# taz.de -- Landtagswahl in Brandenburg 2024: Stühlerücken in Potsdam | |
> In einem Jahr wählt Brandenburg einen neuen Landtag. Die Parteien | |
> bereiten sich schon darauf vor, wichtige Kandidaturen sind im Kern | |
> bereits geklärt. | |
Bild: Nach den Wahlen das Ziel: der Potsdamer Landtag | |
POTSDAM taz | „Strategische Ziele zur LTW 2024“ steht an einem feuchtwarmen | |
Potsdamer Sommermorgen über einem weißen Papierbogen auf einer Flipchart. | |
LTW, das ist das Kürzel für „Landtagswahl“, und nicht nur im Konferenzraum | |
der Brandenburger Grünen-Zentrale in der historischen Altstadt sind längst | |
die Planungen für die Wahl am 22. September 2024 – also in knapp 14 Monaten | |
– losgegangen. Bei SPD und CDU stehen die Spitzenkandidaten de facto fest, | |
bei den Grünen ist zumindest absehbar, wer die Partei 2024 in den Wahlkampf | |
führen wird. | |
Mehr als dreieinhalb Jahre regieren die Grünen nun schon wie in Sachsen und | |
bis 2021 in Sachsen-Anhalt mit SPD und CDU. Wegen der gleichfalls | |
rot-schwarz-grün gefärbten dortigen Nationalflagge läuft das Ganze unter | |
„Kenia-Koalition“. Ein Vierteljahrhundert hatten die Grünen in Brandenburg | |
darauf warten müssen, erstmals seit 1994 wieder Minister zu stellen. Wenige | |
Wochen vor der Wahl am 1. September 2019 lagen sie sogar fast gleichauf mit | |
SPD und CDU, der Posten der Ministerpräsidentin schien in Reichweite. | |
Daraus wurde nichts, und dennoch war der Jubel groß, als die Brandenburger | |
Grünen am Wahlabend erstmals in ihrer Geschichte ein zweistelliges Ergebnis | |
holten. Die Grüne Jugend wollte zwar lieber mit der Linkspartei statt mit | |
der CDU koalieren. Doch das hatten die Grünen nicht in der Hand: Mit der | |
CDU zusammenzugehen, war eine bewusste Entscheidung von Ministerpräsident | |
und SPD-Landeschef Dietmar Woidke, die sich schon am Wahlabend andeutete. | |
Woidke wird die Sozialdemokraten, wenn nichts dazwischen kommt, auch 2024 | |
in die Wahl führen. Bei einem Jahresrückblick mit Journalisten wirkte er im | |
Dezember fast ein bisschen überrascht, dass er von der taz die Frage nach | |
einer erneuten Spitzenkandidatur überhaupt gestellt bekam – „Ich hoffe, ich | |
mache nicht so einen amtsmüden Eindruck“. | |
## Die dritte Spitzenkandidatur | |
Es wäre die dritte Spitzenkandidatur für den dann 62-jährigen Woidke, der | |
2013 Ministerpräsident wurde, als sein Vorgänger Matthias Platzeck nach | |
einem Schlaganfall zurücktrat. Während so Kontinuität die Staatskanzlei | |
prägt, ist Woidkes SPD-Fraktion im Landtag von zahlreichen Führungswechseln | |
geprägt. In den vergangenen zehn Jahren gab es fünf Fraktionschefs – im | |
Berliner Landesparlament dagegen führt seit zwölf Jahren ein und derselbe, | |
nämlich Raed Saleh, die SPD-Abgeordneten an. | |
Der bislang letzte Wechsel Ende 2021 war besonders auffällig: | |
[1][Amtsinhalber Erik Stohn trat zur Wiederwahl nicht an] und warf seinem | |
Nachfolger Daniel Keller „rücksichtsloses Beiseiteschieben“ vor. „Man | |
empfindet das schon als Verrat, wenn Menschen, die man sehr gefördert hat, | |
einem dann in den Rücken fallen“, klagte Stohn damals in der Märkischen | |
Allgemeinen. | |
Keller gilt als durchaus machtbewusst und als einer, der sich auch | |
Ministerpräsident vorstellen kann. Der Widerstand seiner Fraktion führte | |
Mitte April dazu, dass die langjährige SPD-Bildungsministerin [2][Britta | |
Ernst zurücktrat]: Ihre Pläne, mit dem Lehrermangel in Brandenburg | |
umzugehen, fanden dort keinen Rückhalt. Das Pikante: Ernst ist die Frau von | |
Bundeskanzler Olaf Scholz, mit dem sie auch in Potsdam wohnt. | |
Während es bei der SPD also zu Veränderungen in Toppositionen gekommen ist, | |
ist es bei der CDU seit Beginn der Wahlperiode überraschend ruhig | |
geblieben. Damals war das in Potsdam aus früheren Jahren bekannte Bild der | |
„CDU-Schlachteplatte“ zuletzt bemüht worden: Wegen des enttäuschenden | |
Wahlergebnisses – und auch wegen seiner Offenheit für ein Bündnis mit der | |
Linkspartei – sägten die Christdemokraten wenige Tage nach der Wahl 2019 | |
ihren Partei- und Fraktionschef ab. | |
Sein Nachfolger an der Spitze der CDU-Abgeordneten, Jan Redmann, hat sich | |
seither fest etabliert und in diesem Frühjahr auch den Posten des | |
Landesvorsitzenden von Innenminister Michael Stübgen übernommen. Der hatte | |
zuvor klar gemacht, dass er die Spitzenkandidatur 2024 nicht wollte. Neu am | |
Verfahren war, dass die CDU der Wahl Redmanns bei einem Parteitag erstmals | |
eine Mitgliederbefragung voranstellte. Der neue CDU-Chef will Woidke und | |
die SPD erstmals seit 1990 an der Spitze Brandenburgs ablösen und macht | |
klare Ansagen in diese Richtung – „Es ist nicht gottgegeben, dass dieses | |
Land SPD-regiert wird“, so Redmann beim Parteitag. | |
## Fehlverhalten bei den Grünen | |
Weil tendenziell eher auf der vegetarischen Seite unterwegs, passt das Bild | |
mit der „Schlachteplatte“, ursprünglich ein Teller mit diversen | |
Fleischstücken frisch aus der Schlachtung, nicht gerade zu den Grünen. | |
Inhaltlich aber traf es im Februar voll zu: Co-Vorsitzende Julia Schmidt | |
musste gehen, der restliche Landesvorstand um Co-Chefin Alexandra Pichl | |
warf ihr „wiederholte Fälle untragbaren Fehlverhaltens“ vor, ohne konkreter | |
zu werden. [3][Schmidt selbst twitterte] damals, sie ziehe sich zurück und | |
stehe nicht für eine Spitzenkandidatur 2024 zur Verfügung – wobei keine | |
andere führende Stimme sie offiziell überhaupt in dieser Rolle gesehen | |
hatte. | |
Was im Detail vorgefallen ist, mag auch ihre Ende April gewählte | |
Nachfolgerin beim Gespräch mit der taz nicht sagen. „Ich merke, dass das in | |
unserer Partei kein großes Thema mehr ist“, sagt die erst 25-jährige Hanna | |
Große Holtrup, eine Juristin, die zuvor als Referentin in der | |
Landtagsfraktion gearbeitet hatte. Der Parteivorstand, so die neue | |
Co-Chefin, stehe den Mitgliedern aber „natürlich nach wie vor für Fragen | |
und Antworten dazu zur Verfügung“. | |
## Keine Alternative zu Kenia | |
Gegenwärtig gibt es zu einer Fortsetzung der aktuellen Kenia-Koalition nach | |
der Wahl 2024 keine realistische Alternative – Rot-Grün-Rot kommt in | |
Umfragen nicht auf eine Mehrheit. Das liegt vorrangig daran, dass gut ein | |
Viertel der Stimmen geblockt ist durch die AfD, mit der keine andere Partei | |
zusammenarbeiten mag. Lag sie im Jahr 2022 bei 17 bis 18 Prozent, liegt sie | |
seit vergangenem Herbst konstant bei 23 bis 25 Prozent. | |
Hört man sich dazu im Potsdamer Landtag um, jenem außen so historisch | |
aufwändigen, innen schlicht weiß-modernen Schloss-Wiederaufbau, so taucht | |
öfter folgende Feststellung auf: Es seien nicht wirtschaftliche Nöte, die | |
so viele Brandenburger für die AfD stimmen lassen. Da würden gerade in | |
südlichen Gegenden des Landes, so ist etwa zu hören, Leute neben dem SUV | |
vor ihrem Haus stehen und schlicht jegliches Gespräch mit Vertretern der | |
von ihnen und der AfD so eingeordneten „Altparteien“ verweigern. | |
Wirtschaftlich steht Brandenburg dabei außergewöhnlich gut da. 2022 war das | |
Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent der höchste Wert aller ostdeutschen | |
Flächenländer und lag selbst über den Werten von Bayern und | |
Baden-Württemberg. Vor allem das produzierende Gewerbe boomte dabei. Das | |
hat über Zulieferbetriebe viel, aber nicht nur mit der Ansiedlung des | |
US-Autobauers Tesla 2020 in Grünheide am östlichen Berliner Stadtrand zu | |
tun. Brandenburg, so wurde jüngst bekannt, bemüht sich auch um eine | |
mögliche Ansiedlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall. | |
Im Landtag ging es in einer der letzten Plenarsitzungen vor der Sommerpause | |
vorrangig um wehrhafte Demokratie, den RBB und Kontrollen an der polnischen | |
Grenze. Das im Treppenhaus so sterile Weiß wird im Plenarsaal aufgebrochen | |
durch die roten Sitze der 88 Parlamentarier – weit weniger als im Berliner | |
Abgeordnetenhaus, das aktuell 159 Mitglieder hat. Anders als dort sind im | |
Landtag auch die Freien Wähler vertreten, in einer Fraktion mit der BVB, | |
der Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen. Sie thematisieren an diesem | |
Tag vor allem den RBB-Skandal. Die FDP gab es hier zuletzt 2014. | |
Für die Grünen sitzt Benjamin Raschke als Co-Fraktionschef in der ersten | |
Reihe der Abgeordneten – noch. Denn er ist der mutmaßliche Spitzenkandidat | |
für die Wahl im Herbst nächsten Jahres und danach möglicher Minister, weil | |
die beiden bisherigen grünen Kabinettsmitglieder Axel Vogel und Ursula | |
Nonnemacher sich dann mutmaßlich zurückziehen. | |
Zwar weist die neue Parteichefin Große Holtrup darauf hin, dass über die | |
Kandidatenliste für die Wahl erst ein Parteitag im nächsten Frühjahr | |
entscheidet. Doch die Tendenz scheint klar. Als Raschke sich beim Parteitag | |
Ende April für die Spitzenkandidatur anbot, hatte er gleich Brandenburgs | |
bekannteste Grüne hinter sich, nämlich die frühere Landesvorsitzende und | |
jetzige Außenministerin: „Ich glaube“, sagte Annalena Baerbock, „du bist | |
der Beste, der uns in den nächsten Wahlkampf führen kann.“ | |
19 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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