Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Afghanistan-Untersuchungsausschuss: Die deutsche Verantwortung
> Mit dem Afghanistan-Rückzug befasst sich seit einem Jahr ein
> Untersuchungsausschuss im Bundestag. Im Umgang mit Ortskräften wird ein
> Schema deutlich.
Bild: Ein Taliban-Kämpfer durchsucht einen Mann an einem Kabuler Checkpoint am…
Berlin taz | Ein kurzes Lächeln huscht über das Gesicht des Obersts der
Bundeswehr. „Ja“, sagt er, ein Soldat aus seiner Einsatzgruppe habe
spätabends das gefälschte Dokument aufgesetzt, mit dem afghanische
Ortskräfte das chaotische Kabul verlassen und nach Deutschland ausreisen
konnten. Der große Mann im grauen Dienstanzug wiederholt mit fester Stimme,
was einige Ausschussmitglieder kaum glauben können: Die Bundeswehr hat nach
dem Fall Kabuls an die Taliban im August 2021 auch kreative Methoden
bemüht, um Menschen aus dem Land zu helfen.
Seit einem Jahr befasst sich der Bundestag in einem Untersuchungsausschuss
mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die damit verbundenen Bilder
haben sich ins Gedächtnis gebrannt: [1][Taliban-Konvois, die auf Kabul
vorrücken], Checkpoints in den Straßen der Stadt, Menschen, die sich in
ihrer Verzweiflung [2][an die Tragflächen startender Flugzeuge hängen.]
Immense Fragen stehen mit dem Einsatz der Nato in Afghanistan in
Verbindung, auch das Erbe der Bundeswehr dort ist längst noch nicht
geklärt. Der Untersuchungsausschuss befasst sich dabei mit einem kleinen
Teil der deutschen Verantwortung in dem Land: dem Verbleib der Menschen,
die dort für Deutschland gearbeitet haben, den Ortskräften.
„Ich finde, das mit dem Schreiben war eine geniale Idee“, sagt Oberst
Hans-Christoph G. Ende Juni beantwortet er als Zeuge in der 42. Sitzung des
Untersuchtungsausschusses die Fragen der Abgeordneten. Als
Einsatzgruppenleiter im Einsatzführungskommando hatte er den Abzug des
deutschen Kontingents aus Afghanistan geplant und dabei nach eigenen
Angaben auch auf die Berücksichtigung der Ortskräfte gedrängt. „Ich konnte
jeden und jede verstehen, die Afghanistan verlassen wollten“, so der
Oberst.
An einem Abend Mitte August 2021 musste es schnell gehen: Die Taliban
hatten Kabul eingenommen, der afghanische Präsident Ashraf Ghani hatte sich
ins Exil in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt. Die Deutschen
erreicht die Nachricht, dass in einem Bus der Schweizer Botschaft zum
Kabuler Flughafen noch Plätze frei seien, ob es nicht Menschen gebe, die
darin mitfahren wollten. Die Bedingung sei: ein offizielles Dokument für
die Checkpoints. „Es musste schnell gehen, einmalig sein und offiziellen
Charakter haben“, sagt der Oberst im Ausschuss.
## Die Ministerien machten einfach weiter wie bisher
So sei ein Schreiben mit einer falschen Kontaktadresse des Bundestags, wohl
aber mit Bundesadler im Briefkopf, entstanden; ein Passierschein, der
Wirkung gezeigt habe. „Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, aber es hat bis
auf in einem Fall funktioniert“, sagt der Oberst. Er habe mehrfach
Vorschläge eingebracht, um ein Chaos bei den lokalen Mitarbeitenden
nach dem Abzug zu verhindern: Das Auswärtige Amt solle eine temporäre
Visa-Abteilung am Standort der Bundeswehr in Masar-i-Scharif in Afghanistan
eröffnen, oder man solle für Ortskräfte ein sogenanntes
Visa-bei-Ankunft-Verfahren ermöglichen, damit Betroffene nach ihrer
Gefährdungsanzeige nach Deutschland fliegen können und ihr Visum hier
erhalten.
Beide Ratschläge des Obersts seien von den zuständigen Behörden, dem
Innenministerium und dem Auswärtigen Amt, lange nicht gehört worden: „Mit
bürokratischen Kleinkram sind die Menschen hin und her geschickt worden.
Alles Dinge, die nicht helfen, wenn man schnell sein will.“
Nach einem Jahr Arbeit im Untersuchungsausschuss wird immer deutlicher, wie
die betroffenen Häuser, das Innenministerium, das Entwicklungsministerium,
das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, in ihren eigenen
Logiken verhaftet blieben und auch in der chaotischen Abzugsphase kaum
davon abwichen.
Im September 2021 standen Bundestagswahlen an, und im Innenministerium von
CSU-Mann Horst Seehofer war man darauf bedacht, die Zahl der Ortskräfte in
Deutschland gering zu halten – [3][Abschiebungen nach Afghanistan] wurden
erst am 11. August, vier Tage vor dem Fall Kabuls, ausgesetzt.
## Angela Merkel wird im Winter 2024 erwartet
Auch im Ortskräfteverfahren stand Seehofers Innenministerium auf der
Bremse, mehrfach betonten Mitarbeiter*innen im Untersuchungsausschuss,
wie sie auch in den turbulentesten Wochen auf „ordentliche Verfahren“
bestanden hatten und dass eine Visavergabe bei Ankunft in Deutschland nicht
vorgesehen gewesen sei.
Auch im Entwicklungsministerium, das beim Fall Kabuls etwa 1.000 Ortskräfte
in der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beschäftigte,
deutet vieles darauf hin, dass man nicht an einer vereinfachten Ausreise
von Ortskräften nach Deutschland interessiert war. Zu sehr war man (und ist
man auch weiterhin) auf die lokalen Mitarbeiter*innen angewiesen. Eine
Zeugin aus dem Ministerium sprach am Donnerstagabend im Ausschuss von einer
politischen Entscheidung. „Wir haben gegenüber 40 Millionen Afghanen eine
Verantwortung gespürt und haben dafür auch die Ortskräfte gebraucht.“
Bislang wurden im Ausschuss Mitarbeitende und Referatsleiter*innen
gehört. Sie sind Entscheidungsträger*innen für die großen Fragen im
Kleinen. Große Antworten erhofft sich der Untersuchungsausschuss ab
kommendem Jahr: Dann werden die Staatssekretäre erwartet – und ab Winter
2024 auch etwa Seehofer und Angela Merkel.
8 Jul 2023
## LINKS
[1] /Blitzoffensive-in-Afghanistan/!5791077
[2] /Tragische-Szenen-am-Flughafen-Kabul/!5793857
[3] /Deutscher-Afghanistan-Einsatz/!5880993
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Bundeswehreinsatz
Untersuchungsausschuss
Schwerpunkt Angela Merkel
Horst Seehofer
GNS
Afghanistaneinsatz
Schwerpunkt Afghanistan
Flucht
Schwerpunkt Afghanistan
Afghanistaneinsatz
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
GIZ in Afghanistan: GIZ zieht sich zurück
Die Entwicklungsorganisation GIZ zieht sich vollständig aus Afghanistan
zurück. Der Abzug folgt auf eine Entscheidung der Bundesregierung.
Ausschuss zu Afghanistan im Bundestag: Berlin und die unterschätzten Taliban
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss deckt erhebliche Defizite im
deutschen Engagement auf. An der Loyalität von Ortskräften gibt es keine
Zweifel.
Aktivist über Familiennachzug: „Alle müssen sich verstecken“
Wahed Khan kam mit 15 als afghanischer Flüchtling nach Berlin. 11 Jahre
später versucht er noch immer, seine Familie nachzuholen – bislang
vergeblich.
Aufnahme von afghanischem Justizpersonal: Juristen fürchten Rache der Taliban
Deutschland hat in Afghanistan Staatsanwälte ausgebildet. Viele von ihnen
sind nun in Lebensgefahr. Doch die Bundesregierung blockiert ihre Aufnahme.
Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Lektion nicht gelernt
Die Verantwortlichen beschönigen die Afghanistan-Politik noch immer. Am
Montag übertraf sich der Ex-Innenminister de Maizière dabei sogar selbst.
Afghanistan bekämpft Opiumanbau: Einst blühende Mohnlandschaften
Die Taliban haben den Drogenanbau verboten. So erreichen sie, woran die
Staatengemeinschaft gescheitert ist. Die Produktion ist stark gesunken.
Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan: Weiter den Taliban ausgeliefert
Die Bundesregierung nimmt wieder gefährdete Afghan*innen auf. Erst
einmal sind die in Nachbarländer Geflohenen dran, aber viele harren im Land
aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.