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# taz.de -- Völkermord im Bosnien-Krieg: Genozid bleibt Genozid
> Auf dem Balkan gibt es eine Unkultur, Kriegsverbrechen zu verherrlichen.
> Der deutsche Hohe Repräsentant für Bosnien enttäuscht in seiner
> Amtsführung.
Bild: Christian Schmidt, der Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina
Der inflationär gebrauchte Begriff des Völkermords ist im internationalem
Recht klar definiert. Drei Gerichte haben mehrfach geurteilt, dass der Mord
an über 8.300 Bosniaken, verübt von serbischen Einheiten während des
Bosnien-Krieges in Srebrenica im Juli 1995, ein Völkermord war. Punkt.
Recht gesprochen haben die Gerichte der UN, der Internationale Gerichtshof
(IGH) und der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGH), sowie
der Staatsgerichtshof von Bosnien und Herzegowina. Dafür wurden
Serbenführer Radovan Karadzic und sein Armeechef Ratko Mladic zu
lebenslanger Haft wegen Völkermords und weitere Täter zu über 700 Jahren
rechtskräftig verurteilt.
Dies ist ein Meilenstein der internationalen Strafjustiz seit den
Militärtribunalen von Nürnberg und Tokyo. Trotzdem gibt es auf dem Balkan,
speziell in Bosnien, eine besorgniserregende Unkultur der Leugnung und
Relativierung von Völkermord und anderen Kriegsverbrechen. Aus der Haft
entlassene Kriegsverbrecher werden, insbesondere in Belgrad, aber auch in
Zagreb, wie Helden empfangen. Es gibt eine regelrechte
Kriegsverbrecherglorifizierung, die von politischen und staatlichen Stellen
teils sogar gefördert wird.
Karadzics Nachfolger, Serbenführer Milorad Dodik, hat die Genozid-Leugnung
in sein politisches Stammrepertoire integriert. Er hofiert öffentlich
Kriegsverbrecher, so am 9. Januar 2022, als er zum 30. Gründungstag des
serbisch-dominierten Teils Bosniens, der Republika Srpska, den vom Haager
Kriegsverbrechertribunal wegen seiner Beteiligung am Srebrenica-Genozid
verurteilten serbischen Offizier Vinko Pandurevic einlud. Bei der vom
bosnischen Verfassungsgericht verbotenen Militärparade stand der
Srebrenica-Mörder hinter Präsident Dodik. Der Hohe Repräsentant der
internationalen Gemeinschaft für Bosnien und ehemalige deutsche
Landwirtschaftsminister, [1][Christian Schmidt,] verurteilte weder
Pandurevics Teilnahme, noch verbot er die verfassungswidrige Versammlung,
obwohl dies zu seinen Hauptaufgaben gehört.
Ein Jahr später, am 9. März dieses Jahres, bezeichnete der nun höchst
umstrittene Schmidt auf einem Balkan-Forum in Budapest laut Anwesenden den
Völkermord von Srebrenica als eine „genocide-style situation“. Wirklich?
Eine „völkermordartige Situation“ oder eine „Situation im Stile eines
Genozids“ kennt das internationale Recht nicht. Für solche rhetorischen
Entgleisungen sollten die Opfer eine umgehende Entschuldigung erwarten
können, die erwartungsgemäß ausblieb. Warum? Weil Bosnien in Deutschland
wenige interessiert, die Entscheidungen treffen. Daher kann sich Schmidt
seit 18 Monaten Amtszeit von einem Skandal zum nächsten hangeln. Nur der
Wiener „Standard“ berichtete im deutschsprachigen Raum über den jüngsten
Ausfall.
Deutschlands ehemaliger UN-Repräsentant, Botschafter Hanns Schumacher,
kritisierte Schmidts „unglückliche rhetorische Übung“, die zu seiner
„schwachen Amtsführung“ noch hinzukäme. Vielleicht sollte man in Berlin d…
Meinung von ehemaligen deutschen Diplomaten zur Kenntnis nehmen. Schumacher
und viele andere fordern die Abberufung Schmidts seit geraumer Zeit.
Schmidts unsensibler Fauxpas erinnert an die gequälten Worte einiger
politisch und diplomatisch Beteiligter, die 1994 den Völkermord in Ruanda
als völkermordartige Exzesse relativierten, um nicht eingreifen zu müssen.
Bereits vor Schmidts Äußerungen forderte die Gesellschaft für bedrohte
Völker den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael
Roth, auf, auf Schmidt einzuwirken oder ihn auszutauschen.
Schmidt hat sämtliche Hoffnungen enttäuscht, strikter gegen serbische und
kroatische Nationalisten vorzugehen, denen die Existenz des multiethnischen
Bosniens ein Dorn im Auge ist. Obwohl Schmidt Macht und Mittel hat, gegen
sie vorzugehen, tut er dies nicht. Im Gegenteil: Er stellt selbst den
destruktiv agierenden Machthabern Serbiens und Kroatiens regelmäßig eine
Carte blanche aus, indem er ihnen attestiert, einen mäßigenden Einfluss auf
[2][Bosnien] zu haben.
Diese Annahmen sind realitätsfern. Ohne Unterstützung Belgrads und Zagrebs
müssten sich ihre Statthalter in Bosnien warm anziehen. Schmidts Worte sind
verstörend, eine umgehende Entschuldigung wäre das Minimum gewesen. Dies
gehört in Deutschland seit vielen Jahrzehnten zur politischen Kultur und
Staatsräson, ebenso wie die Anerkennung der Singularität des Holocausts,
und sollte demnach auch für Deutsche gelten, die im Ausland Dienst tun.
Deutschland hatte bereits in den 1980er Jahren einen unsäglichen
Historikerstreit, ausgelöst von den kruden Thesen Ernst Noltes, der,
verkürzt betrachtet, Auschwitz als Reaktion auf das sowjetische Gulagsystem
darstellte. Es kann keine Diskussion darüber geben, was ein Völkermord war.
Dies wird in Relativierung münden, selbst unbeabsichtigt.
Um der [3][Retraumatisierung von Überlebenden] vorzubeugen, ist höchste
Sensibilität gefordert, gerade von Politikern. Es muss den Gerichten
vorbehalten sein, einen Genozid zu qualifizieren. Völkermord ist und bleibt
nun einmal Völkermord und keinesfalls „völkermordartig“. Unerheblich, ob …
nun von Deutschen an Juden, von Hutu an Tutsi oder von Serben an Bosniaken
verübt wurde. Die eindringlichen Worte von Menachem Rosensaft vom Jüdischen
Weltkongress sollten bedenklich stimmen: „Es ist absurd und beleidigend,
auch nur anzudeuten, dass ein Völkermord oder ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit abscheulicher ist als ein anderes.
Alle Opfer solcher Gräueltaten verdienen die Würde und den Respekt, dass
ihre Qual und ihr Leiden anerkannt und erinnert werden. Elie Wiesel lehrte,
dass der Holocaust ein einzigartiges und einzigartiges jüdisches Ereignis
war (…). In der gleichen Weise war der Völkermord von Srebrenica ein
einzigartiges und einzigartiges bosniakisches Ereignis.“
2 Apr 2023
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## AUTOREN
Alexander Rhotert
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