# taz.de -- Jahrestag des Völkermords von Srebrenica: Schöne Worte reichen ni… | |
> 28 Jahre nach dem Genozid in Srebrenica schüren serbische Nationalisten | |
> alte Konflikte. Der Westen muss aufhören, die Brandstifter zu hofieren. | |
Bild: Samed Alic (Mitte) trauert um seinen Vater, der in Srebrenica ermordet wu… | |
Am 11. Juli jährt sich der Genozid an 8.372 Bosniaken in Srebrenica zum 28. | |
Mal. Obwohl es dank des ehemaligen Hohen Repräsentanten für Bosnien und | |
Herzegowina, Valentin Inzko, ein Gesetz gibt, das die Leugnung des | |
Völkermords unter Strafe stellt, wird dieser vom bosnischen Serbenführer | |
Milorad Dodik gebetsmühlenartig bestritten. Die fehlende Durchsetzung der | |
Strafvorschriften des bosnischen Strafgesetzbuchs gegenüber denjenigen, die | |
laut und deshalb auch vorsätzlich diese Vorschriften verletzen, legt | |
deutlich die Defizite des Rechtsstaats offen. | |
Srebrenica steht exemplarisch für die von Serben begangenen | |
Kriegsverbrechen. Warum [1][verbeißt sich Dodik seit Jahren in Srebrenica | |
und leugnet diesen ersten Völkermord] in Europa nach 1945? Eben weil der | |
Genozid ein Menschheitsverbrechen ist. Hätte es Srebrenica nicht gegeben, | |
wären die weiteren serbischen Gräueltaten wohl vergessen. | |
Wer erinnert an die Belagerung Sarajevos – die längste Belagerung einer | |
Hauptstadt in der Geschichte, bei der über 11.000 Bosniaken, Serben, | |
Kroaten, Roma, Juden und Angehörige anderer Gruppen durch serbisches | |
Artillerie- und Scharfschützenfeuer starben? Wer erinnert an die | |
Zehntausenden zumeist bosniakischen Mädchen und Frauen, die in serbischen | |
Vergewaltigungslagern in Foča, Višegrad und anderswo monatelang gefoltert | |
wurden? Wer erinnert an die ausgemergelten Insassen der serbischen | |
Konzentrationslager Trnopolje, Keraterm und Omarska, in denen Tausende | |
Bosniaken und Kroaten ermordet wurden? | |
Was Dodik, aber auch den heutigen serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić | |
bewegt, den Genozid immer wieder kleinzureden, ist die Tatsache, dass der | |
Name Srebrenica für alle Zeiten mit der serbischen Geschichte verbunden | |
sein wird – genau wie Auschwitz mit der deutschen Geschichte. Die | |
Anerkennung dieser monströsen Verbrechen und der Schuld ist die | |
Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Aber daran ist der | |
serbischen Führung nicht gelegen. Grund hierfür sind Pläne von Kumpanen des | |
ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, dessen großserbisches | |
Projekt zu verwirklichen. | |
## Vučić wiegelte 1995 gegen Bosniaken auf | |
Vučić und sein Außenminister Ivica Dačić waren während der von Milošević | |
angezettelten Kriege dessen Propagandisten. Vučić erklärte in einer Rede | |
vor dem Parlament am 20. Juli 1995, dass man für jeden getöteten Serben 100 | |
Bosniaken umbringen werde. Gleichzeitig war der Genozid von Srebrenica in | |
vollem Gange, unter Beteiligung von Spezialeinheiten des Belgrader | |
Innenministeriums, die gefesselte Jugendliche mit Schüssen in den Rücken | |
ermordeten. | |
Trotz Vučićs und Dačićs Vergangenheit als Schergen Milošević’ unterstü… | |
die USA und weitere westliche Mächte die aktuelle serbische Regierung und | |
betrachten sie Stabilitätsfaktor in der Region. Dabei hat erst Ende Mai das | |
UN-Tribunal in Den Haag zwei Mitstreiter von Milošević, die ehemaligen | |
Chefs des staatlichen serbischen Sicherheitsdienstes Jovica Stanišić und | |
Franko Simatović, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil ist | |
ein Meilenstein der internationalen Strafjustiz und für Bosnien von großer | |
Bedeutung, denn die beiden wurden wegen ihrer Rolle während des | |
Angriffskriegs Serbiens gegen Bosnien für schuldig befunden. | |
## Im Umgang mit Srebrenica ist mehr Sensibilität geboten | |
In Deutschland wird das kaum wahrgenommen. Erst vor Kurzem stellte ein | |
Journalist einer deutschen Tageszeitung in Frage, ob Srebrenica tatsächlich | |
das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen | |
sei. Immerhin seien in Bleiburg im Mai 1945 mehrere Zehntausend Anhänger | |
des faschistischen kroatischen Ustaša-Regimes von den kommunistischen | |
Partisanen Josip Broz Titos umgebracht worden. | |
Doch ein von der internationalen Strafjustiz anerkannter Völkermord wie der | |
in Srebrenica ist nicht einfach mit anderen Kriegsverbrechen vergleichbar. | |
Was der unwissenschaftliche und ahistorische Vergleich aber trotzdem | |
bewirken kann, ist eine Retraumatisierung der Überlebenden des Genozids. | |
Alle, die sich mit dem Thema Srebrenica beschäftigen, sollten sich mehr | |
Zurückhaltung auferlegen und sensibler damit umgehen. | |
Vor einem Jahr, am 11. Juli 2022, hielt der Hohe Repräsentant Christian | |
Schmidt eine „Nie wieder“-Rede in Srebrenica. Gleichzeitig beseitigten | |
Serben im nur 15 Kilometer entfernten Kravica Spuren in einer Lagerhalle, | |
in der serbische Soldaten im Juli 1995 über 1.300 Menschen ermordet hatten. | |
Das UN-Tribunal hatte die Lagerhalle als Tatort deklariert. Diese Stätte | |
des Grauens hätte Schmidt mit einer Unterschrift erhalten können. | |
## Frieden lässt sich nicht einfach herbeireden | |
Durch Desinteresse des Westens ist auf dem Westbalkan eine brisante | |
Gemengelage entstanden. Von Belgrad initiierte [2][Angriffe, wie die auf | |
die Nato-Schutztruppe KFOR in Kosovo Ende Mai,] könnten Bosnien über Nacht | |
in Flammen setzen. Es reicht nicht, einmal im Jahr in Srebrenica eine Rede | |
zu halten, und zugleich dabei zuzusehen, wie Milorad Dodik paramilitärische | |
Einheiten aufstellt. Deren Größe übersteigt bereits die der multiethnischen | |
bosnischen Streitkräfte. Diese Einheiten sind eine verfassungswidrige | |
Provokation, die Schmidt und mit ihm der Westen mit einem hilflosen | |
Schulterzucken quittieren. | |
Unterdessen arbeiten die Nachfolger Miloševićs [3][an der Vollendung des | |
großserbischen Traums]. Ein Großteil der identifizierten mutmaßlichen | |
Kriegsverbrecher von damals ist nicht einmal vor Gericht gelandet. Dabei | |
wäre eine Bestrafung wichtig, um das Fundament für ein Zusammenleben zu | |
errichten. Mindestens ebenso wichtig wäre es für den Westen einzusehen, | |
dass man nachhaltigen Frieden nicht durch schöne Worte herbeireden kann. | |
Potenzielle Aggressoren darf man nicht als Stabilitätsgaranten hofieren. | |
Sie nehmen das als Appeasement wahr – und das ist immer gefährlich. | |
Brandstifter sollten als solche benannt werden. | |
11 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Manfred Dauster | |
Alexander Rhotert | |
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