ein Problem, das den Abend beeinträchtigt und Distanz | |
| schafft. Und eine grundsätzliche Frage aufwirft: War die Ruhrtriennale | |
| nicht mal ein Festival, das wegwollte von traditionellen Formaten? | |
| „Der Sommernachtstraum“ ist eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater, | |
| wo er bereits im September in den Spielplan aufgenommen wird. Also hoch | |
| artifizielles Sprechtheater, konzipiert für eine traditionelle | |
| Theaterbühne. | |
| 12 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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