| # taz.de -- Indigenes Wissen über Landwirtschaft: Zurück zum alten Wissen der… | |
| > Indigenes Wissen wurde in den Lehrbüchern meist ignoriert. Eine Gruppe | |
| > von Maya-Aktivisten in Berlin-Neukölln will das ändern. | |
| Bild: Gärtnern nach Tradition der Maya funktioniert auch im eigenen Garten: Á… | |
| Berlin taz | Ángel Kú steht zwischen alten Gräbern und neuen Beeten, auf | |
| einem stillgelegten Teil des Friedhofs St. Thomas. Ein mexikanischer Maya | |
| aus Yucatán in Berlin-Neukölln. Mit einem Stock bricht er den sandigen | |
| Boden auf. „Wir müssen ihn fragen, was er uns zu sagen hat und welches Leid | |
| er erfahren hat“, sagt Kú, dann gibt er seinen Stock in die Runde und | |
| bittet die Versammelten, von den Böden ihrer Heimat zu erzählen. | |
| Eine Portugiesin spricht von den Obstbäumen, die der Großvater noch | |
| zwischen die Olivenbäume pflanzte – heute wachsen die Oliven für sich | |
| allein, Pestizide belasten den Boden. Reihum wird berichtet, von Zerstörung | |
| des Bodens durch Monokulturen: von Ginseng in Wisconsin, Bambus in Japan, | |
| Soja in Südbrasilien, Raps und Mais in Brandenburg. | |
| Es ist ein weltweites Phänomen: Agrarbetriebe [1][setzen Spritzmittel ein], | |
| um ungewollte Pflanzen und Schädlinge zu töten. Dadurch entziehen sie die | |
| Nahrungsgrundlage für Insekten und Vögel, aber auch für Organismen wie | |
| Regenwürmer. | |
| „In Brandenburg, wo der Boden ohnehin sehr sandig ist, gibt es nur noch | |
| ganz wenig Humus, die Böden tragen nur noch durch Mineraldünger“, sagt die | |
| Bodenkundlerin Martina Kolarek, die gekommen ist, um sich mit Ángel Kú | |
| auszutauschen. „Es bräuchte ein radikales Umdenken, [2][um wieder mehr | |
| Humus mit vielen nützlichen Bodentieren aufzubauen].“ | |
| ## Ausgelaugte Böden wieder regenerieren | |
| Ángel Kú ist an diesem Tag für das radikale Umdenken verantwortlich. Auf | |
| Einladung der Berliner Initiative Spore wurde er eingeladen, um zu | |
| berichten, wie das von ihm mit begründete Kollektiv Suumil Móokt’aan | |
| althergebrachte Landwirtschaftstechniken der Maya verbreitet und neu | |
| etabliert. | |
| Das Ziel: die ausgelaugten Böden seiner Heimat zu regenerieren. In den | |
| Tagen, in denen er zu Besuch ist, werden Menschen von ihm lernen, | |
| Bodenproben zu nehmen. Sie werden aber auch Zeremonien für Mutter Erde mit | |
| Simultanübersetzung hören. Einiges könnte man als esoterische Performances | |
| für sinnsuchende Städter abtun. Aber es lohnt sich genauer hinzusehen. | |
| Ángel Kú erzählt die Geschichte seines Dorfes Sinanché: Großgrundbesitzer | |
| bauten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf großen Flächen | |
| Agaven an, deren Fasern für Seile und Säcke gebraucht wurden. Die | |
| unterbezahlten Dorfbewohner mussten Unkrautvernichtungsmittel und Pestizide | |
| versprühen, um den Ertrag zu erhöhen. Heute sind es Soja-Monokulturen, die | |
| aus der Luft gespritzt werden. Die Erde litt unter der intensiven | |
| Landwirtschaft – so wie in Brandenburg. | |
| Aus Sinanché zogen sich die Großgrundbesitzer vor etwa 30 Jahren zurück, | |
| seither kann sich der Boden allmählich erholen. „Wir fragen ihn, was er | |
| braucht, und entwickeln Strategien, damit er wieder aufleben kann“, sagt | |
| Kú. | |
| ## Bodenprobe mit Glas voll Reis | |
| Er holt ein mit Stoff bedecktes Einmachglas mit gekochtem Reis hervor und | |
| vergräbt es in der Erde. „Nach einer Woche holen wir es wieder hervor und | |
| sehen, wie es um den Boden bestellt ist“, sagt Kú. Was er demonstriert, ist | |
| ein Verfahren, das in vielen Dörfern in Mexiko verbreitet ist, um den Boden | |
| zu analysieren und zu verbessern – ein günstiger Bodentest ganz ohne Labor. | |
| Die Mikroorganismen im Boden vervielfältigen sich auf dem Reis und | |
| verfärben ihn. Ist er grün, gelb oder gar nicht gefärbt, seien vor allem | |
| erwünschte Mikroorganismen im Boden. Ist er rot, violett, rosa oder | |
| gräulich, haben sich schädliche Pilze eingenistet. | |
| „Dann müssen wir nützliche einführen, um das Gleichgewicht wieder | |
| herzustellen“, sagt Kú. „Dafür holen wir Erde aus einer möglichst | |
| unberührten Ecke im Wald und vermischen sie mit Zucker, Reis und Wasser, um | |
| die guten Mikroorganismen darin zu vervielfältigen.“ Die lebendige Paste | |
| wird ins Gießwasser gegeben und auf den Beeten verteilt. | |
| Auch der Ackerbau selbst ist Bodenpflege. Im Zentrum der Maya-Methodik | |
| steht eine jahrtausendealte Anbautechnik: die Milpa. Drei Kulturpflanzen, | |
| Mais, Kürbis und Bohnen, die „drei Schwestern“, sind das Herz dieser | |
| Mischkultur und ein Sinnbild für ihre Nachhaltigkeit. Denn diese drei | |
| Pflanzen, selbst Ureinwohner des amerikanischen Kontinents, gehen im Beet | |
| eine Symbiose ein: Der Mais benötigt viel Stickstoff zum Wachsen, den die | |
| Bohne in den Boden einbringt, während sie am Mais emporrankt. So bleiben | |
| die Nährstoffbalance und Fruchtbarkeit des Bodens erhalten. | |
| Der Kürbis wiederum beschattet den Boden. Er bewahrt ihn so vor | |
| Austrocknung und Erosion und hält unerwünschte Wildpflanzen fern. „Die | |
| Milpa basiert auf einer Vielfalt von Pflanzen, die miteinander | |
| kommunizieren, neben den drei Schwestern auch Tomaten, Chilis, Melonen und | |
| Heilpflanzen“, sagt Kú. „Bis zu 100 verschiedene Pflanzen können in einem | |
| Beet koexistieren.“ | |
| ## Traditionelles Wissen – auch in Europa | |
| Auch in Europa gibt es das Wissen um ähnliche Traditionen der Mischkultur | |
| noch – Anbauformen, die ökologische Vorteile mit sich bringen und die | |
| Pflanzengesundheit und Schädlingsresistenz fördern, haben auch hier trotz | |
| der massiven Intensivierung der Landwirtschaft im Kleinen überdauert. So | |
| stehen in Bauern- oder Kleingärten Karotten und Zwiebeln häufig als | |
| Schwestern im Beet, weil sie einander vor Schädlingen schützen, genauso wie | |
| Kartoffeln und Kohl | |
| Die Prinzipien der Permakultur, die teils auf indigenen | |
| Mischkulturpraktiken beruhen, sowie früher in Europa verbreitete Techniken | |
| wie die [3][Baumfeldwirtschaft, die Obstbäume mit Ackerflächen kombiniert], | |
| werden unterdessen in Brandenburg und anderswo zunehmend auf größeren | |
| Bauernhöfen erprobt. Auch das ist traditionelles Wissen. | |
| Die Milpa der Maya wurde schon in Studien erforscht. Es ist bewiesen, dass | |
| sie, wie viele andere Formen von Mischkultur, sogar produktiver sein kann | |
| als eine Monokultur, wenn man die Erträge aller angebauten Pflanzen | |
| betrachtet. So liegt der durchschnittliche Wert an Energie und Protein pro | |
| angebautem Quadratmeter bei den drei Schwestern höher als bei einer | |
| Monokultur. | |
| Die unterschiedlichen Pflanzen produzieren das ganze Jahr über vielfältige | |
| Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung und Samen für das nächste Jahr. | |
| Das kann entscheidend zur Ernährungssicherheit auf lokaler Ebene beitragen. | |
| „Hinter der Auswahl des Saatguts und dem Anbau einer Milpa steckt Wissen, | |
| das durch jahrhundertelanges Ausprobieren entstanden ist und von Generation | |
| zu Generation mündlich weitergegeben wurde“, sagt die mexikanische | |
| Agrarwissenschaftlerin Tania Martínez-Cruz, die an der Freien Universität | |
| Brüssel forscht und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der | |
| Vereinten Nationen zu indigenen Ernährungssystemen berät. | |
| Indigenes Wissen sei bisher kaum in die Politik eingeflossen, weil es als | |
| unsystematisch angesehen werde. Ein Weg in eine nachhaltigere Zukunft liege | |
| darin, beide Systeme miteinander zu verbinden. | |
| ## Rückkehr zum alten Wissen | |
| So wie in Sinanché. Dort kombiniert das Kollektiv Suumil Móokt’aan das alte | |
| Wissen bereits selbstverständlich mit neueren Techniken wie etwa | |
| Komposttoiletten für die Düngung. Die von den Agavenplantagen ausgelaugten | |
| Flächen werden zunächst durch Brandrodung urbar gemacht. | |
| Was martialisch klingt, ist eine erprobte Methode: „Die Brandrodung ist nur | |
| oberflächlich, dem Boden werden dadurch wichtige Nährstoffe zugeführt“, | |
| erklärt Kú. Danach graben sie organisches Material unter und säen Bohnen | |
| aus, die sie noch vor ihrer Blüte in die Erde einarbeiten. | |
| In Yucatán wird das alte Wissen mittlerweile wieder systematisch | |
| weitergegeben. Auch die agrarökologische Schule U Yits Ka'an lehrt eine | |
| ökologische Landwirtschaft, die auf alten Maya-Traditionen beruht. „Als wir | |
| anfingen, haben viele Kleinbauern selbst Monokulturen angebaut und mit | |
| Agrargiften den Boden zerstört“, sagt Atilano Ceballos Loeza, Gründer der | |
| Akademie. | |
| Viele hundert Kleinbäuer*innen haben an den Kursen bereits teilgenommen, | |
| selbst wieder Milpas angelegt und verbreiten das alte Wissen nun wieder in | |
| ihren Dörfern – jetzt gelangt es sogar bis nach Berlin und Brandenburg. | |
| Es ist eine Rückkehr zum Lokalen, zu einer Landwirtschaft, die Leben | |
| fördert. Ceballos Loeza ist nicht zufällig auch Maya-Priester. Er steht für | |
| eine ins tägliche Handeln integrierte Spiritualität indigener Völker. Ihre | |
| Art der Landwirtschaft und Bodenpflege hat handfeste Vorteile – und ist | |
| darüber hinaus „eine Art, sich zu verbinden“, sagt Ceballos Loeza, „dem | |
| Boden oder dem Wasser einen Wert zu geben statt einen Preis.“ | |
| An einem dieser Tage leitet er in einem vollbesetzten Auditorium eine | |
| Zeremonie. Er steht auf, wendet sich den vier Himmelsrichtungen zu. Dann | |
| dankt er der Erde. | |
| 8 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Lomoth | |
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