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# taz.de -- Aktivist über die Dichterin Semra Ertan: „Von Fremdenfeindlichke…
> Am Samstag wird in Kiel ein Platz nach der Poetin und Aktivistin Semra
> Ertan benannt, die sich wegen des wachsenden Rassismus 1982 verbrannt
> hat.
Bild: Da hatte sie die ersten Gedichte schon geschrieben: Semra Ertan füttert …
taz: Herr Viehöfer, ist der kommende Samstag ein guter Tag für Kiel – und
wenn ja, warum?
Lothar Viehöfer: Es ist ein guter Tag, auf jeden Fall. Wir haben den langen
Weg durch die Instanzen durchgehalten, und es wird eine Platzbenennung nach
[1][Semra Ertan] geben. Das ist ja nicht selbstverständlich: Fast alle
Straßennamen in Kiel beziehen sich auf Einheimische, auf Männer. Hier haben
wir es endlich einmal mit einer Migrantin zu tun, mit einer Frau und mit
einer Schriftstellerin – die auch in Kiel gelebt hat.
Wie lange war denn der Vorlauf? Also, wie lange haben Sie durch die
Instanzen gehen müssen?
Insgesamt waren es etwa zwei Jahre. Ich habe unser Anliegen immer wieder
vor dem Ortsbeirat vorgetragen, und dann ging das Ganze weiter in die
Kommission für historische Stadtmarkierungen. Die hat eine
Handlungsempfehlung an den Kulturausschuss gegeben, dann war der
Bauausschuss involviert, und zum Schluss dann, das war am 16. März, [2][die
Ratsversammlung] der Landeshauptstadt Kiel – und der Antrag ging überall
ohne Gegenstimmen durch.
Wie präsent ist denn Semra Ertan heute noch? Mussten Sie da immer auch ein
bisschen Erinnerungsarbeit betreiben?
Wir haben einen Flyer in hoher Auflage hier im Stadtteil Friedrichsort
verteilt, zweisprachig, um Semra Ertan bekannt zu machen. Ich habe hier
ältere Mitbürger getroffen mit türkischem Hintergrund, da konnten sich
einige wenige noch an Semra Ertan erinnern – es ist ja alles sehr lange
her. Ich selbst habe Semra 1974 zum ersten Mal getroffen, also fast vor
einem halben Jahrhundert. Also: Nein, sie ist im Moment nicht präsent – und
das wollen wir ja gerade mit dieser Platzbenennung ändern.
Sie haben die reale Person kennengelernt, weniger die Verfasserin von
Gedichten?
Sie war damals ein gern gesehener Gast in unserem Mietshaus, in dem
hauptsächlich Studenten und studentische Wohngemeinschaften lebten. Sie hat
uns viel erzählt aus Mersin, ihrer Heimatstadt in der Türkei. Sie hat uns
auch erzählt von der Fremdenfeindlichkeit, die ihr damals in
Westdeutschland entgegen geblasen ist. Damals war sie 17 Jahre alt. Heute
wissen wir, dass sie da schon die ersten Gedichte geschrieben hatte. Wir
haben dann später, 1979, angefangen in der Bürgerinitiativzeitung
Spökenkieker, bei der ich als Redakteur mitgearbeitet habe, erste Gedichte
von ihr zu veröffentlichen.
Was war der Spökenkieker?
Das war eine [3][von über 20 Initiativen herausgegebene Zeitung], wo es um
Hausbesetzungen ging, um Arbeitslosigkeit, um Straßenbahnpreise, um
Umweltzerstörung – und eben immer wieder auch um Rassismus in Deutschland.
Da passten die Gedichte von Semra einfach gut hinein. Das war alles vor
ihrer Selbsttötung, und diese Gedichte wurden dann lange Zeit nicht
angerührt; die Familie hat erst vor drei Jahren diese Kiste geöffnet, und
inzwischen ist daraus [4][ein großartiges Buch] entstanden, das jetzt
gerade in der zweiten Auflage erschienen ist.
Haben Sie selbst ein Lieblingsgedicht von ihr?
Ja, klar. Mein Lieblingsgedicht ist „Unheimlich glücklich“. Ihre Gedichte
sind alle zweisprachig erschienen, und dieses, hätte ich gedacht, lässt
sich nicht übersetzen, aber auch davon gibt es eine türkische Fassung. Ich
habe sogar mehrere Lieblingsgedichte, vor allem das Gedicht, das den
Buchtitel gestiftet hat, „Mein Name ist Ausländer“. Im Spökenkieker
druckten wir es unter dem Titel ab „Sie haben mich verkauft“. Das war kurz
nach Semras Tod.
Was genau wird nun am Samstag passieren?
Es wird eine etwa eineinhalbstündige Veranstaltung werden, reden werden
unter anderem Semras ältere Schwester, Zühal Bılır-Meier, aber auch ihre
Nichte, Cana Bılır-Meier. Auch der Ortsbeiratsvorsitzende wird sprechen und
Reyhan Kuyumcu, die stellvertretende Vorsitzende der [5][Türkischen
Gemeinde in Schleswig-Holstein]. Und ich selbst werde auch noch einmal das
Wort ergreifen. Zwischendurch gibt es musikalische Darbietungen und vor
allen Dingen natürlich Gedichtlesungen in Deutsch und auf Türkisch.
Für eine Ehrung Semra Ertans im öffentlichen Raum engagieren sich ja auch
in Hamburg Menschen, wo sie zuletzt gelebt hat – aber [6][sich auch das
Leben genommen]. Vor dem Hintergrund Ihres Erfolgs in Kiel: Was würden Sie
den Aktivist:innen in Hamburg raten?
[7][Die Hamburger Initiative] wird mit einer Delegation hier in
Friedrichsort dabei sein. Wir wiederum hatten im Mai ein Grußwort nach
Hamburg geschickt, ich habe vor zwei Jahren auch selbst dort gesprochen.
Die Hamburger Initiative hat, soweit ich weiß, viel mehr Gegenwind aus der
Politik auszuhalten. Ein Rat? Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass
wir nicht die schwierige Umbenennung einer Straße oder eines Platzes
verlangen – sondern hier ist es eine Erstbenennung. Ein Ort, nur einen
Steinwurf weit entfernt von dem Haus, in dem Semra Ertan damals mit ihrer
Familie gelebt hat.
7 Jul 2023
## LINKS
[1] /!s=%2522semra+ertan%2522/
[2] https://www.kiel.de/de/politik_verwaltung/ratsversammlung/ratssitzungen_vid…
[3] https://www.hansadruck.de/ueber-uns
[4] https://www.edition-assemblage.de/buecher/mein-name-ist-auslaender-benim-ad…
[5] http://www.tgsh.de/
[6] /Todestag-von-Semra-Ertan/!5774155
[7] https://semraertaninitiative.wordpress.com/
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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