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# taz.de -- Kein Semra-Ertan-Platz in Hamburg: Rückschlag für Gedenk-Initiati…
> Sie war Dichterin, Aktivistin – und beging aus Protest gegen Rassismus
> Suizid: In Hamburg verhindern CDU, SPD und FDP einen Platz für Semra
> Ertan.
Bild: Hatte vor dem selbst gewählten Tod auch ein Leben: Semra Ertan füttert …
Hamburg taz | Man könnte die Sache für einen Selbstgänger halten: Bestens
terminiert, mit Blick auf den nahenden Weltfrauentag, hätte Hamburg, eben,
eine Frau ehren können: eine Dichterin, Aktivistin, Repräsentantin jener
nicht ganz kleinen Bevölkerungsgruppe, die wir lange – mal absichtsvoll
distanzierend, mal schlicht bürokratisch zutreffend – „Gastarbeiter“
nennen.
Welche Frau? [1][Semra Ertan], die sich im späten Mai 1982, an ihrem
eigenen 25. Geburtstag, das Leben nahm – auf offener Straße: Da, wo sich im
Stadtteil St. Pauli die Simon-von-Utrecht- und die Detlef-Bremer-Straße
kreuzen, hatte Ertan sich mit Benzin übergossen und angezündet. Sie kam
noch ins Krankenhaus, erlag aber ihren Verletzungen.
Das sei „ein letztes Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung“ gewesen,
schreibt die [2][Hamburger Initiative in Gedenken an Semra Ertan]. Und dass
die Dichterin zu Lebzeiten kein Gehör gefunden habe mit ihren Hinweisen auf
Ausgrenzung und Diskriminierung. Als späte Ehrung soll, wenn es nach der
Initiative geht, ein Platz oder eine Kreuzung nach Semra Ertan benannt
werden.
Dafür kämpfen die Aktivist:innen seit längerem, dieser Tage nun ist das
Anliegen seitens der verfassten Politik erst einmal gestoppt worden: Im
„City-Ausschuss“ im Hamburger Bezirk Mitte stimmten CDU, SPD und FDP Mitte
Februar gegen einen entsprechenden Antrag. Im Kern deshalb, weil eine
Mehrheit des Gremiums befürchtete, die Ehrung einer Selbstmörderin könnte
Nachahmer:innen motivieren.
## Unterstützung im Stadtteil
Keine sonderlich attraktive Ecke hatte die Initiative ins Auge gefasst;
nicht der tatsächliche Schauplatz von Ertans Selbstverbrennung, aber auch
nicht weit weg davon gelegen. 300 Anwohner:innen und viele
Gewerbetreibende hätten die Forderung unterstützt, so die Initiative, im
Stadtteil einen Lern- und Erinnerungsort zu schaffen – gerade der
Widerstand betroffener Anlieger stiftet ja häufig die Hauptargumente gegen
solche Umbenennungen.
Ein neuer Name für eine Kreuzung wäre dabei überhaupt nur der Anfang
gewesen, sagt ein Ini-Vertreter der taz. „Danach hätte es darum gehen
sollen, wie so ein Gedenkort aussehen soll, wie also der Platz gemeinsam
gestaltet wird.“ So passiere es derzeit in Kiel-Friedrichsort, wo Semra
Ertan lange gelebt hatte: Dort war es [3][im Sommer vergangenen Jahres
durchaus möglich], ihr einen Platz zu widmen – mit Unterstützung der
lokalen Politik und Verwaltung.
„Als nächstes wird nun über dessen Gestaltung debattiert, sowohl was die
Aufenthaltsqualität angeht, als auch wie ein würde- und wirkungsvoller
Gedenkort aussieht“, so der Vertreter der Hamburger Initiative. Die
Semra-Ertan-Freund:innen in Kiel und Hamburg kennen einander, stehen im
Austausch.
Dass die Hamburger:innen „viel mehr Gegenwind aus der Politik
auszuhalten“ hätten, war im Sommer 2023 die Einschätzung des Kieler
Aktivisten Lothar Viehöfer, der Semra Ertan noch selbst kennengelernt hat.
## Zu Lebzeiten kaum bekannt?
In Hamburg-Mitte nun beriefen sich einige Umbenennungs-Gegner:innen darauf,
dass Ertan zu Lebzeiten kaum bekannt gewesen sei, wodurch eben ihr Suizid
unangemessen viel Gewicht bekomme. Wenn aber nur ein einziger Mensch selbst
zu so einem Schritt ermutigt würde, weil man ihr einen Platz gewidmet habe,
„könnte ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“: Das sagte am
Dienstag der FDP-Bezirksabgeordnete Jimmy Blum der taz und klang dabei
aufrichtig in seiner Sorge.
Dass man es sich nicht leicht gemacht habe mit der Entscheidung, so Blum
weiter, lasse sich ja auch daran ablesen, dass sich der Ausschuss
wiederholt mit dem Anliegen befasst hatte seit dem vergangenen September.
Zudem habe der CDU-Fraktionschef, der Jurist Gunter Böttcher, sich eigens
fachlichen Rat eingeholt über [4][die Gefahr von Nachahmungstaten]. Für die
Gedenkinitiative freilich hatte sich das zeitweise eher wie eine
Hinhaltetaktik angefühlt: Monatelang sei die Sache in interne Beratungen
verschoben worden, „die weitere Besprechung immer wieder kurzfristig
vertagt“.
Er wolle sich nicht in Spekulationen über die Hintergründe ergehen, sagt
indes der Vertreter der Hamburger Gedenk-Initiative, der die Suizid-Sorge
der Bezirkspolitiker:innen gar nicht global beiseite schieben will:
Man habe ja gerade deswegen einen benachbarten Ort zur Umbenennung
vorgeschlagen.
Man wolle die Verschiebung des Fokus weg von Ertans Tod hin zur ganzen,
facettenreichen Person. Aber es falle schon auf, „dass hier, gelinde
gesagt, mit zweierlei Maß gemessen wird – ausgerechnet bei einer Frau,
Migrantin, Aktivistin kann eine Platzbenennung nicht Ausgangspunkt für
weitere Debatten sein?“
## Zweierlei Ehren-Maß
Wie anders handhabe man es in der Stadt etwa mit Generälen oder auch
kolonialen Eroberern: „Das ‚vielleicht Problematische‘ an deren Leben war
nur eine Facette“, heiße es da, und dass man „den ganzen Menschen
betrachten“ müsse. „Tja und bei Semra Ertan dann aber ausgerechnet nicht?�…
Aufgeben werde man nicht, auch das sagt der Ini-Vertreter: Die
Vorbereitungen zum jährlichen Gedenken für Semra Ertan, immer Ende Mai,
liefen bereits. „Natürlich werden wir die geäußerte pauschale Kritik
aufnehmen und unseren Antrag weiterentwickeln. [5][St. Pauli] wünscht sich
einen Semra-Ertan-Platz“, sagt er. „Wie der aussehen kann, werden wir
weiter gemeinsam mit unseren Unterstützer*innen diskutieren.
Vielleicht nimmt die Bezirkspolitik das dann auch irgendwann mal als
Unterstützerin statt als Blockiererin wahr.“
5 Mar 2024
## LINKS
[1] /!s=%2522semra+ertan%2522/
[2] https://semraertaninitiative.wordpress.com/
[3] /Aktivist-ueber-die-Dichterin-Semra-Ertan/!5942118
[4] /Expertin-ueber-Medien-und-Suizid/!5934835
[5] /St-Pauli/!t5008876
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Lyrik
Migration
Schwerpunkt Rassismus
Hamburg
Gedenken
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Schwerpunkt Rassismus
Einwanderung
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fehlt.
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