| # taz.de -- Familienkonzert im Theater Bremen: Unter uns | |
| > Das jüngste Stück der musikpädagogischen Reihe war höchst unterhaltsam �… | |
| > sobald man damit klarkam, zu einer bescheuerten Blase dazuzugehören. | |
| Bild: Bremen will Kinder mit der Reihe für klassische Musik begeistern | |
| Bremen taz | „Merlin würde doch nie ohne sein Lastenrad weg fahren“, sagt | |
| der, der sich als Artus vorgestellt hat, und die Zuschauer:innen lachen. | |
| Eine höhere Dichte an Lastenradfahrer:innen als bei den | |
| Familienkonzerten des Theaters Bremen ist kaum vorstellbar. Drei Viertel | |
| der Erwachsenen im Publikum – Kinder, noch mehr Eltern und Großeltern – | |
| sehen aus, als hätten sie neben dem Familienvan so eine elegante | |
| Kinderkutsche vor dem Eigenheim stehen, und die anderen, als hätten sie | |
| gern eine, können sie sich aber nicht leisten, weil sie zwar das | |
| kulturelle, aber nicht das finanzielle Kapital haben, um regelmäßig mit der | |
| ganzen Familie klassische Konzerte zu besuchen, also echte, die noch teurer | |
| sind als dieses hier. | |
| ## Die eigene Blase | |
| Seit einigen Jahren gibt es die [1][Reihe „Familienkonzert“], mit der das | |
| Theater der Stadt Bremen Kinder für klassische Musik begeistern will – auf | |
| die denkbar unterhaltsamste, kurzweiligste Weise. Auch für Erwachsene sind | |
| die Aufführungen geeignet, Angst und Ehrfurcht vor Hochkultur zu verlieren. | |
| Jedenfalls, sobald man über die Erkenntnis hinweg gekommen ist, zu genau | |
| der Blase dazuzugehören, die man selbst so bescheuert findet, etwa wegen | |
| ihrer Vorliebe für schwere, sperrige Kindertransportmobile. | |
| Das Publikum ist nicht nur so weiß, wie es weißer kaum sein kann, man kann | |
| ihm auch genau ansehen, in welchen Stadtteilen es wohnt, nämlich in denen, | |
| in denen es nicht weit ist zum in der Innenstadt gelegenen Theater. „Das | |
| ist ein Kon-trafagott“, piepsen da Sechsjährige, wenn sie mitten im | |
| Orchester auf der Bühne sitzen und der Dirigent fragt, wer denn schon mal | |
| so ein Instrument gehört hätte. | |
| Bei der jüngsten Show – es gibt keinen Begriff, der besser den Charakter | |
| der Reihe beschreiben könnte – waren Publikum und Spielende wieder | |
| getrennt, hier die Bühne, dort die Tribüne, und das nicht im großen Haus am | |
| Goetheplatz, sondern im Tabakquartier, einem Neubaugebiet am südlichen | |
| Stadtrand, in dem die Bremer Philharmoniker, das landeseigene Orchester, in | |
| einer ehemaligen Lagerhalle einen Übungssaal haben. Für „Merlin, der | |
| Zauberer“ haben sie sich zusammengetan mit dem Jugendsinfonieorchester | |
| Bremen und spielen, so die Ankündigung, „magische Musik“: Schumann, Bartok, | |
| Purcell, Sibelius, Prokofjew und zum Schluss den ersten Satz aus Elgars | |
| „Pomp and Circumstances“. | |
| Die Musik ist einerseits die Hauptsache – es ist schwer, sich ihrem Zauber | |
| zu entziehen. Andererseits ist sie völlig nebensächlich, weil sich die | |
| Aufmerksamkeit der meisten Kinder auf die beiden Darsteller richten wird, | |
| die im Bühnenraum vor dem Orchester agieren. Der Schauspieler Alexander | |
| Swoboda (Merlin) und der Opernsänger Wolfgang von Borries (Artus) sind ein | |
| eingespieltes Team, viele Jahre waren sie das Herz von „Moni, die Möwe“, | |
| die früher durch die Familienkonzerte leitete, mild anarchisch, aber stets | |
| mit pädagogischem Auftrag. | |
| ## Artus lernt Tischmanieren | |
| Die Rahmenhandlung erschließt sich nicht ganz, irgendwie trifft Merlin, der | |
| kein Zauberer ist, sondern ein Berliner Monteur, auf Artus, bevor dieser | |
| König wird. Er versucht, ihm Tischmanieren beizubringen, und dass es besser | |
| ist, sich bei Wettkämpfen nicht zu töten, sondern nur zu gucken, wer sich | |
| dabei geschickter anstellt. „Aber wie findet ihr denn dann euren König“, | |
| fragt Artus verdutzt, der kurz darauf selbst kampflos König wird, weil er | |
| DAS Schwert, das excaliburmäßig zur Hälfte orange aufglimmt, aus einer | |
| Heizung zieht. | |
| Weil der Tisch, an dem Artus eben noch Spaghetti aß, auf der Bühne steht, | |
| assoziieren sie zum Thema Tisch, erfinden die direkte Demokratie, in dem | |
| nicht nur einer am grooooßen Tisch sitzt und alles bestimmt (die | |
| Erwachsenen lachen, jedenfalls die, die Bilder von Putins Tisch gesehen | |
| haben), und dann die Tafelrunde. „You’ll never walk alone“, schmettert | |
| Artus, hier in der Fassung des Musicals von Oscar Hammerstein und nicht in | |
| der der Fans des FC Liverpool. | |
| Am Ende gibt es noch etwas keltische Baummystik (Esche, Weißdorn, Eiche), | |
| Artus covert Rio Reiser („Trump mal wie Waldi in die Waden beißen“) und | |
| fragt Merlin, ob sie das wohl alles richtig gemacht haben. Der, ganz | |
| pragmatischer Berliner Handwerker, nickt, ein letztes Mal gibt das | |
| Orchester alles, und die Kinder erspüren den Rhythmus des Stücks, weil | |
| einige zuvor ein Ende eines rot-weißen Flatterbands in die Hand gedrückt | |
| bekommen haben, das sie nun zur Musik über ihren Köpfen schwenken. | |
| Leider läuft dieses Konzert nur einmal und nicht wie sonst nochmal am | |
| Vormittag für Schulen. | |
| „Merlin, der Zauberer“ wird noch einmal am 9. September um 14:30 Uhr im | |
| Theater am Goetheplatz beim Tag der offenen Tür aufgeführt. Karten müssen | |
| bestellt werden, Eintritt ist frei. | |
| 2 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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