# taz.de -- Sommerbilanz des Bundeskanzlers: Der Scholz'sche Imperativ | |
> Bei der Sommer-Pressekonferenz erläutert der Kanzler, wie Klimapolitik | |
> geht, wie er die AfD klein kriegen will und wann er zuletzt im Freibad | |
> war. | |
Bild: Selbstkritik? Nö. Kanzler Scholz in der Bundespressekonferenz am 14. Juli | |
BERLIN taz | Irgendwo klingelt anhaltend ein Handy, mitten in der | |
Pressekonferenz des Bundeskanzlers. Genervte Blicke, hektische | |
Kopfbewegungen. „Wer seinen Klingelton auf Jingle Bells eingestellt hat, | |
der ist es“, befindet Olaf Scholz grinsend. Und tatsächlich wird ein | |
Journalist in der ersten Reihe identifiziert und das Störgeräusch | |
eliminiert. So launig, so locker sind Auftritte des Bundeskanzlers selten. | |
Es mag am Zeitpunkt liegen. Die Bundespressekonferenz, der Verein der | |
Hauptstadtjournalist:innen, lädt die Kanzlerin oder den Kanzler | |
traditionell zu einem letzten Auftritt vor der Urlaubszeit ein. | |
Dass Scholz so gut drauf ist, liegt aber nicht nur am nahen Urlaub. Sondern | |
auch daran, dass er im Großen und Ganzen zufrieden mit sich und der Bilanz | |
seiner Regierung ist. Es sei schon ein Erfolg, dass vor einem Jahr noch | |
alle glaubten, man werde nicht mehr heizen können und eine große | |
Wirtschaftskrise stehe bevor. In der Tat, als [1][Scholz vor knapp einem | |
Jahr zum ersten Mal als Kanzler] zur Sommer-PK in die Bundespressekonferenz | |
kam, drehte Russland gerade den Gashahn zu und Scholz musste Fragen nach | |
drohenden sozialen Unruhen beantworten. | |
Das war dieses Mal kein Thema. „An uns ist eine ganz große Krise | |
vorbeigegangen, niemand hat geglaubt, dass wir das bewältigen, und wir | |
haben es geschafft“, so Scholz zufrieden. Er ist zuversichtlich, dass er | |
noch eine lange Regierungszeit vor sich habe. „Ich stehe erst ganz am | |
Anfang meiner Zeit als Bundeskanzler.“ | |
Die [2][Umfragen sprechen zwar nicht dafür], aber sei's drum. Der Kanzler | |
zählt auf, was aus seiner Sicht für eine lange Fortsetzung seiner | |
Kanzlerschaft spricht: Krise gemeistert, Ukraine unterstützt, | |
Transformation angegangen, Zusammenhalt gefördert und Haushalt in die | |
richtige Umlaufbahn katapultiert. | |
## Dauerhaft zwei Prozent für Verteidigung | |
Richtig ist: Deutschland ist mittlerweile hinter den USA der zweitgrößte | |
Unterstützer der Ukraine, man werde ihr bis zum Jahr 2027 allein mit | |
Waffenlieferungen im Umfang von 17 Milliarden Euro beigestanden haben, so | |
Scholz. Und die Bevölkerung trage das mehrheitlich mit. „Das, was ich | |
gemacht habe, ist mittlerweile Mainstream“, lobt sich Scholz, nämlich | |
vorsichtig und abgewogen und immer in Abstimmung mit den Verbündeten | |
vorzugehen. In der Tat ist die Kritik an einem „zu zögernden“ Vorgehen des | |
Kanzlers fast verstummt. | |
Scholz betont erneut, dass die Verteidigungsausgaben wachsen und man ab | |
nächstem Jahr, und dann dauerhaft, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukt | |
für Militärisches ausgeben werde. Damit würde Deutschland die | |
[3][entsprechende Selbstverpflichtung der Nato] finanziell erreichen. | |
Gleichzeitig verbuchte es der Kanzler als Erfolg seiner Regierung, dass man | |
zu Schuldenbremse und Haushaltsdisziplin zurückkehre. „Wir sind beim | |
Haushalt wieder in der richtigen Umlaufbahn.“ | |
Woher die zweistelligen Milliardenbeiträge kommen sollen, die nach | |
Verbrauch des Sondervermögens zusätzlich nötig sein werden, um den | |
Verteidigungshaushalt gemäß des Zwei-Prozent-Ziels zu erhöhen, ließ er | |
allerdings offen. Genauso schmallippig die Frage, welche großen Ideen für | |
mehr Umverteilung der sozialdemokratische Kanzler eigentlich hat. Und wenn | |
SPD-Chef Lars Klingbeil heimlich gehofft hatte, dass Scholz sich hinter | |
[4][seinen Vorschlag einer Reform des Ehegattensplittings] stellen würde, | |
wäre er enttäuscht worden. Scholz verwies nur auf den Koalitionsvertrag. | |
Und laut diesem sind Steuererhöhungen ausgeschlossen. | |
## Scholz: Zukunftsängste helfen der AfD | |
Weiter unklar bleibt aber auch, wie Unternehmen mit hohem Energieverbrauch | |
dazu ermuntert werden, angesichts des derzeit teuren Stroms weiter in | |
Deutschland zu investieren. Auf die [5][Frage nach einem subventionierten | |
Industriestrompreis], wie er von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften, | |
[6][aber auch vom Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck] gefordert wird, | |
reagiert Scholz zurückhaltend. Die europäische Regulierung lasse da nicht | |
viel zu. „Aber gucken darf man ja mal“, so Scholz. Helfen könnten der | |
Industrie langfristige Abnahmeverträge mit den Herstellern erneuerbarer | |
Energien. Außerdem müssten die Übertragungsnetze zügig ausgebaut werden. | |
Hier sieht Scholz Deutschland auf einem guten Weg. Man habe bereits alle | |
Gesetze auf den Weg gebracht, damit Deutschland es schaffe, bis 2030 seinen | |
Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Außerdem habe | |
man den sozialen Zusammenhalt gefördert – Scholz referiert die Einführung | |
des Mindestlohns, Steuerentlastungen und sagt noch einmal zu, [7][dass die | |
Kindergrundsicherung komme.] | |
[8][Doch gerade der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt]. Die AfD, vor | |
einem Jahr noch viertstärkste Kraft, hat mittlerweile SPD und Grüne | |
überholt und liegt in Umfragen bei 20 Prozent und nur noch hinter der CDU. | |
Als Grund dafür nennt der Kanzler, dass man sich gerade in der größten | |
Modernisierungsperiode seit Jahrzehnten befinde und sich viele Bürgerinnen | |
und Bürger „nicht ganz sicher sind, was die eigene Zukunft angeht.“ Dagegen | |
helfe gute Politik, Respekt und Gelassenheit. Er sei zuversichtlich, dass | |
die AfD bei der nächsten Bundestagswahl genauso abschneide wie bei der | |
letzten. Damals erhielten die Rechtsextremen 10,3 Prozent. | |
## Philosophie und Freibäder | |
Doch Selbstkritik? Fehl am Platz. Das heiß diskutierte und immer noch nicht | |
verabschiedete Heizungsgesetz, nach dem in den kommenden Jahren neue | |
Heizungen zu 65 Prozent klimaneutral sein sollen, lobt Scholz. Es sei eine | |
gute Lösung, wichtig sei vor allem gewesen, die Vorgaben zum | |
Heizungsaustausch mit einer verbindlichen Wärmeplanung in den Kommunen zu | |
verbinden. | |
Bei der Nachfrage, ob denn die Klimaziele mit einem verwässerten | |
Heizungsgesetz noch einzuhalten seien, wird Scholz regelrecht philosophisch | |
und formuliert in Anlehnung an den kategorischen Imperativ von Immanuel | |
Kant einen Scholz'schen Imperativ: „Wer Klimapolitik machen will, muss sich | |
zutrauen, dass jede einzelne gesetzliche Regelung in einer Volksabstimmung | |
eine Mehrheit fände.“ Er werbe dafür, dass man auch mal Fünfe gerade sein | |
lasse und trotzdem konsequent die Klimaziele verfolge. Eine Entscheidung | |
auf Instanzen zu verlagern, die sie dann durchdrückten, halte er nicht für | |
richtig. | |
Zur Zerstrittenheit der Ampel lässt sich Scholz immerhin zu der Aussage | |
hinreißen, dass ihm das auch nicht gefalle. Und ganz nebenbei bestätigt er, | |
dass er im Streit um die Kindergrundsicherung ein zweites Mal von seiner | |
Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat. Anfang Juli schrieb er an | |
[9][Familienministerin Lisa Paus, Grüne, einen Brief], sie möge bis Ende | |
August einen geeinten Referentenentwurf vorlegen. Er gehe davon aus, dass | |
das, was er freundlich aufgeschrieben habe, auch so komme, meint Scholz und | |
lächelt schon wieder. Scholz hat Anfang Juli also mal wieder auf den Tisch | |
gehauen, aber so sanft, dass es niemandem auffiel. | |
Seine Law-and-Order-Qualitäten stellt er auch unter Beweis, als er ein | |
entschlossenes Vorgehen [10][gegen gewalttätige Ausschreitungen in | |
Freibädern] fordert und auch eine Präsenz der Polizei in den Bädern für | |
gerechtfertigt hält. Er selbst sei allerdings zuletzt vor über 40 Jahren im | |
Freibad geschwommen. | |
Der Kanzler wirkt etwas abgespannt, urlaubsreif. Auf die Frage eines | |
schwedischen Journalisten sagt er, er unterstütze den Nato-Beitritt der | |
Ukraine, äh Schwedens. Gerade noch mal am Weltkrieg vorbei geschrammt. So | |
wünscht Scholz allen nur einen schönen Urlaub. Er selbst wird wohl, so | |
heißt es, ins befreundete europäische Ausland reisen. | |
14 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Pressekonferenz-von-Olaf-Scholz/!5870703 | |
[2] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3372.html | |
[3] /Nato-Gipfel-in-Litauen/!5946944 | |
[4] /Debatte-um-Ehegattensplitting/!5947048 | |
[5] /Energiesubventionen-fuer-Unternehmen/!5945481 | |
[6] /Vorstoss-von-Robert-Habeck/!5932539 | |
[7] /Grundsicherung-fuer-Kinder-kommt-per-Post/!5941951 | |
[8] /Ilko-Sascha-Kowalczuk-ueber-den-Osten/!5941741 | |
[9] /Grundsicherung-fuer-Kinder-kommt-per-Post/!5941951 | |
[10] /Sommerbad-Neukoelln-geschlossen/!5943502 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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