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# taz.de -- Deutsches Ausscheiden bei der WM: Brüchiges Fundament
> Um den deutschen Frauenfußball steht es schlecht. Doch Kritik wird nur
> samtpfötig vorgetragen. Das erschwert das Vorantreiben notwendiger
> Reformen.
Bild: Fassungslos: Svenja Huth und Lena Lattwein nach dem 1:1 gegen Südkorea
Für die Dokumentation der eigenen Hybris hat der deutsche Fußball-Bund
selbst gesorgt. Nach dem WM-Auftaktsieg gegen Marokko (6:0) war [1][etwa
auf der Verbandsseite des DFB] zu lesen, die deutschen Fußballerinnen
hätten „einen ersten Grundstein für die Mission dritter WM-Titel“ gelegt.
Zwei Spiele später sind von den eigenen Ansprüchen nur Trümmer übrig. Die
Niederlage gegen Kolumbien und [2][das Remis gegen Südkorea führten zum
Vorrundenaus.] Das hat es in der deutschen WM-Geschichte der Frauen noch
nicht gegeben.
Gerade bei diesem Turnier, vor dem von deutscher Seite die Sorge
vorgetragen wurde, diese um acht Teams erweiterte WM in Australien und
Neuseeland könne in der Vorrunde unter [3][mangelnder Qualitätsdichte]
leiden.
Zur Einordnung dieses überbordenden Überlegenheitsgefühls muss an den
letzten Julitag des vergangenen Jahres erinnert werden. Bundeskanzler Olaf
Scholz, Innenministerin Nancy Faeser und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas
verfolgten damals die knappe EM-Finalniederlage der Deutschen gegen England
auf der Ehrentribüne im ausverkauften Wembley-Stadion. Die Begeisterung für
das Turnier und dessen emanzipative Energie war auch nach Deutschland
übergeschwappt. Die politische Führungsriege wollte Flagge zeigen.
Der Bundeskanzler bot, [4][wie Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg
später berichtete], seine Hilfe an, um „jetzt auch Nachhaltigkeit aus dem
Turnier mitzunehmen“. Und sie selbst sprach nach der Partie kaum über die
Auseinandersetzung auf dem Rasen. Wichtiger war ihr, über den Umgang
miteinander in der Gesellschaft zu sprechen, die Anerkennung „der Frauen
als starke Personen“ und über das Statement, das ihr Team dazu gesetzt
hatte.
## Gesellschaftspolitischer Auftrag
Die Botschaft war klar. Das Team hat nicht nur einen sportlichen, sondern
auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag. Es war ein starker Auftritt.
Auf der Welle des Erfolgs, die sich nach Jahren der Ebbe bei den deutschen
Fußballerinnen vergangenes Jahr unvermutet auftat, bestärkt sich beides
gegenseitig. Im Falle des Misserfolgs wird es komplizierter. Denn Kritik an
den Auftritten auf dem Rasen wird schnell auch als Bedrohung für den Kampf
gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter wahrgenommen.
Auffällig ist, dass selbst nach dem größten Misserfolg des deutschen
Frauenfußballs die Verantwortlichen im Verband, aber auch ein Großteil der
Journalistinnen und Journalisten sich [5][wie in einem Naturschutzgebiet
bewegen]. Möglichst leise sein, niemanden aufschrecken und möglichst alles
unberührt lassen.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf hatte nach dem blamablen Vorrundenaus der
Männer in Katar Trainer Hansi Flick vor den Mikrofonen zum Rapport gebeten.
Er verlangte von ihm eine WM-Analyse und Perspektiven, wie es besser werden
solle. Martina Voss-Tecklenburg dagegen behandelte er samtpfötig, sprach
ihr sofort sein Vertrauen aus. Im ZDF war zu hören, wie gut das Team
gekämpft habe und die Kritik nun nicht hämisch werden dürfe. Natürlich
nicht! Aber wozu diese ungewöhnliche Warnung? Es drängt sich der Eindruck
auf, dass der Frauenfußball immer noch nicht für voll genommen wird.
Behindert diese große Vorsicht nicht gerade die bestmögliche Entwicklung?
Bei den Männern hatte der DFB versprochen, für eine bessere Zukunft jeden
Stein umdrehen zu wollen. Mit der gleichen Umtriebigkeit sollte jetzt die
Analyse bei den Frauen vorgenommen werden. Schaut man auf die Ära
Voss-Tecklenburg, fällt auf, dass der glänzende EM-Auftritt im vergangenen
Jahr ein Ausreißer war. Just als aufgrund der vorherigen schlechten
Leistungen niemand etwas vom DFB-Team erwartete, spielte es am
erfolgreichsten. Mit Erwartungen und unerwarteten Rückschlägen tut sich die
deutsche Elf schon lange schwer.
## Berechenbare Popp-Kultur
Ideen gegen stur verteidigende Teams haben Seltenheitswert. Die Popp-Kultur
des deutschen Spiels, hohe Bälle auf die Stürmerin Alexandra Popp, ist den
Gegnerinnen längst vertraut. Taktische und personelle Überraschungen können
bei den Deutschen nahezu ausgeschlossen werden. Die Frage ist, ob Martina
Voss-Tecklenburg noch die richtige Trainerin für dieses Team ist.
Im Frauenfußball werden die Nationalteams traditionell in besondere
Verantwortung genommen, um die Entwicklung in der heimischen Liga und an
der Basis in Bewegung zu bringen. Aber im deutschen Nationalteam bewegt
sich seit Jahren wenig.
Umgekehrt betrachtet ist das Fundament unterhalb der Spitze höchst brüchig.
Zwischen 2010 und 2021 hat sich die Zahl der Mädchenteams in Deutschland
nahezu halbiert. Nach der erfolgreichen EM 2022 wurde erstmals wieder ein
kleiner Zuwachs vermeldet. Der DFB sollte auf diesem Gebiet unabhängig vom
Erfolg des Nationalteams für eine breitere Basis sorgen. Vielleicht müssen
dann künftige Bundestrainerinnen nicht mehr so wie Voss-Tecklenburg unter
einem Mangel an Alternativen auf den Defensivpositionen leiden. Im Jahr
2021 veröffentlichte der DFB ein Papier „Strategie Frauen im Fußball FF
27“. 25 Prozent mehr aktive Spielerinnen, Trainerinnen und
Schiedsrichterinnen setzte man sich zum Ziel.
Stimmt, wer derzeit über eine mögliche Alternative zur Bundestrainerin
Voss-Tecklenburg nachdenkt, dem fallen kaum Frauennamen ein. Die
Trainerpositionen in der Liga sind fast ausschließlich von Männern besetzt.
## Besuch in der Rudi-Völler-Sportanlage
Das sind schöne Bekenntnisse vom DFB. Doch welche finanziellen
Anstrengungen er dafür unternimmt, was dem hoch verschuldeten Verband der
Frauenfußball genau wert ist, erfährt man nicht. Unter den gegebenen
Bedingungen kann das nur über Umverteilung von den Männern zu den Frauen
funktionieren. Was sich da bewegt oder eben nicht bewegt, möchte der DFB
scheinbar lieber nicht öffentlich besprechen.
Das nächste Leuchtturmprojekt soll die gemeinsame Bewerbung mit Belgien und
den Niederlanden für die WM 2027 sein. In Australien und Neuseeland bringen
sich die Kandidaten dafür gerade in Stellung. Der südafrikanische
Fußballpräsident Danny Jordan ist deshalb schon seit dem WM-Eröffnungsspiel
vor Ort. Mit dem Vorsitzenden des Bewerbungskomitees will er den
Fifa-Funktionären erklären, warum es wichtig ist, dass Südafrika den
Zuschlag erhält.
Präsenz in Australien zeigen wollte eigentlich auch sein deutscher Kollege
Bernd Neuendorf, allerdings erst ab dem Achtelfinale. Er hatte fest mit
einem Spiel unter deutscher Beteiligung gerechnet. Nun hat er seinen Flug
gecancelt. Am Freitag hatte Neuendorf noch einen Termin mit Sportdirektor
Rudi Völler auf der Rudi-Völler-Sportanlage in dessen Heimatstadt Hanau.
Anlass war der Start einer Vereinsaktion zur Euro 2024 der Männer. Es kann
gut sein, dass am Rande auch ein wenig über Frauenfußball gesprochen wurde.
Wohlwollend sicherlich.
4 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.dfb.de/news/detail/dfb-frauen-feiern-traumstart-in-die-wm-25353…
[2] /WM-Aus-fuer-Deutschland/!5952014
[3] /Mehr-Teilnehmerinnen-bei-der-WM/!5952013
[4] /Bilanz-der-Frauenfussball-EM/!5867896
[5] /Faeser-und-der-Frauenfussball/!5947789
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Martina Voss-Tecklenburg
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